Grenzgeschichte DG - Autonome Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft

 

 

Die Franzosen in Eupen 


Am 17. Dezember 1792 marschierten die französischen Revolutionssoldaten erstmals in Eupen ein. Der Eupener Weber Arnold Breuer vertraute damals seinem Tagebuch an:

Und man kann es für ein ewiges Gedächtnis aufschreiben, denn es war als wenn der jüngste Tag vorhanden wäre mit Hauen und Stechen und Stehlen in den Häusern. [...] Nicht wie Christen, sondern noch ärger als Türken und Heiden. Denn es sind drei Offiziere bei dem Pastor eine Nacht einquartiert gewesen, die haben gefressen und gesoffen, so lange sie konnten. Wie sie vollgesoffen waren, haben der gute Pastor mit den drei Kaplänen die Psalmen singen müssen. So laut als sie konnten, und während des Singens haben die drei Offiziere geflucht, als wenn sie Teufel wären. Den 13. Dezember haben die Schöffen mit dem Bürgermeister den Freiheitsbaum aufsetzen müssen, und die Kaufleute von ganz Eupen haben mit drumgehen müssen, schreien und rufen: Vivat die Nationall!... Den 20. und 21. sind 3-400 Mann von allerhand Sorten gekommen, die haben vielen Mißbrauch in unserer Kirche und Kloster getrieben. Denn sie sind in die Kirche gekommen und haben unseren Geistlichen nachgeschrieen, wenn sie gesungen haben, und die Mützen und Hüte auf dem Kopf gelassen und sind mit den Pfeifen im Maul gegangen bis zum Altar." (4)

Sofort begannen die Franzosen auch in Eupen, die bürgerliche Revolution in die Tat umzusetzen und die Vorrechte von Thron und Altar zu beseitigen. (5) Dementsprechend wurde das Dekret des französischen Nationalkonvents vom 15. Dezember 1792 verkündet, das besagte, dass nunmehr die höchste Gewalt vom Volke und nicht mehr von einem Monarchen ausgehe, die Zehnten und alle Herrenrechte abgeschafft und die kirchlichen Güter und Besitzungen unter Staatsaufsicht gestellt seien.

Am 3. März 1793 kehrten dann die Österreicher zurück. Eupen hatte weiter unter Einquartierungen und Requisitionen zu leiden. Fast ununterbrochen zogen Truppen durch Eupen: am 11. August des Jahres waren es 3.600 Mann, zwei Tage später 2.000 Infanteristen, am 21. August waren wieder 700 Soldaten in der Stadt, am 28. August sogar vier Divisionen Kürassiere, Ende September sollen 3.000 Mann Infanterie und Kavallerie da gewesen sein. Eupens Bürger mussten Unmengen an Brot, Fleisch, Stroh, Heu usw. für die Versorgung der Soldaten und ihrer Tiere aufbringen.

1794 wurde Eupen wiederum von den Franzosen besetzt. Durch Gesetz vom 9. Vendemiaire des Jahres IV neuer französischer Zeitrechnung (1.10.1795) wurde nunmehr das ehemalige Herzogtum Limburg auch offiziell ein Teil der französischen Republik. Eine der ersten Maßnahmen der französischen Annexionisten war die Schaffung eines neuen Verwaltungssystems im hiesigen Gebiet, das dem im zentralistischen bürgerlichen Frankreich entsprach.

Eupen war Teil des Departements der Ourthe, welches neben den
größten Teilen des ehemaligen Herzogtums Limburg auch Landstriche in der Eifel um Kronenburg, Schleiden und St. Vith umfasste. An der Spitze der Departementverwaltung in Lüttich stand eine fünfköpfige Zentralverwaltung, die eines ihrer Mitglieder zum Präsidenten wählte und der ein Regierungskommissar, der die Ausführung der Gesetze überwachte, beistand. Die untere Verwaltungsebene bildete der Kanton, der sich aus mehreren Gemeinden zusammensetzte; Eupen bildete einen solchen mit Nispert und Stockem. Die Eupener Gemeindeverwaltung (6) glich in ihrer Zusammensetzung der Departementleitung: der fünfgliedrige Gemeinderat wählte einen Vorsitzenden, dem wiederum ein Kommissar zur Überwachung beigegeben war.

Die französische Revolution sprengte in beträchtlichem Umfang die Barrieren, die bisher Adelsvorherrschaft und Kirchenmacht einer Ausbreitung der frühindustriellen Produktionsweise entgegengestellt hatten und gab dem dritten Stand, der Bourgeoisie, die politische Macht im neuen Staate. Von der Forderung nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" ausgehend wurden die Grundlagen für eine modern-kapitalistische Gesellschaftsordnung geschaffen.
Besonders hart traf die antikirchliche Zielrichtung der Revolution auch im Eupener Land zunächst die katholische Kirche. Auf Anordnung des Direktoriums in Paris ging nunmehr jeglicher Kirchenbesitz in „Nationaleigentum" über, der dann staatlicherseits den einzelnen Religionsgemeinschaften zur „Kultausübung" leihweise zur Verfügung gestellt werden konnte. Zur Durchführung dieser Säkularisierung waren alle kirchlichen und klösterlichen Institute verpflichtet, ausführliche Inventare ihres Besitzes zu erstellen.

In der Zeit bis zum endgültigen Sturz des Direktoriums kamen noch folgende Gesetze und Dekrete gegen die Religionsgemeinschaften zur Anwendung:

-
„religiöse Übungen" durften nur noch im Innern der Kirchen und „Tempel" stattfinden, nicht aber auf öffentlichen Straßen, Plätzen und auf dem freien Lande,
insbesondere Prozessionen außerhalb der Kirchen und Tempel waren verboten,
die Kirchentüren mussten beim Gottesdienst geschlossen bleiben, niemand durfte draußen der Messe beiwohnen,
alle Kreuze und sonstigen sakralen Gegenstände außerhalb der Kirchen und Tempel waren zu entfernen,
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alle Orden und Klöster wurden aufgehoben, ihre Güter als Teil des Republikvermögens angesehen und zum größten Teil versteigert,
die Glocken durften nicht mehr das Abhalten religiöser Veranstaltungen und die Zeiten des Gebets ankündigen, sie mussten zum größten Teil abgeliefert werden und dienten dann zur Kanonenherstellung,
das Schul- und Armenwesen wurde aus der Verantwortung der Kirche genommen. Die Religionsgemeinschaften mussten Listen mit denen von ihnen versorgten Armen erstellen. Die Versorgung der Armen übernahm nunmehr die Gemeinde,
-
desgleichen wurden alle kirchlicherseits angelegten Geburts-, Heirats- und Sterberegister eingezogen, diese Arbeiten übernahm nun ein Zivilstandsbeamter,
die Priester - nunmehr „Kultusdiener" genannt - mussten folgenden Eid ablegen: „Ich erkenne an, dass die Gesamtheit der franz. Bürger der Souverain (Landesherr, Selbstherrscher) ist, und verspreche, den Gesetzen der Republik unterwürfig und gehorsam zu sein". (7)

Auch durch die Abschaffung der christlichen Zeitrechnung und der auf der alttestamentarischen Schöpfungsgeschichte beruhenden Wocheneinteilung sollten die christlichen Religionsgemeinschaften in ihren Grundfesten getroffen werden. Ein neuer Kalender wurde allgemein eingeführt, zum Jahre 1 deklarierte man das Jahr der französischen Revolutionsverfassung, die Wocheneinteilung wurde durch die (zehntägige) „Dekade" ersetzt. Anstelle der christlichen Feiertage traten nunmehr die republikanischen Festtage. Wie solche Feierlichkeiten in Eupen begangen wurden, zeigen zwei Beispiele, die Gerhard Heinen in seiner „Pfarrgeschichte Eupens" schildert:

Am 21.1. [1796, H.R.] wird auf höheren Befehl in Eupen, die gerechte Bestrafung des letzten der französischen Könige (Ludwigs XVI., hingerichtet 21.1.93) gefeiert. Unter den Klängen der Musik ziehen sämtliche republikanische Beamte vom Rathhaus zum Markt; um den Freiheitsbaum geschaart, hören sie zunächst die Musik (Mel.: Allons, enfants), dann die Rede Girardinis an, stimmen ein in den Ruf ,Vive la liberte, vive la republique und kehren unter den Klängen des „Ça ira“ zum Rathhaus zurück. Kraftstellen der Rede:
Der 21. 1. war die Morgenröthe der Freiheit der Welt, und diese große Wohlthat verdankt das Menschengeschlecht der Energie der Franzosen. - Neue Glieder der überaus zahlreichen und glorreichen Familie der Franzosen, angenommene Kinder der Republik,... weihen wir dem Kömgthum und der Tyrannei einen ewigen, unversöhnlichen Haß: lieber tausendmal sterben, als den Kopf unter das Joch des Despotismus beugen!" (8)

Die Feier des „Festes der Freiheit" am 27. Juli 1798 muss eine hervorragend organisierte Propagandaveranstaltung gewesen sein:

Die Feier übertrifft alle voraufgegangenen durch eine besondere Veranstaltung. Nachdem der Festzug auf dem Markt angekommen, besteigen die Behörden den Altar des Vaterlandes, auf welchem Säbel, Äxte, Keulen und ein Bündel dreifarbiger Fahnen liegen. Nach dem Vortrag eines Musikstückes und einer Rede des Gemeindevorstehers werden die Waffen den Knaben und den Behörden übergeben; diese stürzen sich unter den Klängen einer kriegerischen Musik auf einen Thron, auf welchem eine Krone, ein Scepter, ein Wappenschild und ein Heft „die Verfassung von 1791" sich befinden. Unter den wiederholten Streichen und Schlägen bricht der Thron zusammen; es ertönen die Rufe: Haß der Tyrannei! Es lebe die Republik! Nach dieser Heldenthat [...] kehrt man zum Altar zurück, es folgt eine zweite Rede; dann werden die Fahnen auf den Trümmern des Thrones aufgepflanzt. Rückzug zum Rathhaus, wo nach einer 4. Gewehrsalve weiter musicirt und gesungen wird. Nachmittags 2 Uhr Zug zur Hütte; Vogelschuß für die Schüler; Preisvertheilung: 3 Schüler erhalten die „Verfassung", in den Nationalfarben gebunden, der 13-jährige J.J. eine silberne Denkmünze; zum Schluß öffentliche Tänze bis usw. Am 28. Versammlung der Behörden im Rathhaus, gegen Abend Zug zum Altar des Vaterlandes, zum Schluß brüderliches Festmahl." (9)

Diese pseudo-religiöse Verklärung der republikanischen Ideologie gipfelte schließlich darin, dass auch in Eupen ein „Dekaditempel" und zwar im ehemaligen Speisesaal des Kapuzinerklosters eingerichtet wurde. Das Klostergebäude selbst war 1798 von der Departementverwaltung vorbehaltlich höherer Genehmigung der Gemeinde zur öffentlichen Nutzung, u.a. als Rathaus und Gericht, überlassen worden; die eigentliche Klosterkirche diente mit Ausnahme des Chorraums als Heumagazin.


Napoleon und die große Handelsfreiheit

Mit der Wahl Napoleon Bonapartes zum I. Konsul der Republik im Dezember 1799 schwächte der Kirchenkampf zunehmend ab und wurde schließlich ganz aufgegeben. Seit dem 15. Juli 1801 regelte ein Konkordat die Beziehungen zwischen Frankreich und dem Hl. Stuhl. Napoleon ließ sich schließlich sogar am 2. Dezember 1804 in Paris von Papst Pius VII. zum Kaiser salben. Napoleon hatte erkannt, dass eine Gegnerschaft zu den mächtigen Institutionen der katholischen Kirche ihm bei seinen imperialen Plänen nur hinderlich sein konnte.

Auch die Verwaltung bekam unter Napoleon ein neues, noch mehr zentralisiertes Gesicht. Das Gesetz vom 28. Pluviôse VIII (17.2.1800) bestimmte, dass nunmehr an die Spitze der einzelnen Departements ein Präfekt zu treten habe, der wiederum Unterstützung bei seinen Amtsgeschäften von einem Präfektur- und Departementrat erhalten sollte. Das Gesetz hob die Kantone als Verwaltungseinteilung auf, stattdessen bildete jetzt eine größere Anzahl von Gemeinden ein Arrondissement, das von einem Unterpräfekten geleitet wurde. Nach der neuen Verwaltungseinteilung war Eupen nunmehr Teil des Arrondissements Malmedy. An die Spitze der Gemeinden trat ein Bürgermeister (maire), die Anzahl der Beigeordneten (adjoints) und der Mitglieder des Gemeinderates richtete sich nach der Einwohnerzahl.

Der deutlich antiklerikalen Haltung des Lütticher Präfekten Desmousseaux und der Ernennung des ehemaligen, der hiesigen Gemeindeverwaltung beigeordneten Kommissars Maréchal zum Eupener Bürgermeister war es aber zuzuschreiben, dass hier die kirchenfeindlichen Gesetze noch einige Zeit Anwendung fanden.
Die antifeudale Komponente der französischen Revolution zielte vor allem darauf, jene Privilegien und Vorrechte zu beseitigen, derer sich der Adel bis dahin erfreuen durfte. In Eupen, wie auch im ganzen ehemaligen Limburger Land, hieß das vor allem:

- Aufhebung der Grundherrschaft, Beseitigung der Reste der Leibeigenschaft der Bauern (10), Abschaffung der Frondienste und des Zehn
ten,
- Beseitigung der Steuerfreiheit nicht nur für die Geistlichkeit, sondern auch für den Adel,
- Öffnung ehemals in adeligem Besitz befindlicher Forste zum Nutzen der Allgemeinheit, Aufhebung von Sonderrechten bei Jagd und Fischerei,
- öffentlicher Verkauf ehemals adeligen Besitzes.

Die öffentliche Verdammung der Despotie und Tyrannei der gekrönten Häupter war einer der Eckpfeiler republikanischer Ideologie. Nach einem Gesetz vom Dezember 1797 mussten alle Beamten, „Kultusdiener" und auch die Wähler folgenden „Hasseid" schwören: „Ich schwöre Haß dem Königthum und der Anarchie, Anhänglichkeit an und Treue gegen die Republik und die Verfassung vom J. III" (11). Bis zur Aufhebung durch Napoleon war es Pflicht jedes Beamten, diesen „Hasseid" am 21. Januar jeden Jahres - dem Gedenktag an die Hinrichtung Ludwigs XVI. feierlich zu erneuern.

Für Handel und Industrie sprengte die französische Revolution die Fesseln (12), die einer Ausdehnung der kapitalistischen Produktionsweise in den feudalen Gesellschaftsstrukturen im Wege gestanden hatten. Die Zunftrechte und jede staatliche Bevormundung der Wirtschaft wurden aufgehoben, das „Laissez-faire" wurde geboren. Jeder Kapitalist konnte jetzt so wirtschaften - und ausbeuten - wie er wollte. Besonders förderlich für Handel und Gewerbe war die Zugehörigkeit zum großen französischen Wirtschaftsraum, der keine Zollgrenzen kannte. Die Verhängung der „Kontinentalsperre" über England, die Abschließung des napoleonisch beherrschten Wirtschaftsraumes für englische Waren kamen nicht zuletzt auch der Eupener Textilindustrie zugute.

An die Stelle staatlicher Bevormundung der Wirtschaft trat nunmehr ihre bewusste Förderung, die ab Anfang des 19. Jahrhunderts oftmals auf direkte persönliche Initiativen Napoleons zurückging. Napoleon förderte nachhaltig die Schafzucht, indem die wertvollen (spanischen) Merinoschafe eingeführt wurden, ebenso die Anpflanzung von Farbkräutern, die Verbreitung von textiltechnischen Neuerungen, die Gründung einer Gesellschaft zur Förderung der nationalen Industrie, die Prämien auf Erfindungen, Verbesserungen und hervorragende Leistungen aussetzte, um nur einige herausragende Maßnahmen zu nennen.

1803 wurde durch Gesetz die Errichtung so genannter „Chambres consultatives de manufactures, fabriques, arts et metiers" für alle größeren Städte angeordnet. Ihre Aufgabe lag vor allem im Studium der Belange von Handel und Gewerbe. Sie hatten aber ebenso das Recht, Gesetzesentwürfe zur Förderung der Ausfuhr einzureichen. Solche Kammern wurden in Eupen und Aachen 1804 gegründet. Ihnen gehörten jeweils sechs Kaufleute oder Fabrikanten an, die mindestens fünf Jahre in ihrem Fach tätig gewesen sein mussten.
Handel und Industrie bekamen also hier ein Instrument zur Förderung ihrer Interessen, den Arbeitern dagegen wurde, ganz im Sinne der Bourgeoisie, der Zusammenschluss, die „Koalition" verwehrt- „zum Schutze der Arbeitgeber" wie es in Titel II des obigen Gesetzes heißt.

Am 1. April 1808 wurde der „Conseil des Prud' hommes" (Rat der Sachverständigen) gegründet. Er setzte sich aus Fabrikanten und „tüchtigen" Werkmeistern zusammen und sollte bei den häufigen Streitereien zwischen den Fabrikanten und den Werkmeistern auf der einen und den Arbeitern auf der anderen Seite schlichten.
Begünstigt durch die obigen Gegebenheiten und Bedingungen nahm auch in Eupen in französischer Zeit die Zahl der Tuchmanufakturen zu. Auswärtige Arbeiter wurden angeworben, bereits 1798 führte William
Cockerill die erste Wollspinnmaschine ein, 1806 wurden die ersten Rauh- und Schermaschinen aufgestellt.
Dies alles musste zu einer völligen Änderung in der Produktion führen. Die Kaufleute hatten sich - wie bereits erwähnt - bisher darauf beschränkt, die Wolle, die zumeist aus Spanien kam, bei den „Baasen" waschen, spinnen, weben und walken zu lassen. Sie hatten lediglich die Appretur besorgt. Nunmehr vereinigten sie, durch die technische Entwicklung angeregt, die Fabrikation in größeren „Etablissements". Sie siedelten sich an den Ufern von Weser und Hill an, da dort die nötige Wasserkraft für die Maschinen vorhanden war. Viele Fabrikanlagen, ja nahezu der gesamte Stadtteil an der Haas, entstanden in den Jahren 1808-1810.
Über die Gewerbetätigkeit der Eupener Tuchmanufakturen im Jahre 1812 liegen uns detaillierte Zahlen vor. (13) Sie zeigen uns, wie viele Maschinen bereits in den einzelnen „Etablissements" im Einsatz waren, wie viele Webstühle und Weber für jedes dieser Häuser arbeiteten, führen die Zahl der beschäftigten Scherer und auch die jährliche Produktionsziffer an.
Das Weben geschah übrigens in Eupen bis über die Jahrhundertmitte hinaus fast ausschließlich als Hausweberei.

Insgesamt wurden im Jahre 1812 in Eupen 40.400 Stück Tuch hergestellt und zwar 4.910 feine, 17.500 Serails (leichte, hellfarbige Stoffe), 7.200 Kasimir-, 8.190 Mittel-, 2.200 Stück Ordinärtuche und 400 Stück Trikots.
Der Absatz dieser Tuche erfolgte damals nach Frankreich, Italien, Spanien, Deutschland, der Levante (Kleinasien), Russland, Persien und China.
Zusammenfassend heißt es bei Wichterich über die Auswirkungen der Napoleonischen Wirtschaftspolitik auf die Tuchindustrie im hiesigen Bezirk:

Die französische Revolution, in ihren Wirkungen für die Rheinlande besonders bedeutsam, hatte mit den alten Grundsätzen der staatlichen Bevormundung von Handel und Gewerbe durchgreifend aufgeräumt. Das Prinzip des „laisser faire" trat an ihre Stelle. Die Aachener Tuchindustrie begrüßte freudig diese neue Entwicklung. Kamen ihr doch, als vollberechtigtem Glied der Industrie des französischen Imperiums, alle Vorteile des neuen Systems ungeschmälert zugute! Der gefährliche englische Wettbewerb wurde durch die von Napoleon über England verhängte Kontinentalsperre vom europäischen Festlande ferngehalten, und das ausgedehnte Napoleonische Reich eröffnete ihr einen großen und sicheren Markt, der von allen Zollfesseln befreit war." (14)


Die einfachen Leute und die Neue Zeit


Konnte das Volk ebenso zufrieden sein mit dem neuen Regime?

Zunächst riefen die Maßnahmen der Machthaber vor allem gegen die Religionsgemeinschaften bei vielen Bürgern erhebliche Kritik und Missstimmung hervor. Im Eupener Land war ja das Bewusstsein nahezu der gesamten Bevölkerung seit Jahrhunderten katholisch geprägt. Der neuen Obrigkeit fiel es besonders schwer, gerade die einfachen Leute von der vermeintlichen Notwendigkeit der kirchenfeindlichen Maßnahmen zu überzeugen. Gerade die Trennung von Kirche und Staat hätte man hier schon aus taktischen Gründen einfühlsamer und nicht mit einer höchstwahrscheinlich von vielen als abstoßend empfundenen Radikalität durchführen müssen. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung ging man dann schließlich auch in Eupen tatsächlich dazu über, die von oben erlassenen Gesetze und Direktiven entweder in abgeschwächter Form oder erst verspätet anzuwenden. So konnte 1796 - trotz des bereits bestehenden Verbots der Abhaltung religiöser Übungen unter freiem Himmel - die Fronleichnamprozession stattfinden. Auch das Gesetz vom 11. April 1796, das den Gebrauch der Glocken für kirchliche Zwecke verbot, wurde zunächst nur auf die Kirche des Kapuzinerklosters angewandt. Ebenso ließ man sich bei der Beseitigung öffentlich aufgestellter Kreuze und anderer religiöser Symbole mehr Zeit als andernorts.

Große Uneinigkeit bestand bei den Eupener Katholiken darüber, ob man am Gottesdienst der „geschworenen" Priester, also derjenigen, die den Eid auf die französische Republik geleistet hatten, teilnehmen durfte. Viele Geistliche, auch im Eupener Land, lehnten diesen Eid ab; sie waren dann mehr oder weniger „vogelfrei" und wurden als gemeine Verbrecher betrachtet. Traf man sie bei weiterer Amtsausübung an, drohte die Deportation auf entfernte Inseln. Trotz der drohenden Gefahren hielten aber einige der „ungeschworenen" Priester zu nächtlicher Stunde geheime Messen in Ketteniser Privathäusern ab.

Zwangsanleihen, Zwangslieferungen und Beschlagnahme von Lebensmitteln für die Truppe, Einquartierungen von Soldaten in Privatwohnungen haben unzweifelhaft auch nicht dazu beigetragen, die Popularität der französischen Machthaber zu steigern - sie waren aber damals bei allen Kriegsführenden Parteien gang und gäbe.
Das Gesetz über die Bildung der Landarmee - es sah den allmählichen Einzug der 20- bis 25-jährigen Männer zum Militär vor - führte dann jedoch im Jahre 1798 zu erheblichen Unruhen. Viele junge Männer entzogen sich der Einberufung durch Flucht.

Nach dem unter dem Motto von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" vollzogenen Anschluss an Frankreich hatten auch die Eupener Tuchscherer gehofft, endlich ihre Forderungen nach Errichtung einer Schutzorganisation durchsetzen zu können. Doch die französische Revolution als eine bürgerliche Revolution befreite die Wirtschaft von allen sie hemmenden Fesseln, zerschlug also auch die Zünfte. Das von der konstituierenden Nationalversammlung am 14. Juni 1791 angenommene, nach seinem Einbringer benannte „Le Chapelier-Gesetz" verbot ausdrücklich Koalitionen sowohl von Arbeitgebern wie auch Arbeitnehmern.

Der Aufruhr unter den Eupener Tuchscherern war also wieder vorprogrammiert:
1798 kam es zum Ausstand. (15) Am 9. Januar 1798 legten die Scherer bei dem Tuchkaufmann Arnold Römer die Arbeit nieder, weil dort mehr Lehrlinge eingestellt worden waren, als es ihre „Satzung" - die ja bisher niemand anerkannt hatte - zuließ. Die Scherer traten in den Streik. In fünfzehn anderen Schererwinkeln kam es zu Solidaritätsstreiks. Die Ausständischen durchzogen auch jene Betriebe, in denen weitergearbeitet wurde und „verbaten" den dort Beschäftigten jede weitere Tätigkeit. Und sie wollten ihre Aktionen auch nicht auf Eupen beschränkt wissen. Sie nahmen Kontakt zu ihren Klassengenossen in Montjoie (heute Monschau), Imgenbroich und Stolberg auf, damit diese sich ihrem Ausstand anschließen sollten.

Die Lage wurde den Franzosen zu gefährlich. Militär wurde von Lüttich nach Eupen verlegt, die Rädelsführer verhaftet, bald jedoch wieder freigelassen und die Scherer ultimativ aufgefordert, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre Forderungen vorzulegen, da sonst im Sinne der Kaufleute entschieden werde.
Erst am 14. Februar wurde die Arbeit wieder aufgenommen, aber mit dem Kompromiss, dass alle Schererlehrlinge, die zukünftig dieses Handwerk erlernen wollten, zu Anfang und Ende ihrer Ausbildung jeweils 3 Reichstaler in eine Kasse einzahlen mussten, aus der kranke und alte Berufskollegen eine Unterstützung erhalten sollten.
Der beigeordnete Kommissar in Eupen, Maréchal, beschwerte sich gegenüber der Gemeindeverwaltung am 7. Oktober 1798 über die Zustände in der Gemeinde:

Der Kanton Eupen ist eine Art Vendée (die Einwohner dieses französischen Landesteils erhoben sich 1793 für das Königtum und für die Religion). Die Auflehnung gegen die Gesetze ist an der Tagesordnung. Die aufreizendsten Reden werden in den Wirtshäusern und an anderen öffentlichen Plätzen geführt. Man predigt den Aufstand, verbreitet das Gerücht, die Fabriken würden bald stillstehen; man erregt die Hoffnung auf baldige Ankunft der Russen und hetzt das Volk zum Widerstand gegen das Gesetz über die Bildung der Landarmee auf".(16)

Die rücksichtslosen Maßnahmen der Pariser Regierung und der ihr untergeordneten Verwaltungsbehörden, namentlich die Vorbereitungen zur Ausführung des Gesetzes über die Bildung der Landarmee, hatten dazu geführt, dass sich im Ourthe-Departement, wie in anderen Landesteilen des heutigen Belgiens auch, bewaffnete Banden bildeten bzw. bereits bestehende Räuberhorden Zustrom von jungen Leuten erhielten (17), die nicht bereit waren, für eine landfremde Macht in den Krieg zu ziehen. So brach 1798 die sog. „Meersener"-Räuberbande im Hause des wohlhabenden Eupener Bankiers Ackens auf dem Marktplatz ein - dem heutigen Verlagsgebäude des „Grenz-Echo" - und konnte an die 70.000 Franken erbeuten. Auch im Hertogenwald soll im gleichen Jahr eine dreißigköpfige Gruppe von Gesetzlosen ihr Unwesen getrieben haben, die ebenfalls vom Rauben und Plündern lebte.

Die Zukunft war für den „kleinen Mann" in Eupen voller Sorgen. Fast alle Einwohner waren ja von der Tuchbereitung abhängig; was würde wohl passieren, jetzt, da all die neuen Maschinen kamen und auch so viele auswärtige Arbeiter herangezogen wurden, wenn wieder einmal Geschäftsstockungen eintreten würden?


4) Das Tagebuch des Arnold Breuer scheint in den Wirren des letzten Krieges verloren gegangen zu sein. Wesentliche Teile der Aufzeichnungen Breuers wurden jedoch in den Jahren 1940/41 in einer Beilage zur Eupener Zeitung: „Eupener Land - Blätterfür Volkstum und Heimat" abgedruckt. Hier Beilage zur Eupener Zeitung vom 27.11.1940.
5) Vgl. für das Folgende u. a., wenn nicht anders angegeben: Gielen, Viktor: Aus Eupens Vergangenheit Heimatbuch der Stadt Eupen, Raeren 1966, S. 121 - 128; Heinen: Pfarrgeschichte, a. a. O., S. 87-122; Jeuckens: Eupener Land, a.a.O., S. 82-90.
6) Vgl. hierzu: Minke, Alfred: Die Eupener Gemeindeverwaltung zur französischen Zeit (1794-1814), Teil I, GE 20. Jg. 1986, S. 15-38.
7) Hier zit. nach Heinen, a.a.O., S. 92.
8) Ebd., S. 88.
9) Ebd., S. 100 f.
10) Nach Jeuckens, Eupener Land, a. a. O., S. 56 f. gab es auch im Limburger Land - im Gegensatz zu Flandern etwa - vor der französischen Revolution nur sehr wenige tatsächlich freie Bauern, doch soll seit dem frühen 16. Jahrhundert die Abhängigkeit der Bauern von den Feudalherren hier wesentlich geringer gewesen sein als in den meisten deutschen Ländern.
11) Hier zit. n. Heinen, a. a. O., S. 94.
12) Vgl. für das Folgende, wenn nicht anders angegeben: Rutsch, E.: Eupen und Umgegend, Eupen 1879, S. 137-140; Wichterich, Richard: Die Entwicklung der Aachener Tuchindustrie von 1815-1914, Diss. (masch. schriftl.) Köln 1922, S., insbes., S. 52; S. 58 f.; S. 121 f.
13) Vgl. hierzu und für das Folgende: Kaivers, Hermann-J., Keutgens, Hubert: Statistische Angaben über das Eupener Land nach dem „Memoire statistique du departement de l'Ourthe" von L.F. Thomassin, in: GE. 7. Jg. 1973, S. 40 f.
14) Vgl. Wichterich, a.a.O., S. 121.
15) Vgl. hierzu auf der Grundlage ausführlicher Quellenstudien: Minke, Alfred: Arbeiterunruhen und Arbeitersolidarität in Eupen zur französischen Zeit, in: GE, 20. Jg. 1986,5. 103-132; Hermanns: Tuchscherer, a. a. O., hier insbes. S. 164-167.
16) Hierzu, n. Jeuckens, Eupener Land, a. a. O., S. 87f.; ebenfalls abgedr. bei Heinen, Pfarrgeschichte, a.a.O., S. 102.
17) Zum Räuberunwesen in hiesiger Gegend, vgl. u. a.: Gielen, Viktor: Die Bockreiter in Eupen, in: Ders.: Aus Eupens Vergangenheit, a.a.O., S. 107- 120;Jeuckens, Eupener Volk und Land, a. a. O., S. 79-82. „Bockreiter" hießen die Mitglieder der Räuberbanden im ehemaligen Limburger Land, da der Volksmund von ihnen behauptete, sie würden in der Nacht, mit dem Teufel im Bunde, auf Böcken durch die Lüfte reiten.

 

 

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EXTERNE AUFTRÄGE


Koordination der „Aktionstage Politische Bildung“


Demokratieerziehung in Brüssel


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft in der „Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im pädagogischen Beirat des „Jüdischen Museums der Deportation und des Widerstandes in Mechelen“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Verwaltungsrat der Gedenkstätte Breendonk



 

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