Grenzgeschichte DG - Autonome Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft

 

 

Meinungen eines Mittelschichtlers 

Fortsetzung eines Interviews mit Manfred Betsch

In unserer letzten Ausgabe (Zaungast Nr. 2 - Mai 1980), veröffentlichten wir unter dem Titel: „CEPIC oder die neue Mittelschicht, den ersten Teil eines Interviews mit Herrn Manfred BETSCH, Gründer des hiesigen CEPIC. Dieser erste Teil betraf hauptsächlich die Gründung, die Ziele und die Mittel des CEPIC und deren Stellung in der CSP. Daneben legte uns Herr BETSCH seine Konzeptionen zu verschiedenen aktuellen Problemen dar, über die wir aus Platzmangel nicht berichten konnten. Dies wollen wir hier nachholen.
Da in de
m Interview mit Herrn Betsch, das sehr lange dauerte, die einzelnen Themen mehrmals angesprochen wurden, wollen wir es nicht chronologisch wiedergeben, sondern die Aussagen zum jeweiligen Thema zusammenstellen.

Planwirtschaft
(M. Betsch): "Bis dato gibt es zur freien Marktwirtschaft nur ein Gegenstück: die Planwirtschaft. Jetzt kann man für Planwirtschaft sein. Ich werde das zwar nicht annehmen, aber diese Meinung respektieren. Ich bin der Meinung, dass für den modernen Menschen eine Planwirtschaft nicht in Frage kommen kann. Da brauche ich noch nicht mal zu den Ostblockstaaten zu schauen, schaut nur mal nach dem, was hier vom Staat verwaltet wird. Gibt es vielleicht keine Armee-Einheiten, die literweise Benzin verbrennen, um für das neue Jahr dasselbe Quantum zu bekommen wie im Vorjahr? Hat es keine Staatsschulen gegeben, die während der Ferien der Kinder die Fenster öffneten und Koks verbrannten, weil im September die Keller leer sein müssen? Das ist Planwirtschaft! Ein anderes konkretes Beispiel: der Schlachthofsektor; die privat verwalteten Schlachthöfe machen Gewinne; die städtischen und staatlichen haben Defizite. Diese Defizite müssen aber von der Allgemeinheit bezahlt werden."

Frauenabwesenheit
(M.B.): "Ich beschäftige viele Frauen. Es sind auch viele krank. Besonders seitdem eingeführt wurde, dass die Arbeitgeber für den ersten Monat den Lohn garantieren müssen. Das war eine schlechte Sache."

(Z): Wir kennen nicht die diesbezüglichen Statistiken, aber dieselben Argumente werden angeführt, wenn es um die Abschaffung des Karenztages geht. Es steht aber fest, dass dort, wo er abgeschafft wurde die Abwesenheit wegen Krankheit nicht gestiegen und in vielen Fällen sogar gesunken ist!

(M.B.): "Das glaube ich. Wenn man erkältet ist und bleibt zu Hause, dann ist die Erkältung vielleicht nach ein oder zwei Tagen vorbei, aber man feiert weiter krank; man will ja nichts verlieren. Ich kann mir vorstellen, wenn der Karenztag nicht mehr da ist, dass man dann wieder arbeiten geht, wenn die Krankheit vorbei ist."

Frauenarbeitslosigkeit
(M.B.): "Die hohe Frauenarbeitslosigkeit ist wirklich ein Phänomen bei uns."

(Z.): Liegt das nicht daran, dass traditionelle Sektoren und Unternehmen, wie Textil und Konfektion oder bei uns die Schokolaterie, die in schwierigen Zeiten sind oder waren, gerade die sind, die viele weibliche Arbeitskräfte beschäftigen?

(M.B.): "Ich verstehe das Argument, aber es lässt sich widerlegen. Wenn ich die Statistik gut in Erinnerung habe, dann waren in 1948 in unserer Industrie X Prozent Frauen beschäftigt. Das sind mit der Zeit vielmehr geworden. Wäre in 1978 der Prozentsatz an arbeitenden Frauen der gleiche gewesen wie in 1948, hätten wir in 1978 keine Arbeitslosigkeit gehabt. Das ist eine Rechnung wie jede andere, ohne besonderen Wert. Aber das ist auch ein Argument."

(Z): Sicherlich ist die Anzahl der beschäftigten Frauen gestiegenen. Ist aber nicht auch Tatsache, dass die Frauen in den Augen der Arbeitgeber, eine willkommene Beschäftigungsreserve bilden, auf die man gerne zurückgreift in Zeiten der Hochkonjunktur, und die man, wenn es schlechter geht, am liebsten wieder an den Herd zurückschickt?

(M.B.): "Das sind drei verschiedene Fragen in einer.
Erstens: Ja, es stimmt, dass Frauen aus opportunistischen Gründen in Hochkonjunkturzeiten gerne gesehene Arbeitskräfte sind.
Zweitens: Aber nicht, um sie wegzuschicken wenn es schlechter geht. Jetzt ist in kleineren und mittleren Betrieben das Verhältnis Arbeitgeber
-Arbeitnehmer ein anderes als in großen Unternehmen. Bei uns herrscht ein mehr oder weniger familiäreres Klima.
Dritten
s: Dass man bei der Einstellung, vor allem damals, für gewisse Arbeiten lieber eine Frau hat, weil sie billiger ist, das stimmt; das gebe ich zu. Ich gebe auch zu, dass das nicht ganz korrekt ist. Aber eine ganz berechtigte Forderung war und ist: "gleiche Arbeit - gleicher Lohn". Unbedingt!"

36-Stunden-Woche
(M.B.): "Wie ist das möglich? Das ist ja nicht logisch! Klar! Es ist ein natürliches Streben der Menschen sich mehr und mehr von der Arbeit frei zu machen. Ich habe nur die 60 Stunden gekannt, dann kamen die 48 Stunden - das war gut - dann die 45 Stunden, die 40 Stunden und jetzt spricht man von den 36 Stunden.
Man sagt, dadurch werden Stellen geschaffen. Das ist nicht wahr. Nur beim Staat, also in der Planwirtschaft werden Stellen geschaffen. Aber das müssen die anderen Arbeiter mit bezahlen. Bevor noch die Rede von 36 Stunden war, sagten schon, u.a. französische Forscher, die belgische Administration wäre ein "Wasserkopf". Jetzt will man da noch mehr Stellen hineinpumpen. Aber wir müssen es bezahlen.
In der freien Marktwirtschaft werden Stellen dadurch verloren gehen. Weshalb? Weil die Arbeitszeitverkürzung denkbar schlecht verkauft worden ist. Sie ist verkauft worden, insbesondere von der FGTB und Herrn DEBUNNE, im Stil des Arbeiterkampfes. Meint H. DEBUNNE denn, er könnte jemanden verpflichten Leute einzustellen? Man stellt heute ein, wenn das hergestellte Produkt verkauft wird, und nicht aus einem soziale
n Empfinden heraus. Die primäre Aufgabe einer Firma ist die Selbsterhaltung der Firma; danach tritt die soziale Funktion des Betriebes ein. Es ist klar, ein Betrieb hat nicht nur eine wirtschaftliche Rolle zu spielen, sondern auch eine gesellschaftspolitische und eine soziale Funktion zu übernehmen. Man muss aber das Klima schaffen, das dem Arbeitgeber ermöglicht, diese Pflichten mit ruhigem Gewissen durchzuziehen. Das geht nicht durch Forderungen, die, vor allem im mittelständischen Bereich, nicht zu verkraften sind. Diese verdammten vier Stunden kriegen wir nicht unter den Hut. Dann ist der Bogen überspannt.
Ja, wenn das in ganz Europa gefordert würde, dann ist das etwas anderes. Aber die anderen sind nicht so blöde. In der Schwei
z haben die Arbeiter sogar abgestimmt, um von 4O Stunden auf 45 Stunden zu kommen. Und man muss sich mal die Wachstumsrate, das Bruttosozialeinkommen und die Arbeitslosenquote der Schweiz ansehen. Jetzt plädiere ich nicht für die 45 Stunden. Das ist nur ein Beispiel; kann aber nicht so schlecht sein."

(Z): Die Arbeitszeitverkürzung ist eine Forderung in allen Ländern der EG und überall sagen die Arbeitgeber dasselbe: das muss auf europäischer Ebene geregelt werden. Wenn sie aber auf europäischer Ebene zusammenkommen, dann wollen sie von diesem Thema nichts mehr wissen. Wie soll das also weiter gehen?

(M.B.): "Ihr könnt ja jetzt nicht von mir verlangen, dass ich die europäischen Arbeitgeber vertrete. Ich habe lediglich erklärt, was das geben würde, würde die Arbeitszeit in Belgien durchgeführt. Nehmen wir ein Beispiel: Ein Selbständiger hat 4 Gesellen. Jetzt geht es von 4O auf 36 Stunden. Er wird dafür nicht einen mehr einstellen. Das Resultat wird sein, dass am Ende vom Monat weniger gemacht worden ist. Das bedeutet Verdienstverlust für den Arbeitgeber. Er wird natürlich versuchen, diesen Verlust auszugleichen und das wird auf Kosten der Arbeiter gehen, denn er wird versuchen zu rationalisieren. Das ist das Phänomen momentan, das Klima in Unternehmens- und Mittelstandskreisen. Wir haben nicht nur eine Wirtschaftskrise, sondern auch eine psychologische Krise. Die ist schlimm und böse und die wird erzeugt von solchen Forderungen."

(Z): Man hat ja nicht auf die 36 Stunden gewartet um zu rationalisieren. Es ist doch so, dass schon lange rationalisiert wird, auch bevor von der Arbeitszeitreduzierung die Rede war.
(M.B.): "Das ist ein Problem der Zeit. Ich möchte aber die Frage anders gestellt wissen. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Das Problem der Automatisierung ist einfach eine Frage von weniger Kosten. Es ist aber nicht ein Problem der Arbeitgeber al-
allein, sondern der Gesellschaft. Dass die Gewerkschaften, aber auch die Arbeitgeber und die Politiker alle versuchen aus der Sackgasse herauszukommen, damit bin ich einverstanden, aber man muss das etwas anders sehen. Wenn ich eine Monopolstellung habe, dann brauche ich nicht zu rationalisieren. Wenn ich aber Konkurrenz habe dann regelt die Nachfrage nicht mehr allein den Preis, sondern auch die Konkurrenz. Dann muss ich gleich zusätzlich Maschinen kaufen und dann werde ich vielleicht Leute entlassen müssen. Denn ich kann mir nicht die Maschinen und die Leute leisten,
dann bin ich auch nicht mehr konkurrenzfähig. Das ist ein Teufelskreis und dann müssen sich alle zusammensetzen um Lösungen zu suchen.
Auch die
Großkonzerne ziehen hierbei nicht mit den belgischen Arbeitgebern mit. Sie haben zum Teil schon die 38 Stunden eingeführt, als eine Etappe zu den 36 Stunden. Sie zwingen die anderen irgendwann und irgendwie nachzuziehen. Hier ist keine Solidarität in der Arbeitgeberschaft festzustellen. Es ist verständlich, denn jeder sieht sich im Endeffekt selber. Die Multinationalen können das mit ihren Milliarden Boni, aber sie versauen das soziale Klima."

Das Pensionsalter
(M.B.): "Eine Forderung, die die Gewerkschaften stellen sollen, und die wirklich Arbeitsplätze schaffen kann, ist die Herabsetzung des Pensionsalters auf 60 Jahre."

(Z): Aber, ist das nicht schon eine langjährige Forderung der Gewerkschaften?

(M.B.): "Nein. In diesem Bereich machen die Gewerkschaften Aussagen, aber eine reelle Forderung? Nein! So hätten wir das schon lange, weil es keinen starken Widerstand gibt. Im Gegenteil."

Soweit die Hauptthemen unseres Gesprächs mit Herrn BETSCH, dem wir an dieser Stelle nochmals danken.

 

 

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EXTERNE AUFTRÄGE


Koordination der „Aktionstage Politische Bildung“


Demokratieerziehung in Brüssel


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft in der „Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im pädagogischen Beirat des „Jüdischen Museums der Deportation und des Widerstandes in Mechelen“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Verwaltungsrat der Gedenkstätte Breendonk



 

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