Damals sollte auch die leidige Voerfrage endlich gelöst werden. Zu diesem Zweck hinterlegten die Koalitionspartner einen Gesetzesvorschlag betreffend das Statut des Kantons der Voer, der vorsah, die sechs Gemeinden wieder aus der Provinz Limburg auszugliedern, um sie direkt dem Innenministerium zu unterstellen, wobei die französische und die flämische Sprache einen gleichen Stellenwert erhalten würden. Dieser Gesetzesvorschlag wurde von allen Regierungspartnern auch dann noch unterstützt, als der Staatsrat dazu ein negatives Gutachten abgegeben hatte, das im wesentlichen darauf fußte, daß die Verfassung nur vier Sprachgemeinschaften vorsieht und es nicht möglich ist, ohne entsprechende Verfassungsreform eine sprachliche Sondersituation zu schaffen. Denn, so der Staatsrat, ist laut Verfassung nur Brüssel-Hauptstadt als zweisprachiges Territorium vorgesehen. Die Diskussionen um diese Probleme führten sehr bald zu einer zweiten EYSKENS-Regierung, die aber gegen die Gutachten des Staatsrats nicht ankam und aus den eigenen proflämischen Reihen zum Stolpern gebracht wurde. Interessant war die Situation damals deshalb, weil deutlicher als heute sichtbar wurde, was sich hinter dieser Problematik versteckt!
So schreibt die einflußreiche flämische Tageszeitung DE STANDAARD Anfang November 1972:»... auf Seiten der Wallonen will man immer noch nicht verstehen ... daß es den Flamen gar nicht so sehr um die Voeren als solche geht, sondern um das Prinzip der Unverletzlichkeit der Sprachengrenze von 1962. Man fürchtet in Flandern, eine Konzession in Sachen Voer würde die Abwehr der großen Offensive gegen die flämischen Brüssler Randgemeinden behindern«.
Het Volk dazu, am 13. November 1972: »Was den Streitpunkt Brüssel betrifft, möchten wir folgendes sagen: für die CVP kommt es nicht in Frage, sei es nur ein Quentchen Territorium der ökonomischen Region Brüssel abzutreten. Unsere kategorische Antwort ist: »niet«. Es gibt noch flämische Interessen die uns wichtiger sind als eine Regierung«.
Das also steckt dahinter: die Angst, die jetzt zur flämischen Region zählenden Brüsseler Randgemeinden, wo viele Frankophonen wohnen, abtreten zu müssen. Und dies würde natürlich unweigerlich der Fall sein, wenn das Recht des Individuums dem Recht des Territoriums übergeordnet werden würde, wenn also die Situation in der Voer zugunsten der frankophonen Mehrheit interpretiert würde.