Grenzgeschichte DG - Autonome Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft

 

 

Deutsch, deutscher, am deutschesten 

Sie dachten vielleicht, am Ende wartet der Tod? Falsch: »Am Ende wartet die Assimilierung«, nämlich die der deutschsprachigen Belgier durch ihre wallonischen Landesgenossen. Und wer hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns vor dieser Schmach zu bewahren, sozusagen seine schützende Hand über unser völkisches und kulturelles Erbgut zu halten? Der »Rat der deutschen Volksgruppe« pardi! (pardon), die selbsternannten Vertreter einer bedrohten Spezies.

Sie haben keine Kosten gescheut und eine »fünfköpfige Expertengruppe« bemüht, die das herausgefunden hat, was sie wohl herausfinden sollte: die Abkommen zwischen der deutschsprachigen und der französischsprachigen Gemeinschaft schreiben die »Bevormundung« der ersteren durch die zweitere fest, schlimmer noch, die »Verneinung der Eigenpersönlichkeit«, die »kulturelle Kolonisation«, »den Eingriff in die territoriale Zuständigkeit«. Und am Ende wartet... eben, die Assimilierung. Nicht auszudenken!

Jetzt haben unsere Gemeinschaftspolitiker es endlich schriftlich: sie gehen mit unserer Autonomie um, als sei sie portionsweise im Ausverkauf zu haben. Liebe Wallonen, was darfs denn heute sein? Ein bisserl Kompetenz im Bereich berufliche Weiterbildung? Bitteschön. Und beehren sie uns bald wieder! Mit ihrer Großzügigkeit treiben die Verwalter unseres Kulturkramladens, diese unsere hiesigen Politiker, sie voran. Die Assimilierung nämlich. Dem muß Einhalt geboten werden: ein Exportstop in Sachen zwischengemeinschaftlicher Kulturgutaustausch tut not!
Wer kann sie denn noch ernst nehmen, diese völkisch besorgten Beobachter des gemeinschaftspolitischen Geschehens? Richtig ist, daß Ostbelgien auf die bestmögliche Wahrung seiner Interessen bedacht sein muß, und es ist wahrscheinlich, daß dies nicht immer der Fall war und ist. Es darf allerdings angenommen werden, daß die ostbelgischen Politiker Probleme dieser Art in den Griff bekommen, ohne den europäischen Gerichtshof wegen völkerrechtlicher Mißstände in Belgien anzurufen.

Es stimmt auch, daß Ostbelgien in wirtschaftlicher Hinsicht Nachteile erleidet, die zumindest zum Teil auf die mangelhaft durchgeführte Regionalisierung zurückzuführen sind. Doch ob unser Gebiet eines Tages in der Lage sein wird, beispielsweise größeren wirtschaftlichen Nutzen aus seinem Waldreichtum zu ziehen, hat etwas mit dem politischen Willen hinsichtlich der Durchsetzung eines Konzeptes zur sogenannten »eigenständigen Regionalentwicklung« zu tun. Das gilt für Ostbelgien genauso wie etwa für die noch »unterentwickeltere« Provinz Luxemburg, deren Bevölkerung französischsprachig ist, bis auf die im »Areler Land« natürlich, die ist nämlich »stumm« (siehe Grenz-Echo). Die Frage ist: was hat wirtschaftliches Denken mit ethnischer Zugehörigkeit zu tun? Nichts, aber auch gar nichts, es sei denn, im Falle von Weisheiten à la »die Deutschen sind fleißig, die Welsche sind faul«.

Du lieber Himmel, wollte man in allen Zweifelsfällen die politische Praxis - und das gilt für alle Länder - mit den jeweiligen Verfassungsbestimmungen konfrontieren und gegebenenfalls als Völkerrechts verletzend entlarven, es ergäbe sich gewiß eine lange Liste von unschönen Praktiken, gegen die sich die angeblichen wallonischen Assimilierungsversuche wahrlich wie ein Kavaliersdelikt ausnehmen würden: Berufsverbot in der BRD, Abschiebung von Ausländern in Belgien, vom Recht auf Arbeit ganz zu schweigen.

Die Minderheiten-schützer vom Volksgruppenrat wollen die absolute, die vollkommene Autonomie, unter Berufung auf die ethnische Zugehörigkeit. Bitte sehr. Man kann auch absolute soziale Gerechtigkeit wollen, unter Berufung auf die christliche Lehre oder den dialektischen Materialismus. Wer dafür mit der gleichen Verbissenheit einträte wie der Volksgruppenrat fürs bedrohte Deutschtum, würde wahrscheinlich - und leider Gottes - als hoffnungsloser Spinner und Weltverbesserer belacht.
Sie entblöden sich nicht, den Wallonen »kulturellen Kolonialismus« vorzuwerfen. Nicht nur, daß die Wallonen derzeit möglicherweise andere Probleme haben, als die Ostbelgier zum Franzosentum zu bekehren, es schreit geradezu zum Himmel, im Zusammenhang mit Abkommen und Gesetzen, die auf politischen Verhandlungen beruhen, einen Begriff zu verwenden, der nichts anderes bezeichnet als die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Unterdrückung vermeintlich unzivilisierter Völker durch die kulturträchtigen abendländischen Nationen.

Die »armen Schwarzen« dürfen - heute noch, und auch von Deutschen - »assimiliert« werden bis zum Geht-nicht-mehr. Darüber, was jene Verfechter des Deutschtums dazu sagen würden, wenn etwa Türken oder Marokkaner in der BRD die kulturelle, politische und soziale Gleichberechtigung forderten - und das hat wirklich mit Völkerrecht zu tun - kann man nur Vermutungen anstellen. Aber hier handelt es sich ja nur um die gezwungenermaßen importierte Ware Arbeitskraft. Was hat das schon mit Kultur zu tun...

Man muß ihre Bekenntnisse zu Europa, zu einem Europa der Regionen richtig einzuschätzen wissen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß sie eher einem romantischen Nationalismus entspringen, denn einem internationalen Solidaritätsgefühl. Die nebenstehende Abbildung wurde vor Jahren vom Volksgruppenrat verbreitet. Aus ihr sprechen nur Ressentiments, um nicht zu sagen revanchistische Gelüste, kurz eine stramme 70/71er Gesinnung. Ewig gestriger - und uneuropäischer - geht's nimmer. Nein, das künftige Europa braucht anderes Gedankengut...

Und noch etwas. Gewiß hat es nach dem Krieg Versuche gegeben, die »kulturelle Emanzipierung« der deutschsprachigen Belgier, wenn nicht zu verhindern, so doch in Grenzen zu halten. Auch läßt sich nicht leugnen, daß es immer wieder Ressentiments gegen uns gegeben hat und auch heute noch - wenn auch in geringerem Masse (?) gibt. Das ist gewiß bedauerlich. Aber leider auch verständlich. Und niemand müßte dies eigentlich besser begriffen haben, als die Deutschtümler vom Volksgruppenrat. Sie nähren ihre »Volksdeutsche« Gesinnung mit ihren anti-französischen Ressentiments und können den Wallonen ihre eigene menschliche Unzulänglichkeit nicht verzeihen, die darin besteht, daß sie eben nicht vergessen können und mitunter schuld sein mit deutsch(sprachig) sein gleichsetzen. Wer vor dem Holocaust die Möglichkeit hatte zu wählen zwischen Ethnie und Demokratie, und aufs »Volksdeutsche« gepfiffen hat, um dem Widerstand gegen die deutschen Faschisten beizutreten, der verdient wohl unsere uneingeschränkte Hochachtung.

Möglicherweise hat er's sogar aus Liebe zur Heimat getan.

 

 

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EXTERNE AUFTRÄGE


Koordination der „Aktionstage Politische Bildung“


Demokratieerziehung in Brüssel


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft in der „Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im pädagogischen Beirat des „Jüdischen Museums der Deportation und des Widerstandes in Mechelen“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Verwaltungsrat der Gedenkstätte Breendonk



 

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