Grenzgeschichte DG - Autonome Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft

 

 

Sozialistische Agitation unter den Eupener Arbeitern 

- erste Organisationsversuche aus dem belgischen Verviers


Dieser Artikel stammt von Herbert Ruland, Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes Arbeitergeschichte/Sozialgeschichte an der Volkshochschule der Ostkantone. Er beschäftigt sich mit den (fehlgeschlagenen) Versuchen Vervierser Sozialisten in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auch unter den Eupener Arbeitern Fuß zufassen und ist Teil einer größeren Untersuchung, die die Wechselbeziehungen zwischen der Eupener und der Vervierser Arbeiterbewegung im vorigen Jahrhundert zum Thema hat.
Wichtige Hinweise fand der Autor dabei in Jacques Wynants Hauptwerk: „Ainsi naquit une Industrie - la condition ouvrière à Verviers avant 1900“, Verviers 1984. Eigentlich wollte er auch die gesamte Studie Jacques Wynants zur Einsicht und Diskussion vorlegen, als wir alle vom Tode dieses, für die Vervierser und Eupener Arbeiterbewegung so bedeutsamen Mannes, überrascht wurden.
Sollen somit die nachfolgenden Zeilen eine kleine, nachträgliche Hommage für Jacques Wynants darstellen.

Im Regierungsbezirk Aachen traten zunächst Anhänger des von Ferdinand Lassalle gegründeten „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ (ADAV) auf den Plan (1); ihre erste nachweisliche Agitationsversammlung fand im dezember 1868 in aachen statt (2). 1869 erfolgte die kurzlebige Gründung eines auf diesen Prinzipien ruhenden Arbeitervereins in Stolberg, 1870 in Eilendorf. 1874 wurde der „Arbeiterverein für Aachen und Burtscheid“ vo dorthin zugezogenen „Eisenachern“ gegründet.

In Eupen dagegen lagen die Dinge grundlegend anders: hier gingen die ersten Versuche, die Arbeiter für sozialistische Ideen zu gewinnen, weder von »Lassalleanern«, »Eisenachern«, noch überhaupt von Deutschland aus, sondern von Vervierser Agitatoren und dorthin zugezogenen deutschen Fabrikarbeitern, die damals nahezu ein Viertel der Einwohnerschaft dieser Stadt ausmachten(3).

In der damals ebenso wie Eupen von der Textilindustrie geprägten wallonischen Nachbarstadt, hatten bereits die Ende August 1830, im Gefolge der belgischen Revolution ausbrechenden Unruhen, die Form eines proletarischen Aufstandes angenommen (4). Auch die Vorstellungen gewisser frühsozialistisch-utopischer Denker waren hier zu ihrer Zeit auf eine gewisse Resonanz gestoßen - ohne aber, wie andernorts auch - das eigentliche Arbeitermilieu zu erreichen(5).

Am 17. November 1867, war es in Verviers im Anschluß an eine Veranstaltung die unter dem Motto »l'emancipation des travailleurs doit être l'oeuvre des travailleurs eux-même« stand, zur Gründung einer Vereinigung »francs ouvrier« gekommen(7).

Sofort entfaltete die Gruppe eine rege propagandistische Tätigkeit. 1668 verging kaum ein Tag, an dem nicht in der Stadt selbst, oder aber in einer der nahe gelegenen Ortschaften des Vesdre-(Weser-) Tals eine Agitationsveranstaltung, zumeist für Angehörige einer bestimmten Berufssparte, stattfand. Die Propagierung gewerkschaftlicher Prinzipien, Einrichtung von Streik- und Unterstützungskassen, Antimilitarismus und Wahlrechtsreform, Abschaffung des Zensuswahlrechts, standen im Mittelpunkt der Erörterungen.

Im gleichen Jahr war auch der Anschluß der Vervierser Gruppe an die damals noch allen sozialistischen Strömungen offen stehende 1. Internationale erfolgt(7), sie bezeichnete sich nunmehr als »section Vervietoise de l'A.I.T.«.

Die Bewegung nahm zunächst einen erstaunlichen Aufschwung; nach einer Mitteilung im Sektionsorgan »Le Mirabeau« existierten im Jahre 1870 in Verviers und Umgebung über 40 der Internationalen angeschlossene Gruppen: »13 lokale Sektionen der A.I.T., eine deutsche Sektion (I.H.R. 1869 gegründet (8)), 12 Wiederstandskassen, 3 Ausbildungszirkel sowie 10 Vereinigungen verschiedener Art, darunter ein Gesangverein« (9).

Der organisatorischen Ausbreitung konnten zunächst auch interne ideologische Auseinandersetzungen, die immerhin zu Ausschlüssen und freiwilligen Austritten führten, nichts anhaben: moderat gemäßigte Elemente gerieten zusehends gegenüber extremistisch-revolutionären Kräften, die sich auf Proudhon beriefen und einen antiautoritären (anarchistischen) Sozialismus propagierten, in die Minderzahl(10).
Der Einfluß der Marx'-schen Sozialismuskonzeption auf die belgische Arbeiterschaft, sollte dagegen bis weit in die siebziger Jahre hinein gering bleiben(11).
Im Juli 1870,
schickten sich dann Agitatoren obiger Richtung an, auch die Eupener Arbeiter für ihre Ziele zu gewinnen. Ja, es soll den Vervierser Sozialisten nicht nur darum gegangen sein, hart jenseits der Grenze Fuß zu fassen, sie sollen sogar beabsichtigt haben, über Eupen hinaus nach Aachen und Köln vorzustoßen!

Dies wird jedenfalls in einem Polizeibericht behauptet, der sich im Eupener Stadtarchiv befindet und anschaulich den Verlauf einer am 3. Juli 1870 in Gemehret - auf belgischem Boden, direkt an der Stadtgrenze Eupens - abgehaltenen Versammlung schildert.
Er bietet weiterhin Aufschlüsse über die politischen Ansichten der Einberufer, zeigt aber auch, wie hier damals Ideen aufgenommen wurden, die das herrschende Staats- und Wirtschaftsgefüge teils kritisierten, teils offen in Frage stellten:

»Bericht über die am 3. Juli zu Gemehret stattgefundene Versammlung der Sozialdemokraten.
Der Verein der sogenannten Sozialdemokraten ist in Verviers vor kurzer Zeit ins Leben getreten und bezweckt wie alle derartigen Vereine, durch wöchentliche Beiträge eine Casse zu bilden, welche den Arbeitern in den Stand setzen soll, hieraus täglich ein gewisses zu erhalten, um bei etwaiger Arbeitseinstellung den Arbeitgeber zwingen zu können, ihnen einen höheren Lohn zu gewähren.
Dieser Verein soll sich, aus mir jetzt noch unbekannten Gründen, entzweit haben. Als Vorredner zu der gn. stattgehabten Versammlung war der bekannte Larondelle (13) aus Verviers, welcher daselbst eine Schankwirtschaft unter dem Beinamen »Zum Buchfink« führen und Redakteur eines kleinen unbedeutenden Journals (Le Prolétaire, H.R.) sein soll, erschienen.
Larondelle wird in Verviers auch als der »Buchfink« bezeichnet, weil in seiner Wirtschaft die Buchfink-Händler zu verkehren pflegen.
Der Hauptinhalt der Larondell'schen Rede war eine Gesellschaft, und durch wöchentliche Beiträge dieser, eine Casse zu gründen, wodurch es den Arbeitern möglich gemacht würde, seiner Zeit ihre Arbeit einzustellen und wo dann ein jeder aus der Kasse täglich zwei Francs erhielte (Bl. 2). Unter anderem hob Larondelle auch hervor; daß der Verein über die zutreffenden Arrangements sich noch nicht einig sei, die Arbeiter möchten nur zusammenhalten, er hoffe bei der nächsten Versammlung über 14 Tage - vom 17. ds Mts. - Näheres mitteilen zu können.
Der Verein gedenkt von Verviers aus über Eupen, Aachen, Stolberg, Eschweiler und Coeln sich weiter zu verbreiten.
In Begleitung des gn Larondelle befand sich der in Verviers aufhaltende Kloth (14), 29 Jahre alt, rue grand wohnhaft, Sohn des hierselbst auf Rothenberg Nr. 840 wohnenden Webers Kloth, welcher in einer langen Rede, unter Anführung des Prozentsatzes der im 19. Jahrhundert gefallenen Krieger zu beweisen suchte, wie unsinnig es sei, für einige Schweinehunde pp (womit wahrscheinlich die Staatsoberhäupter gemeint sein sollten) zu streiten und wie wütende Tiere aufeinander los zu gehen und sich zu bekriegen.
Ferner führte er die Summe der jährlichen Einnahme und Ausgabe, ohne irgendeinen Staat zu nennen, an und frug zum Schlusse, was nun mit den Mehreinnahmen gemacht würde und wo diese bleibe.
Ein großer Teil der Versammlung soll hierauf mit Bravo und »für die Reichen und Nichtstuer« geantwortet haben.
Gegen diese Redner hat zuerst der Stadtverordnete (El. 3) Schuster Hans von hier das Wort ergriffen und angeführt, wie unsinnig und zwecklos die ganzen Reden seien; die Arbeiter von Eupen würden zur Einigkeit und zum Zusammenhalten aufgefordert und der Verein selbst resp. deren Vertreter wären sich über die einschlagenden Mittel und Wege noch vollständig unklar.
Außerdem nahm der Weber Friedrich Keres, Gospertstraße hierselbst, das Wort und bedeutete dem Larondelle, daß die hiesigen Arbeiter genug verdienten und keine Streiks wollten, er Larondelle, solle nur das Maul halten und machen, daß er fort käme. Ferner solle Larondelle sich deutlicher aussprechen und nicht immer dasselbe wiederholen, er möge ihnen mal die Mittel in die Hand geben, wie man ohne zu arbeiten durch die Welt kommen könne.
Es mögen ungefähr 3400 Personen von hier der Versammlung, welche 4-6 1/2 Uhr währte, beigewohnt haben.
Larondelle und Kloth sind erst um 7 3/4 Uhr abgereist, und haben eine Liste zum Eintragen für Teilnehmer bis zum Schlusse offen gehalten, welche als dann dem Schuster Hadiamont von hier zur weiteren Eintragen übergeben worden sein soll. Man sagt, daß sich bereits mehrere Arbeiter eingetragen (Bl. 4) hätten, was wie auch alles hieran Bezughabendes zu erfahren meine erste Pflicht sein soll.
Wie man hört, soll dem Wirte zu Gemehret die Abhaltung einer ferneren derartigen Versammlung untersagt worden sein, widrigenfalls er zu gegenwärtigen hätte, aus seinem Lokal vertrieben zu werden
.
Eupen, den 6. Juli 1870
Der com. Polizei-Kommissar
Faestermann
(15)

Nach der Warnung an den Wirt, haben wohl zunächst keine weiteren derartigen Veranstaltungen mehr stattgefunden.
In der Zeit kurz vor der Kriegserklärung Napoleons d. III an Preußen (19.7.1870), in einer Periode zunehmender patriotischer Begeisterung in ganz Deutschland, waren auch in der Eupener Gegend antimilitaristische Töne nur schwer an den Mann zu bringen.

Propaganda und Aktion in diesem Sinne bestimmte aber gerade zu diesem Zeitpunkt die Aktivitäten der Vervierser Internationalisten (16); dem erwähnten Larondelle hatte diesbezügliches Engagement eine mehrmonatige Freiheitsstrafe eingebracht, aus der er erst wenige Tage vor obiger Veranstaltung entlassen worden war (17).

Weiterhin abschreckend auf die stark von der katholischen Religion beeinflußten Eupener Arbeiter, dürfte damals aber auch die antireligiöse Propaganda gewirkt haben, wie sie zuweilen auf Versammlungen, insbesondere auch im Verbandsorgan der Vervierser Internationalisten betrieben wurde (18).

Und auch in den beiden nachfolgenden Jahren fanden in Eupens nahe gelegenen, belgischen Gastwirtschaften Veranstaltungen wie die obige statt, die aber ebenfalls keinen Erfolg bei der Agitierung der hiesigen Arbeiter brachten (19).

Selbst beim großen Arbeitskampf im Eupener Textilgewerbe 1872, der schließlich zur Aussperrung von 5 000 hiesigen Arbeitern führte, war von einem sozialistischen Einfluß so gut wie nichts wahrzunehmen.

Bei dieser Bedeutungslosigkeit sozialistischer Ideen sollte es hier auch in den nächsten Jahren bleiben. Am 19. Juni 1978, wenige Monate vor Verkündung des »Sozialistengesetzes« konnte der Eupener Bürgermeister dem Landrat mitteilen, ...»daß hierselbst unter der Arbeiterbevölkerung sozialdemokratische Bewegungen nicht festgestellt werden können. Soweit mir bekannt, huldigt hierselbst nur der Webermeister des Herrn J.P. Fremerey Moritz Vogel, und der Webermeister des Herrn sozialdemokratischen Tendenzen.
Vogel stammt aus dem Königreich Sachsen./…/ Fey ist ein geborener Eupener« (20).

Anmerkungen:
1., vgl. zur Einführung in die Geschichte der deutschen, sozialdemokratischen Arbeiterbewegung z.B. Miller Suzanne/Potthoff Heinrich: Kleine Geschichte der SPD, Darstellungen und Dokumentationen 1848-1983, 5. Überarb. u. erw. Auflage Bonn, Bad-Godesberg 1983.

2., vgl. hierzu und für das Folgende: Lepper Herbert: Die politischen Strömungen im Regierungsbezirk Aachen zur Zeit der Reichsgründung und des Kulturkampfes 1867-1887; Diss. phil. (masch. schrifti), Bonn 1967, S. 152ff.

3., »Les allemands forment à Verviers un quart de la population totale car d'apres les indications officielles leur nombre atteint 8.000 (juillet 71) presque tous ouvriers de fabrique ou mieux appartenant à la classe ouvrière«, Der deutsche Kirchen und Schulverein zu Verviers in seinem Entstehen und seiner Entwicklung, hier zit. n.: Wy-nants Jacques: Ainsi naquit une Industrie. La condition ouvrière à Verviers avant 1900, Verviers 1984, S. 118.

4., dies ist dem Autor vorliegender Studie durch die systematische Auswertung von Originaldokumenten bekannt, deren Ergebnisse demnächst ebenfalls publiziert werden.
Zusammenfassend läßt sich sagen: in Verviers fiel der Ausbruch der belgischen Revolution 1830 mit einem Stillstand in den wichtigsten Textilbetrieben zusammen, was zu Arbeitslosigkeit und Not unter den Fabrik- und Manufakturarbeitern führte. Ermutigt durch die Brüsseler Ereignisse, entwaffneten die Vervierser Arbeiter in den letzten Augusttagen 1830 die vorsorglich aufgestellte Sicherheitskommission und die Bürgerwehr und stürmten die königlichen Kassen, wo sie »Effekten, Register und Papiere« vernichteten.
Nachdem Pläne bekannt geworden waren, daß die Arbeiter auch Fabriken stürmen und in Brand setzen wollten, flüchteten viele bedeutendere Tuchfabrikanten, um Leib und Leben fürchtend, ins benachbarte Eupen, wo oftmals verwandschaftliche Bande bestanden, oder aber auch direkt weiter nach Aachen, das als sicherer betrachtet wurde.
Um die Ruhe einigermaßen aufrechtzuerhalten, fanden sich Verwaltung und Fabrikanten bereits am 28./29. August zu bedeutsamen Zugeständnissen gegenüber den Arbeitern bereit: der Brotpreis sollte gesenkt, alle Pfänder mit einem Wert über 10 Gulden aus dem städtischen Lombard den Arbeitern unentgeltlich zurückgegeben werden.
Vielleicht einmalig in der Geschichte der Frühindustrialisierung steht aber wohl das unter dem Druck der Verhältnisse »von Seiten der Tuchfabrikanten die Versicherung gegeben wurde, daß man die Scheermaschinen nicht mehr brauchen wolle, die man bereits angefangen haben soll abzubrechen«. Ja teilweise wurden die Maschinen direkt den Arbeitern ausgeliefert, die diese dann auf öffentlichen Plätzen zerstörten!
Es sollte bis in die erste Jahreshälfte 1831 dauern, bis das neue belgische Gouvernement die Lage soweit unter Kontrolle hatte, daß auch die Fabrikanten wieder jedwede Rücksichten gegenüber den Arbeitern einstellen konnten; vgl. hierzu demnächst ausf.: Herbert Ruland: Die Auswirkungen der belgischen Revolution 1830 auf das preußisch-belgische Grenzgebiet (Arbeitstitel erscheint voraussichtlich 1988).

5., am 8. Juni 1831 erschien in Verviers der Hauptagigator der Idee St. Simons in Belgien, Deveyrier, der vor einer großen Zahl von Zuhörern sprach.
Dies hinterließ bei den Betroffenen einen so großen Eindruck, daß sogar beabsichtigt wurde, eine »St. Simon Familie« ins Leben zu rufen. In den nächsten Jahren wurden in Verviers und Dison die Gedanken St. Simons von einem gewissen Auguste Hoart verbreitet.
Im Jahre 1848, als sich Fourier in Belgien aufhielt, fanden dessen Vorstellungen im Lüttich-Vervierser Industriegebiet durch einen seiner wichtigsten Gesinnungsgenossen, Victor Considerant, eine gewisse Verbreitung.
Aus der Umgebung von Verviers, genauer gesagt aus Dison, stammt auch ein eigener, wenn auch theoriegeschichtlich nicht besonders beobachteter sozialistischer Denker, der Baron de Colins, Begründer eines nach ihm benannten »rationalen Sozialismus«.
Bei dem nachhaltigen Einfluß, den die Ideen Proudhons auf die Vervierser Arbeiterbewegung seit den späten sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatten, mutet es schon etwas seltsam an, daß Proudhon, der in den Jahren 1859-1862 einige Zeit bei seinem Freund Felix Delhasse im benachbarten Badeort Spa verbrachte, keinerlei direkten Kontakt zum Vervierser Arbeitermilieu fand, vgl. hierzu, Wynants: Ainsi naquit, a.a.O., S. 113-116, dort auch weitere Literaturhinweise.

6., vgl. hierzu und für das Folgende, wenn nicht anders angegeben: ebd., S. 119-125.

7., vgl. zur Entwicklung der 1. Internationalen: Braunthal Julius: Geschichte, Bd. 1, Berlin, Bonn-Bad Godesberg, 2. Aufl. 1974, hier insbes. S. 99-200; Nettlau Max: Der Anarchismus von Proudon zu Kropotkin. Seine historische Entwicklung in den Jahren 1859-1880 Geschichte der Anarchie Bd. 2, unveränd. Neugr. d. Ausg. Berlin 1927, Vaduz/Fl 1984, hier insbes. S. 65-282.

8., vgl., Wynants: Ainsi naquit, a.a.O., S. 124.

9.,ebd., S. 125.
9a, zur Theorie und Geschichte des Anarchismus vgl. neben dem unten angegebenen, mehrbändigen, heute schon klassischen Werk von Max Nettlau: Cattepoel Jan: Der Aanarchismus. Gestalten, Geschichte, Probleme. 3. überarb. und erw. Aufl. München 1979. Eine Übersicht über den noch äußerst defizitären Stand der modernen deutschen und internationalen Anarchismusforschung bietet: Lösche Peter, Anarchismus. Darmstadt 1977.

10., die anderweitigen Ansätze in Theorie und Praxis, wie sie innerhalb der beiden - damals nicht nur im Vervierser, sondern generell im belgischen Sozialismus - miteinander konkurrierenden Strömungen vertreten wurden, traten besonders deutlich in den Auffassungen zur Notwendigkeit einer Wahlrechtsreform (Abschaffung oder aber zumindest Abmilderung des auf den Einkommensverhältnissen basierenden Zensuswahlrechts) hervor, wie sie u.a. auch von breiten Teilen des liberalen Bürgertums gefordert wurde: während die gemäßigt-moderaten Kräfte für die Bildung einer landesweiten sozialistischen Arbeiterpartei eintraten, die nach Abschaffung des Zensuswahlrechts um eine Partizipation an der staatlichen Willensbildung bis hin zu einer Übernahme der gesamten Macht im Staate kämpfen sollte, lehnte die vorherrschende Richtung kategorisch jeden politischen Kampf ab.
Durch rein »ökonomisch-gewerkschaftliche Mittel - insbesondere Arbeitskampf und Generalstreik - sollte das herrschende kapitalistische System aus seinen Angeln gehoben werden.
Die Protagonisten dieser Richtung forderten weiterhin »eine Konstituierung der Arbeiter außerhalb des Staates, ein Parlament der Arbeit (représentation du travail, H.R.), einen mit dem ökonomischen Leben verbundenen Organismus, der dem politischen Organismus seine Kräfte entziehen und ihn zum Absterben bringen würde«. Nettlau, II, a.a.O., S. 132; vgl. auch Wynants: Ainsi naquit, a.a.O., S. I44f.
Nach Ansicht Max Nettlaus, Autor der bereits in den zwanziger Jahren entstandenen, wohl materialreichsten und profundesten Studie zur Entwicklung der internationalen anarchistischen Bewegung von ihren Anfängen bis in die Jahre nach dem 2. Weltkrieg, stellten die unten ausgeführten Vorstellungen der belgischen Aktivisten »den Wunsch einer proudhonistischen politisch-sozialen Verwirklichung dar, eine einzig darstehende Erscheinung« Nettlau, ebd.

11. »Denn, und dies ist das Hauptresultat der Betrachtung all dieser Jahre, - die anarchistischen Ideen waren damals nicht wie jetzt (1927, H.R.) spezieller Propagandagegenstand bestimmter Gruppen und allenfalls durch einzelne Syndikalisten mit Arbeiterorganisationen in gewissen, sehr lockerem Kontakt, sondern diese Ideen waren diejenigen, denen, in verschiedenartig abgetönter Art, die ganzen unter Arbeitern stattfindenden Bewegungen ihren wesentlichen Inhalt und ihre Richtung entnahmen.
Mit anderen Worten, es gab in den Jahren vor und bis 1870 in sehr großen Regionen gar keinen ändern Sozialismus oder nur verschwindend wenig. Dies kann für die Jahre 1869-1870 gesagt werden von Belgien /.../Nettlau, ebd., S. 143, vgl. auch ebd., S. 147.

12., im Vorfeld der unten näher zu erörternden Veranstaltung vom 3.7.1870, hatte es in den »Zeitungsberichten« des Eupener Bürgermeisters geheißen: »Am 3. Juli soll in dem benachbarten Gemehret eine internationale Arbeiter-Versammlung abgehalten werden. Ich glaube nicht, daß unsere hiesigen Arbeiter sich sehr daran beteiligen werden« SÄE 501.42, Eintr. u. d. 8.6.1870.

13., Andre-Joseph Larondelle (geb. 8.2.1833 - gest. 28.1.1881) von Beruf Weber, war Mitbegründer der »Francs Ouvriers« und erster Verantwortlicher Redakteur des »Mirabeau«. Bereits am 7. Februar 1869 legte er dieses Amt nieder, trat aus der Vereinigung aus und gründete ein eigenes Organ »Le Proletaire«, vgl. Wynants: Ainsi naquit, a.a.O., S. 125-272.

14., der hier erwähnte Kloth (richtige Schreibweise: Cloot, Vorname: Nikolas), sollte zumindest später, in der Zeit des Sozialistengesetzes eine bedeutendere Rolle in der Vervierser anarchistischen Bewegung spielen.
Vgl. dazu demnächst das Kapitel: Bemerkungen zur Tätigkeit deutscher Anarchisten und Sozialdemokraten zur Zeit des Sozialistengesetzes (1878-1890) im grenznahen Belgien, in: Ruland, Herbert: Die Entwicklung der Arbeiterbewegung im ehemals preußischen Kreis Eupen von der Reichsgründung bis zum Ausbruch des I. Weltkrieges. Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung im deutsch-belgischen Grenzgebiet (erscheint 1988).

15., Eupen, d. 6.7.1870: Der com. Polizei-Commissar Faestermann: Bericht über die am 3. Juli er. zu Gemehret stattgefundene Versammlung der social Demokraten, SÄE 646.01834-1875 Vol. I.

16., in der Zeit der wachsenden Spannungen zwischen Frankreich und Preußen, die einen Krieg zusehends wahrscheinlicher werden ließen, verstärkten die belgischen Sektionen der A.I.T. ihre antimilitaristischen Aktionen.
Im Mittelpunkt der Aktivitäten stand der Kampf gegen das belgische Aushebungssystem. Seit 1868 war gesetzlich die Zahl der jährlich Einzuziehenden auf 12000 festgelegt worden.
Die Auswahl geschah durch Losentscheid, wobei aber die Möglichkeit des Freikaufes gegen die für Arbeiter horrende Summe von 1600 Bfr. bestand (nach der Reichsgründung: 1 Bfr. = 0,80 M). Kein Wunder das Protestaktionen gegen dieses Rekrutierungssystem bei den Arbeitern breiten Zuspruch fand.
Am 20. Juni 1870 kam es in Verviers bei der Einberufung der Ausgehobenen aus den Jahren 1863 und 1865 zu Krawallen, die den Bürgermeister zum Einsatz von Gendarmerie und Militär veranlaßte. Berittene Gendarmerie ging mit gezogenem Säbel auf das Volk los, in der Nacht zum 21. wurde ein Textilarbeiter von einer Wache erschossen, vgl.: Wynants, Ainsi naquit, ebd., S. 145-153.

17., Andre Larondelle war bereits am 9. Januar 1870, bei Rückkehr von einer antimilitaristischen Demonstration in Lüttich verhaftet worden. Auch seine Entlassung aus dem Gefängnis in Verviers am 17.6.1870, war wieder mit Protestaktionen gegen den Militärdienst verbunden, vgl., ebd., S. 147.

18., vgl. hierzu., S. 153-156; die antiklerikale Einstellung der Vervierser Internationalisten war es letztendlich auch, die jegliche Verbindung dieser Organisation mit dem 1871 in Eupen gegründeten »Arbeiter-Casino« zum Scheitern verurteilte, vgl. demnächst: Das (Eupener) »Arbeiter-Casino«, in Ruland Herbert: Arbeiterbewegung ebd.

19., Lepper, Politische Strömungen, a.a.O., S. 154

20., Eupen, d. 19.6.1878, BM an LR: Kongreß der Sozialdemokraten betr. SÄE 646.0 vgl. auch Eupen, d. 5.7. 1878, LR an Reg. Präs., Congreß der Socialdemocraten in Gotha bzw. den Stand der socialdemocratischen Bewegung betr., HSAD, Reg. Ac, Nr. 4801.

 

 

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