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90 Jahre christliche Gewerkschaftsbewegung in Eupen
Teil 1
In diesem Jahr gedenkt man im ganzen Land in vielfältiger Form des 100. Gründungstages der nationalen christlichen Gewerkschaftsbewegung. So bedeutsam dieses Ereignis im Jahre 1886 für die belgische Arbeiterschaft in ihrer Gesamtheit war und auch heute noch ist, so wenig hatte es damals direkten Einfluß auf die Organisationsbestrebungen der Arbeiter in Eupen. Eupen Stadt und Land waren auf dem Wiener Kongreß der europäischen Großmächte im Jahre 1815 aus ihrer jahrhundertealten politischen Einbindung gen Westen hin herausgerissen und dem Königreich Preußen zugeschlagen worden. Für nunmehr etwas mehr als hundert Jahre wurde hier der Gang der Entwicklung weitestgehend durch die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten im preußischen »Vaterland« bestimmt und die unterschieden sich zum Teil erheblich von denjenigen im benachbarten Belgien. Es darf denn auch nicht verwundern, daß die Organisationsbemühungen der hiesigen Arbeiter trotz aller gegenseitigen Beeinflussung anders verliefen, als die der Arbeiter im nur wenige Kilometer entfernten Verviers etwa, und wir somit in diesem Jahre nicht nur des 100. Geburtstages der christlichen Gewerkschaftsbewegung in Belgien gedenken können, sondern auch eines weiteren bisher wenig beachteten Ereignisses das sich zum 90. Male jährt und für die Entwicklung der Arbeiterbewegung im Eupener Land und darüber hinaus von entscheidenster Bedeutung war: die Gründung des Christlich-sozialen Textilarbeiterverbandes von Eupen und Umgegend im Winter 1896. Die Bedingungen, die zur Entstehung dieses Verbandes, der ersten christlichen Gewerkschaftsorganisation in Eupen, führten, aber auch die Umstände, die das Leben der Arbeiter hier vor Ort in dem Jahrzehnt bestimmte, das zwischen den beiden oben angesprochenen Ereignissen lag, stehen im Mittelpunkt des nachfolgenden Aufsatzes. Er stammt aus der Feder von Herbert Ruland, verantwortlich an der VHS für das Forschungs- und Lehrgebiet 'Sozial-und Arbeitergeschichte des Eupener Landes'. Es handelt sich hierbei um zusammenfassende Aussagen aus einem im nächsten Jahre erscheinenden Buches des gleichen Autors: 'Entstehung und Entwicklung der organisierten Arbeiterbewegung im Kreis Eupen von der Reichsgründung bis zum Ausbruch des I. Weltkrieges '.
Auf weiterführende Quellenangaben wurde im nachfolgenden Text verzichtet, hier sei auf das demnächst erscheinende Hauptwerk verwiesen. An dieser Stelle sei ebenfalls angemerkt, daß die seinerzeit als Produkt eines VHS-Projektes entstandenen 'Beiträge zu einer Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Eupener Landes in französischer und preußischer Zeit' nunmehr soweit überarbeitet sind, daß mit einem Erscheinen dieses Buches wohl noch vor Weihnachten zu rechnen ist. Näheres über die hier angesprochenen Veröffentlichungen wird sowohl den nächsten Ausgaben des Zaungastes als (hoffentlich) auch anderen lokalen und regionalen Medien zu entnehmen sein.
Im Sommer 1886 herrschte in den Eupener Tuchfabriken reger Betrieb ausnahmsweise denn noch immer nicht waren hier die Folgen der 1872/73 ausgebrochenen, lange andauernden und bis dahin schwersten Krise seit Bestehen der kapitalistischen Produktionsweise überwunden. Hart hatte es die Eupener Textilindustrie in den siebziger Jahren getroffen, gerade in den Streichgarnspinnereien waren Betriebseinschränkungen, ja Stillegungen und Konkurse an der Tagesordnung gewesen. Der Eupener Maschinenbauindustrie war es eigentlich noch schlimmer ergangen. Sie war in größerem Umfange erst um die Jahrhundertmitte entstanden. Ihr rasanter Aufstieg in den sechziger Jahren hatte zunächst begründeten Hoffnungen Nahrung gegeben, daß diese, was Umsatz und Beschäftigtenzahl angehen, mit der hier dominierenden Textilindustrie einmal gleichziehen könnte, und somit die arbeitende Bevölkerung in ihrem Broterwerb nicht mehr vom Gang der Geschäfte in nur einem Industriezweig abhängig sein würde. Nunmehr war sie schon fast zur Bedeutungslosigkeit verkommen.
Mehr als tausend Arbeiter hatten die Stadt Eupen in den siebziger Jahren für immer verlassen müssen, andere, die in den benachbarten Städten, insbesondere in Aachen und Burtscheid Arbeit und Brot fanden, kehrten zumindest am Wochenende noch zu ihren Familien in die angestammte Heimat zurück.
Der bereits im frühen 18. Jahrhundert wegen seiner ausgedehnten Feintuchmanufakturen bedeutsame Industrieplatz Eupen, befand sich in der Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in einem Zustand allgemeinen Niedergangs, der, wenn auch durch Perioden besserer wirtschaftlicher Tätigkeit unterbrochen, eigentlich mit dem Ende der Napoleonischen Herrschaft 1814/15 eingesetzt hatte.
Dazu beigetragen hatten vor allem folgende Faktoren:
- Trennung vom großen, einheitlichen französischen Wirtschaftsraum 1814/-15, für den das verarmte, zunächst sogar noch durch Binnenzollgrenzen geteilte preußische Wirtschaftsgebiet und auch der 1834 gegründete Deutsche Zollverein nur teilweisen Ersatz bieten konnten;
- zunehmende Tendenz aller möglichenStaaten, sich mit hohen Zollschrankenzuschützen und auch das Wiedererscheinen der überlegenen englischen Handelsmacht auf den europäischen Märkten, von denen die Napoleonische Kontinentalsperre sie vertrieben hatte;
- die geographische Randlage der StadtEupen in ihrem neuen Vaterland, ihrnur unzureichender Verkehrsanschluß an das Landesinnere, insbesondere diestiefmütterliche Behandlung beim Bauder Welteisenbahn Köln-Aachen-Brüssel-Paris;
- die unzureichende Wasserversorgungder Eupener Textilindustrie.
Hinzu kamen branchenspezifische Probleme: bei den Streichgarnspinnereien war es, mehr noch als bei den Tuchfabriken, die nahezu ruinös wirkende belgische, insbesondere Vervierser Konkurrenz. Die (rechts-)liberale belgische Gesetzgebung ließ damals der Wirtschaft absolut freien Lauf, der Gang eines Industriebetriebes war damals einzig und allein durch die Höhe des zur Verfügung stehenden Kapitals und von den Möglichkeiten des Absatzes eingeschränkt. Minimalste Schutzgesetze, wie sie zunächst für jugendliche Arbeiter und Frauen in Preußen bestanden und während des hier zu betrachtenden Zeitraums durch die Bismark'sche Sozialgesetzgebung in einem für die damalige Zeit vorbildlichen Umfange ausgeweitet wurden, waren in Belgien unbekannt. Dort wurde, gerade in den Spinnereien, auch noch in den achtziger Jahren rund um die Uhr gearbeitet, Schulpflicht war unbekannt, Kinder fanden hier ab dem 7. Lebensjahr Verwendung!
Die Eupener Tuchfabriken, die in den sechziger Jahren zunächst erfolgreich den Binnenmarkt für ihre Produkte entdeckt hatten, stießen dort zusehends nicht nur auf französische und belgische Konkurrenz, sondern auch auf die der geographisch günstiger gelegenen Industriezentren Deutschlands, deren Fabriken sich zwangsläufig, da immer mehr Staaten Schutzzölle auf Wollprodukte einführten, ebenfalls dem Inlandsmarkt zuwandten. Der Eupener Maschinenbauindustrie war letztendlich ihre Produktpalette zum Verhängnis geworden, wurden doch hier vor allem Apparate für die Textilindustrie und da insbesondere wieder für die Streichgarnspinnereien hergestellt. Aber daran bestand hier begreiflicherweise seit den siebziger Jahren kein Bedarf mehr und nach außerhalb konnte, der schlechten Verkehrsanbindungen wegen, zusehends weniger verkauft werden.
Der im allgemeinen schleppende Gang der Fabriken bedeutete in den achtziger Jahren für die in Eupen verbliebenen Fabrikarbeiter- und arbeiterinnen:
- einen Jahresablauf mit 295 Arbeitstagen: frei war nur an Sonn- und Feiertagen, sowie an Kirmes;
- überlange Wochenarbeitszeiten (für erwachsene, männliche Arbeiter in denTuchfabriken und Spinnereien z.B. imJahre 1886 durchschnittlich 78 Wochenstunden, zusätzlich eventuelle Sonntagsarbeit);
- Löhne, die nur bei gelernten Arbeitern(und auch nur, wenn nicht konjunkturbedingt die Arbeitszeit eingeschränktwurde) ausreichten, eine mehrköpfigeFamilie zu ernähren,
- zur Sicherung des notwendigsten Familieneinkommens und um nicht der
- kommunalen oder privaten 'Wohlfahrtspflege' anheim zu fallen, Mitarbeit der Ehefrauen und der jugendlichen Familienmitglieder in den Fabriken. Schwerste Beeinträchtigungender Gesundheit: die männlichen Jugendlichen fielen oftmals durch ihrenschlechten Allgemeinzustand bei derMusterung zum Militärdienst auf; diemeisten Arbeiterinnen hatten Schwind-und Bleichsucht, Früh- und Fehlgeburten waren häufig.
Es waren Verhältnisse, die einfach nicht mehr hingenommen werden konnten und die Eupener Arbeiter veranlassen mußten, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und die Fesseln abzustreifen, die ihnen die kapitalistische Produktionsweise angezogen hatte, bzw. zumindest etwas zur Verbesserung ihrer mißlichen Lage zu unternehmen.
1886, im Jahr der Entstehung der christlichen Gewerkschaftsbewegung in Belgien, blies der deutschen Arbeiterschaft jedoch ein scharfer Wind ins Gesicht. Das Attentat eines Anarchisten auf Kaiser Wilhelm l. hatte dem Reichskanzler Fürst Bismark im Jahre 1878 den lange gesuchten Vorwand geliefert, im Reichstag ein Ausnahmegesetz gegen die 'gemeingefährlichen' Bestrebungen der immer stärker werdenden Sozialdemokratie einzubringen und auch durchzusetzen. Bis zur endgültigen Aufhebung dieses Gesetzes im Jahre 1890 wurde jede sozialistische Agitation, außerparlamentarische Tätigkeit und Wahlwerbung unter Strafe gestellt. Gewerkschaftliche Bestrebungen in Preußen waren damals auch weiterhin durch das reaktionäre Vereinsgesetz von 1850 erschwert, das insbesondere solche Organisationen, die eine Einwirkung auf öffentliche und soziale Belange bezweckten, der strikten staatlichen Kontrolle unterwarf.
Das Sozialistengesetz
In Eupen war im Jahre 1886 so gut wie nichts von einer sozialdemokratischen Arbeiterbewegung zu spüren (auch nicht von einer christlichen oder katholischen Arbeiterbewegung, betrat diese doch fast immer den Boden der Geschichte erst, wenn es galt, eine aufkommende sozialistische Konkurrenz zu bekämpfen und wenn möglich zu eliminieren). Auf dem Boden der Stadt Eupen wurde damals nur indirekt Geschichte der Arbeiterbewegung geschrieben: während der Zeit des Sozialistengesetzes nach Belgien geflüchtete, deutsche Sozialisten und Anarchisten, die u.a. Zellen in Brüssel und Verviers gebildet hatten, kamen hier illegal über die Grenze, um in den anliegenden Orten Propagandamaterial mit der Post in's Reichsinnere zu versenden ein 'grenzüberschreitender Verkehr', der der preußischen Polizei während der gesamten Dauer obigen Ausnahmegesetzes schwer zu schaffen machen sollte!
Von Arbeiterbewegung im eigentlichen Sinne sollte man in Eupen erst wieder gegen Ende der achtziger Jahre etwas vernehmen. Damals heuerte der Eupener Fabrikant J.F. Mayer für seine Filztuch- und Hutfabrik Fachkräfte aus Sachsen an. Doch diese brachten, außer der von ihnen erwarteten Arbeitskraft, noch etwas anderes mit nach Eupen: entwickeltes, sozial-demokratisches Gedankengut!
Unter maßgeblicher Beteiligung dieser Arbeiter konstituierte sich im März 1889 ein »Verein der Hutmacher von Eupen und Umgegend«, der nur einen Monat später Keimzelle eines (sozialdemokratischen) 'Arbeitervereins für Eupen und Umgebung' sein sollte. Der Agitation dieses Vereins zu den Reichstagswahlen im Februar 1890 war es dann immerhin zu verdanken, daß die sozialdemokratische Partei (SPD) in unserem Gebiet einen Achtungserfolg erringen konnte. Die Partei erreichte bei ihrer erstmaligen Kandidatur im Kreise Eupen 207 Stimmen (5,91% der Wahlberechtigten). Dies war sicherlich nicht besonders beeindruckend gegenüber jenen 93,91% für den Kandidaten Dr. Bock von der (katholischen) Zentrumspartei in Stadt und Land Eupen; aber immerhin hatte die Sozialdemokratie mehr Stimmen auf sich vereinigen können, als bei der vorherigen Wahl im gesamten Wahlkreis Aachen-Land-Eupen.
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Vertreterkarte der Eupener Tuchfabrik C. Hütter & Co, um 1900
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Und was auch bedacht werden muß bei der Beurteilung dieses Ergebnisses: den Bestrebungen obigen Vereines stand eine geschlossene Abwehrfront der kommunalen Behörden, der hiesigen Unternehmer, der Zentrumspresse, vor allem aber der katholischen Geistlichkeit gegenüber.
Als Gegenpol zum sozialdemokratischen Arbeiterverein hatten bereits im November 1889 katholische Arbeiter 'unter dem Schutze des hl. Joseph' den 'Christlich-sozialen Arbeiterverein für Eupen und Umgegend' gegründet. Statutengemäß sah dieser seine Aufgabe darin, auf religiös-katholischer Grundlage 'die Interessen sämtlicher Arbeiter Eupens und Umgegend in geistiger, moralischer und materieller Hinsicht zu vertreten und zu fördern'.
Gleichzeitig bereitete der Pfarrer und Definator der Eupener St. Josefs Pfarre Hax auf Veranlassung des Kölner Weihbischofs Fischer die Gründung einer 'Mariannischen Männer-Kongregation' vor. Vor allem durch 'Pflege der Religion unter den Eupener Männern aller Stände' sollte die Kongregation nach dem Willen ihres Gründers 'Bebels Konzept' (der Name eines der bedeutendsten Führer der damaligen deutschen Sozialdemokratie steht hier für die doch sehr vereinfachenden Vorstellungen, die Pfarrer Hax vom Wollen dieser Partei hatte: 'Republik, Sozialismus, Atheismus; d.h. auf gut Deutsch: weg mit dem Könige, weg mit dem Eigentum, weg mit Gott') entschieden entgegen wirken. Nur fünf Jahre nach Gründung der Kongregation konnte Hax bei einem Besuch des Kölner Erzbischofs in Eupen befriedigt (und zutreffend) resümieren:
»Soll ich nun ein kleines Bild des Lebens in der Kongregation entwerfen? Es sind die schlechtesten Männer nicht, die derselben angehören; wir Geistliche sind stolz auf unsere Kongregation. War es notwendig, zu all den Vereinen die in Eupen bestehen, noch einen neuen Verein zu gründen? Der Erfolg zeigt, daß es notwendig war. lm Jahre 1890 hörten wir hier in Eupen recht viel von Sozialdemokratie, und man gab sich viel Mühe, unsere guten Eupener Arbeiter hinüberzuziehen. Damals machte sich hier die sozialdemokratische Partei geltend; heute hört man nichts mehr davon. Ich glaube, daß die Männer-Kongregation sich dies mit als Verdienst anrechnen kann«.
Sozialdemokratische Aktivitäten kamen in Eupen 1895 also nicht mehr vor: die auswärtigen Hutmacher und Filzer waren durch Arbeitsentzug längst von hier vertrieben worden. Auch der Versuch, der liberalen Fortschrittspartei nahestehenden 'Hirsch-Dunker'schen-Gewerkvereine' im gleichen Jahre unter den hiesigen Textilarbeitern eine Filiale zu gründen, ging gänzlich daneben. Christliche Gewerkschaften, die selbständig von Arbeitern ohne Bevormundung der Geistlichkeit geführt worden wären, gab es damals in Eupen ebenfalls noch nicht. Lediglich im Rahmen der Mariannischen Männer-Kongregation und im Christlich-Sozialen Arbeiterverein existierten sog. Fachabteilungen für Weber.
Trotz der erdrückenden Verhältnisse im Eupener Textilgewerbe, mußte wohl erst etwas Außergewöhnliches passieren, um die hiesigen Arbeiter zum Anschluß an, oder gar zur Gründung einer eigenen gewerkschaftlichen Schutzorganisation zu ermuntern. Doch schon nahte die wohl größte Herausforderung an den Widerstandswillen der Eupener Arbeiter, seit hier zu Anfang des Jahrhunderts die ersten Maschinen aufgestellt worden waren.
(Fortsetzung im nächsten ZAUNGAST)
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