Grenzgeschichte DG - Autonome Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft

 

 

Bürgerinitiative gegen die Atomkraft 



Fröhliche Waldbeerzeit!


In folgendem Interview stellt der ZAUNGAST eine Bürgerinitiative vor, die sich nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl gebildet hat. Die 'betroffenen' Mütter geben Antworten vor allem auch auf Fragen, die mit dem Verzehr gewisser Nahrungsmittel zusammenhängen.

Wie ist diese Bürgerinitiative entstanden?
Befreundete Mütter haben sich nach dem Reaktorunfall Gedanken gemacht. Wir machten uns Sorgen um unsere Kinder ... Schließlich wollten wir die hiesige Bevölkerung wachrütteln. Hinzu kam, dass wir uns von den verantwortlichen Politikern für dumm verkauft fühlten. Uns fehlte einfach eine vernünftige Aufklärung.

Hat Eure Bürgerinitiative eigentlich einen Namen?
Nein, sie hat keinen Namen. Darüber haben wir uns gar keine Gedanken gemacht am Anfang, nachher allerdings hat die Sache größere Ausmaße angenommen. Zu Beginn war es nichts als eine spontane Reaktion, die nicht darauf abzielte, eine feste Gruppe zu bilden, auf lange Sicht.

Warum besteht die Gruppe ausschließlich aus Frauen?
Wir dachten, es sei am naheliegendsten, Frauen anzusprechen, da sie doch diejenigen sind, die sich um die Kinder und damit auch um die Ernährung kümmern. Wir gingen davon aus, dass sich alle Mütter Sorgen machen.

In der Öffentlichkeit, so z. B. auf der Kundgebung am 23. Mai in Eupen, werdet ihr von Außenstehenden oft als eine 'Gruppe Grüner' abgetan, die doch nur wahltaktische Arbeit leistet. Wie steht ihr zu dieser Behauptung?
Tatsächlich sind wir eine parteipolitisch unabhängige Gruppe, die es auch bleiben soll. Denn wir glauben, dass für alle Bürger, gleich welcher Partei sie angehören, einfacher ist, sich in einer Bürgerinitiative zu engagieren. Die Bezeichnung 'Grüner' wird oft nahezu als Schimpfwort verwendet. Von vielen Leuten wird dieses Wort mit einer solchen Aggressivität ausgesprochen, die wir eigentlich nur damit erklären können, dass sie ihre eigenen Ängste verdrängen wollen, weil sie fürchten, sich mit den Konsequenzen auseinandersetzen zu müssen.

An der Kundgebung haben ca. siebzig Frauen und einige Männer teilgenommen. Worauf führt ihr zurück, dass sich nicht mehr Frauen und Männer angeschlossen haben? Fühlen sie sich nicht betroffen?
Für viele Frauen waren sicher etliche psychologische Barrieren vorhanden: so z. B. die Angst, sich auf der Straße bei einer Demonstration zu zeigen. Oder weil der Mann nicht einverstanden war. Durch die unzureichende Information über die Folgen für die Bevölkerung waren viele Leute zuerst einmal verwirrt und verunsichert. Ein großer Teil der Bürger versteckt seine Angst und Ratlosigkeit hinter einer dicken Mauer. Viele denken nicht über die Konsequenzen für sich und ihre Kinder nach und lassen aus Furcht vor ihrer eigenen Hilflosigkeit das Thema Tschernobyl gar nicht an sich heran.




Wie sieht es nun mit den langfristigen Auswirkungen des Reaktorunfalls in unserem Gebiet aus, insbesondere was die Nahrungsmittel betrifft? Was dürften oder sollten wir
langfristig gesehen nicht mehr essen?
Die langfristigen Auswirkungen sind, wie wir ja wissen, noch gar nicht alle abzusehen. Welche Schäden die radioaktive Strahlung auf welche Art und Weise im menschlichen Organismus auslöst, das ist im Detail noch wenig erforscht. Was die Nahrungsmittel betrifft, so hat man, bis heute, noch keine endgültigen und einheitlichen Mitteilungen machen können. Bei Fleisch und Fleischprodukten hängt der Grad der radioaktiven Belastung vor allem von der Ernährung der Tiere ab. Da hier importierte Futtermittel die keiner Kontrolle hinsichtlich der Radioaktivität unterliegen eine große Rolle spielen, kann man keine allgemeingültigen Aussagen machen.
Bei Fischen aus stehenden Gewässern ist ebenfalls Vorsicht geboten, wie das Beispiel Schweden zeigt, wo ja vor dem Verzehr von
Süßwasserfischen gewarnt wurde. Als langfristig problematisch gilt mit Sicherheit der Verzehr von wild wachsenden Pflanzen, vor allem von Pilzen und, in etwas geringerem Masse, von Waldbeeren, was sicherlich von vielen ostbelgischen Bürgern bedauert wird. Vor allem Pilze nehmen wesentlich mehr Cäsium 137 (bis zu 5O%!) aus dem Boden auf als andere Pflanzen, und auch die Aufnahmerate für Waldbeeren liegt recht hoch. Da die Halbwertzeit für Cäsium ca. dreißig Jahre beträgt (d.h. die Cäsiumwerte haben sich nach dreißig Jahren halbiert), werden wir und die Generationen nach uns ein Leben lang auf Waldbeerfladen, Waldbeermarmelade, usw. verzichten müssen. Auch vor Wildfleisch muss gewarnt werden. Vor allem sollte man aber auf den Verzehr von Innereien verzichten, da Niere und Leber höher belastet sind als Muskelfleisch und Fett.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Warnungen auch ernst genug genommen werden. Der Verzehr weicher Nahrungsmittel ist nach euren Informationen unbedenklich?
Als weniger belastet gelten Gemüsesorten wie Möhren, Spargel, Zwiebeln oder Kartoffeln, die unter der Erde wachsen oder Gemüsesorten mit dicker Schale wie Kohlrabi, die direkt über der Erde heranwachsen. Getreideprodukte (z.B. Gerste und Hafer, aber auch Hirse) nehmen im Vergleich zu anderen Nahrungsmitteln wenig Radioaktivität aus dem Boden auf, ebenso das Obst von Bäumen. Mehr oder weniger unbedenklich ist auch der Verzehr von Salzwasserfischen. Reis ist auf jeden Fall zu empfehlen. Reis ist ein Flüssigkeitsträger und schwemmt Wasser aus dem Körper und somit auch belastende Stoffe.


Reaktion eines Lesers auf Tschernobyl
Spätestens seit dem spektakulären Challenger-Unfall oder der folgenschweren Reaktorkatastrophe vor Tschernobyl ahnen die Menschen welche unabsehbaren Gefahren das Atomzeitalter mit sich bringt. Nicht nur die Katastrophen an sich geben zu Bedenken, ja zu einer wirklichen Zukunftsangst Anlass.
Ver
schiedene Sachzwänge verbieten den politischen Verantwortlichen, etwa bei Reaktorunfällen das wahre Ausmaß der Katastrophe zuzugeben. As verständlichen (?) Gründen will man eine, in Windeseile um sich greifende Panik vermeiden. Die relativ späte Bekanntmachung der »Fast-Katastrophe« im französischen Kernkraftwerk Bugey (Südostfrankreich) und der Skandal um den deutschen Reaktor von Hamm-Unetrop sind hierfür unleugbare Indizien. Zudem: wenn einerseits versichert wird, man beherrsche die Technologie im Nuklearbereich, dann aber andererseits mit »Neandertalmethoden« von Hubschraubern aus Sandsäcke auf einen freigesetzten Reaktorkern abgeworfen werden, oder die Windrichtung über den Grad der radioaktiven Verseuchung entscheiden soll, dann muss einem schon angst und bange werden. Andere Frage: wie »sicher« sind Kernkraftwerke eigentlich im Falle einer Naturkatastrophe oder eines Flugzeugabsturzes?
Oder:
welchen Wert haben öffentliche Notpläne falls sie überhaupt existieren wenn es darum geht, hunderttausende von Menschen zu evakuieren? Für uns Qstbelgier liegt Tihange praktisch vor der Haustür. Auch das sollte nicht vergessen werden.

Roger Garaudy schrieb Anfang der siebziger Jahre: »die notwendige logische Folge des blinden Wettlaufs nach Gewinn um des Gewinns willen und nach Wachstum um des Wachstums willen lautet: Technik um der Technik willen und Wissenschaft um der Wissenschaft willen. Das geheiligte und gleichwohl nie ausgesprochene Postulat unserer Gesellschaftsformen, das alles, was technisch möglich ist, auch wünschenswert und möglich sei, erweist sich immer mehr als mörderischste von allen«.
B. dV.



 

 

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