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Die 1. Internationale in Verviers - Teil 2 

BRÜSSELER EINFLÜSSE

Die Ursachen für ein so außerordentliches Ereignis wie die Bildung einer Sektion der 1. Internationalen in Verviers, sind vielfältig und schwer einzuschätzen. Fest steht, dass sich auf intellektueller Ebene in Verviers zu jener Zeit einiges getan hat, was allein schon durch die Tatsache belegt wird, dass sich eine Reihe von Gruppen bildete, die sich für die Arbeiterfortbildung und die Besserung der sozialen Zustände einsetzte.

Eine dieser Zellen, «Reform durch Aktion», die sich nahezu ausschließlich aus Arbeitern zusammensetzte, hatte sich die Durchsetzung der Reform des Zenzuswahlrechtes zur Aufgabe gemacht. Diverse Vorhaben, die auf eine Verallgemeinerung des Wahlrechtes hinzielten, standen zur Diskussion: nicht nur von einer Herabsetzung des Zens war die Rede, sondern auch von der Möglichkeit, alle Bürger zur Wahl zuzulassen, die lesen und schreiben konnten. Das Vorhaben war in zweifacher Hinsicht interessant: zum einen hieß dies, dass eine große Zahl der Arbeiter wählen durfte, vor allem jene, die einen Beruf ausübten, in dem Lesen und Schreiben können erforderlich war, und zum anderen leistete es einer weiteren Alphabetisierung der Bevölkerung Vorschub. Die Reformpläne wurden von einer breiten Propaganda getragen, die sich, ausgehend von einem Zentralkomitee in Brüssel, auf das ganze Land ausweitete.

Am 18. Februar 1866 fand ein erstes Meeting statt, zu dem die Gruppe «Reform durch Aktion» aufgerufen hatte. Es wurde in der Verwahrschule von «Les grandes Rames» abgehalten und wurde von zahlreichen Arbeitern und Bürgern besuch! Vorsitzender war der Vervierser JAMAR, der später auch zu den Militanten der Internationalen gehörte. Er war ebenfalls Delegierter eines Weiterbildungszirkels, «Le solitaire». Corneil GONZE, eine lokale Berühmtheit, Erfinder des famosen Ausdrucks «Bacarolle Vervietoise», der seinerzeit von der lokalen Gemeindeschrift wiedergegeben wurde, wird als Präsident des Vervierser Arbeiterverbandes vorgestellt. In Wirklichkeit setzte sich dieser Verband aus Arbeitsinvaliden zusammen und seine einzige und sicherlich ehrbare Zielsetzung bestand darin, für die Entschädigung der Arbeitsunfallopfer einzutreten.

Vier Vertreter aus Brüssel nehmen teil, unter ihnen Henri KATS und VANDERSLAMGDEN, bei Schriftsetzer, sowie Michel BRUN, ein Geigenbauer. Sie zählten später zu den rührigsten Mitgliedern der 1. Internationalen in Brüssel.

Ein zweites Meeting findet am 27. April statt. Dreihundert Personen nehmen daran teil. Dank dieser Kampagne kommt es zu Kontakten mit dem Brüsseler Arbeitermilieu, die das Zustandekommen einer Arbeiterbewegung in Verviers beschleunigen.

DIE «FREIEN ARBEITER» UND DIE GRÜNDUNG DER INTERNATIONALEN
Es scheint, als sei die im Oktober 1867 veröffentlichte Broschüre «L'avenir des travailleurs» (Die Zukunft der Arbeiter) das erste Anzeichen einer sozialistischen Präsenz in Verviers. Der Verfasser ist eine originelle Persönlichkeit, die noch von sich reden machen wird. Gleich zu Beginn gibt er einen Satz wieder, den er als «Lieblingsausspruch eines Fabrikanten aus Dison» bezeichnet: «Die Arbeiter müssen Gras fressen!».
Damit ist der Grundton gegeben. Der Autor bemüht sich um eine einfache Sprache, sozusagen als Reaktion gegen «die großen Worte, derer die Reichen sich bedienen, um das Volk hinters Licht zu führen». Der Schreiber des Pamphlets erhebt keine Einwände gegen den Maschinismus, bemängelt aber, dass er den Arbeitern nicht zum Wohle gereicht und die Zahl der Reichen zunimmt, die leben, ohne einen Finger zu rühren. Die Arbeit, sagt er, ist von Gott gegeben und niemand darf sich dieses Eigentum Gottes aneignen. Er entrüstet sich über das ausschweifende Leben der Reichen, ihren Luxus, ihre Pferde, ihre Fahrzeuge, ihre Dienerschaft, ihre sexuellen Exzesse. «Häufig wiegen Männer Kinder auf ihren Knien, von denen sie lediglich glauben, dass es die ihren sind.» (Dieser Satz ist im Text fettgedruckt.)
Der Autor greift hier Zustände an, die nur zu bekannt sind. In seiner direkten, unverblümten Sprache, die ihre Wirkung schlechterdings nicht verfehlen konnte, verspottet er all jene die für mehr Bildung eintreten. Bildung ist lediglich Unterwerfung, Manipulation und geistige Entfremdung. «Unsere Bäuche werden davon nicht voller. Man sagt nur, dass wir wenig essen, viel arbeiten, uns nicht auflehnen und nicht jene Herren beneiden sollen, die sich hemmungslos dem Luxus hingeben, während wir vor Hunger krepieren.»

Mit Vehemenz klagt er die Hausknechte, Kutscher, Lakaien und Kammerdiener an, «die nichts anderes tun, als diesen Herren den Hintern abzuwaschen». Er tritt für die Gründung einer Art internationaler Freimaurerschaft aller Arbeiter ein. Er verurteilt das Streben nach Geld, von dem er glaubt, dass es den göttlichen und natürlichen Gesetzen widerspricht. Die Ideen, die er entwickelt, sind von den Theorien der Arbeiterselbstverwaltung nicht weit entfernt. Die Sprache ist aggressiv, doch der Autor verurteilt jedwelche Gewaltausübung, die in jedem Fall zu vermeiden sei.

Die Schrift, die zu sehr niedrigen Preisen vertrieben wird, findet bei der Arbeiterschaft sofort Gehör, denn sie drückt auf unverblümte Weise die Verbitterung und innere Auflehnung aus, die die meisten nicht offen zu bekunden wagen oder bekunden können. Einige Wochen später, am 17. November, findet eine Sitzung statt, die die Gründung der «Vereinigung der freien Arbeiter» zum Ziel hat. Thema: «Die Emanzipation der Arbeiter muss das Werk der Arbeiter selbst sein». Nach der konstituierenden Versammlung treffen sich die Mitglieder der Vereinigung am 24. November im Café de la Pisseroule in Dison. Zur Diskussion steht der Entwurf einer inneren Ordnung. THIRY wird zum Vorsitzenden ernannt und man beschließt die Herausgabe einer Arbeiterzeitung.

Die provisorisch verabschiedete innere Ordnung wird in der ersten Ausgabe der neuen Zeitung, die den Namen «LE MIRABEAU» trägt, veröffentlicht. Die Unterzeichneten sind P. CROISIN, Präsident und F.J.THIRY, Sekretär. Hier einige bezeichnende Auszüge aus dem Reglement:
- Um Mitglied der «Vereinigung der freien Arbeiter» werden zu können, muss man mindestens 18 Jahre alt (16 Jahre, wenn ein erwachsener Familienangehöriger angeschlossen ist) und «einfacher Arbeiter» sein. Wenn letzteres nicht der Fall ist, fällt die Entscheidung nach zwei Wahlgängen, auf der Generalversammlung und innerhalb des Zentralkomitees.
- Das Beitrittsrecht beläuft sich auf 5O Centimes, der Jahresbeitrag auf 6O Centimes. Im Vorwort zur Inneren Ordnung verwahrt sich die Vereinigung dagegen, dass in ihrem Narmen antireligiöse Agitation betrieben wird.

Später werden wir sehen, dass es bei dieser schönen Absicht - die
Wahrung der religiösen Neutralität - bleibt. Der Grund dafür ist der Beitritt der Vereinigung in die 1. Internationale. Dazu kommt es rasch: im Mai 1868.

DIE ZEITUNG «LE MIRABEAU»
Die erste Ausgabe erscheint am 1. Dezember 1867 in tausend Exemplaren. Die Auflage der zweiten und dritten Nummer beläuft sich auf 3.0OO bis 4.OOO Exemplaren. Diese Zahlen beruhen jedoch auf Angaben der Herausgeber selbst, weshalb gewisse Vorbehalte angebracht sind. Bis Oktober 1869 erscheint das Blatt monatlich, danach alle zwei Wochen und schließlich ab 187O, jede Woche.



Anfänglich rein lokal bezogen, trägt die Zeitung bis zur 5. Ausgabe die Bezeichnung «Sprachrohr der Vereinigung der freien Arbeiter», die dann, ab der 6. Nummer vom 3.Mai 1868, mit dem Zusatz versehen wird: «Vervierser Sektion der A.l.T.». Ab der 21. Ausgabe vom 1. August 1869 wird die Zeitung «Sprachrohr der Sektionen des Wesertals» umbenannt und sie behält diese Bezeichnung bis zur Nummer 233 vom 4. Januar 1874.
Die Nummer 234 bis 337 (vom 2. Januar 1874 bis zum 2. Januar 1876) tragen den Untertitel »Sprachrohr der belgischen Sektionen», bis es dann zur letzten Umbenennung kommt: die Nummern 338 (9. Januar 1876) bis 554 (8. Mai 188O - Datum des letzten Erscheinens) heißen «Sprachrohr der wallonischen Sektionen».
Diese Umbenennungen spiegeln ein wenig den Werdegang der Sektionen der 1. Internationalen und vor allem natürlich der Vervierser Sektionen wider.

Die Originalität des «Mirabeau» - und dies erklärt auch seine Popularität - liegt in der Tatsache, dass sie eine Arbeiterzeitung ist, die aus dem Arbeitermilieu heraus entstanden und von keiner anderen sozialen Schicht abhängig ist.

Der Einfluss der Zeitung auf die Arbeiterschaft ist offensichtlich und bereitet der Obrigkeit einige Sorgen. Zum Erfolg der Zeitung trägt auch ihr Preis bei, der verglichen mit dem der anderen lokalen Blätter und regionalen Schriften der A.LT., äußerst niedrig ist.

Ein weiterer Grund für die weite Verbreitung ist die Tatsache, dass den Arbeitern eine ganze Rubrik vorbehalten ist, in der sie ihre Anliegen vorbringen können. Man ergeht sich denn auch in die Beschreibung der Skandale, Ungerechtigkeiten und Auswüchse, die in den Fabriken, in den oberen Kreisen und nicht zuletzt auf Ebene des Klerus anzutreffen sind und man scheut sich nicht, die zahlreichen Autoritätsmissbräuche, die sich die großen wie die kleinen Chefs zuschulden kommen lassen oder auch die offenkundige Verachtung der Reichen für die niedrigen Stände, anzuprangern. So kann man lesen, dass dieser oder jener Vorarbeiter nur jenen Frauen Arbeit gibt, die sich «erkenntlich» zeigen, oder ein anderer seine Untergebenen beleidigt und Drohungen aussetzt. Da ist der Chef, der die leichte und gut bezahlte Arbeit an die Leute verteilt, die im Geschäft seiner Frau einkaufen, der, der von seinen Arbeitern verlangt, dass sie nur in seinem Etablissement verkehren. Von einem Arzt in der Stadt, der zum Bett eines Kranken gerufen wurde, erzählt man sich, er sei am Fenster seines Schlafzimmers erschienen und habe von dort aus gerufen: «Ich bin zu Bett gegangen und da bleibe ich auch». Dieser Satz wird in mehreren Ausgaben wiedergegeben, unter Angabe des Namens des Arztes, der somit öffentlich an den Pranger gestellt wird. Ein anderer Arzt, der zu einem Sterbenden gerufen wurde, bestand darauf, vorher noch zu Abend zu essen und ließ wissen, dass, «wenn man schon Zeit zum Sterben hat, man auch Zeit zum Essen haben muss». Auch dieser Satz wird über Monate hinweg in der Zeitung veröffentlicht.
Ist es ein Wunder, dass eine Zeitung, die sich eines solches Stils befleißigt, das Interesse der Leser weckt? Es lässt sich leicht vorstellen, wie diese Enthüllungen aufgenommen wurden. In den Arbeitervierteln und Fabriken versammelt sich alles um diejenigen, die lesen konnten und man erging sich in ausführliche und schadenfrohe Kommentare.

DIE ENTWICKLUNG DER A.I.T.
Überall stehen Gruppen der Internationalen oder Vereinigungen, die von ihnen ins Leben gerufen wurden. 1867-68 zählt man bereits Sektionen der A.I.T. in Verviers, Ensival, Pépinster, Cornesse-Wegnez und Polleur.

1869 kommt es zur Gründung einer deutschen Sektion. Desgleichen entstehen acht Widerstandskassen und einige Fortbildungszirkel. Die Bewegung der Internationalen weitet sich aus auf Dison, Dolhain, Stembert, Petit-Rechain und Nessonvaux.

In 187O hat die Bewegung bereits ein bemerkenswertes Ausmaß angenommen. In einer Ausgabe des «Mirabeau» des betreffenden Jahres sind über 4O Gruppen angeführt: 13 Lokale Sektionen der A.I.T., eine deutsche Sektion, 12 Widerstandskassen, 3 Ausbildungszirkel, sowie 10 Vereinigungen verschiedener Art, darunter auch ein Gesangsverein. Es gibt keine Angaben bezüglich der Zahl der angeschlossenen Mitglieder. Fest steht, dass die Bewegung als solche, die A.I.T., weitaus mehr Einfluss ausübt, als es die tatsächliche Stärke der einzelnen Sektionen, die manchmal zahlenmäßig recht unbedeutend sind, vermuten lässt. Dies gibt auch FLUSE auf einem Kongress der 1. Internationalen im September 1868 in Brüssel zu.

Es verläuft bei weitem nicht immer alles völlig reibungslos. F.J.THIRY, eine wichtige treibende Kraft innerhalb der Bewegung, wird gleich zu Beginn ausgeschlossen. Es scheint, als seien es vor allem ideologische Differenzen gewesen, die zu diesem Schritt führten oder zumindest den Vorwand dafür lieferten. Man wirft ihnen «Abweichlertum» vor. Andre LARONDELLE, einer der Mitbegründer der «freien Arbeiter», verlässt die Vereinigung Anfang 1869 und gibt eine eigene Zeitung heraus: «Le proletaire».

Die Namen der Leute, die 1869 an der Spitze der «freien Arbeiter» standen, sind bekannt. Es sind dies DAMSEAU, BOUILLARD, MAWET, MANGUETTE, PIERRAUX, FLUSE, PICARD, MARECHAL und HANSENNE. Samt und sonders Personen die später noch von sich reden machen werden.

Es spricht vieles dafür, dass innerhalb der Gruppe der «freien Arbeiter» zwei Tendenzen zutage traten: eine gemäßigte und eine extremistisch-revolutionäre. Diese entgegen gesetzten Strömungen sorgten für interne Zwistigkeiten, die zu den erwähnten Ausschlüssen oder Abgängen führten. So steht denn fest, dass gleich zu Beginn die Arbeiterbewegung geteilt, ja manchmal zerstritten war, und das ist bis heute so geblieben:

Doch trotz dieser Gesinnungskonflikte fasst die Internationale in Verviers Fuß und gewinnt an Bedeutung. Auf dem 3. Kongress der in Brüssel stattfindet, nehmen fünf Vervierser Delegierte, alle Leinenweber, teil. Pierre FLUSE und Andre LARONDELLE ergreifen auf diesem Kongress das Wort. In Basel, im September 1869 ist der Verband des Wesertals durch Hubert BASTIN aus Nessonvaux vertreten, der innerhalb der Vervierser Sektion der Internationalen eine bedeutende Rolle spielen wird.

 

 

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EXTERNE AUFTRÄGE


Koordination der „Aktionstage Politische Bildung“


Demokratieerziehung in Brüssel


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft in der „Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im pädagogischen Beirat des „Jüdischen Museums der Deportation und des Widerstandes in Mechelen“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Verwaltungsrat der Gedenkstätte Breendonk



 

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