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Die Ostbelgische Friedensbewegung gestern, heute, morgen
von Erwin Radermacher
Vom »Zaungast« gebeten, rückblickend auf die ostbelgische Friedensszene zu schauen, sowie den Ist-Zustand und eventuelle Zukunftsperspektiven aufzuzeigen, habe ich mich gleich an meinen Schreibtisch gesetzt, zwei Ordner der »Arbeitsgemeinschaft FRIEDEN« hervorgeholt und durchstöbert, und schnell festgestellt, daß das Thema »Frieden« nach wie vor im Mittelpunkt des Interesses steht. Zwar haben die Untertitel oft geändert; befanden sich Niveau und Heftigkeit der Debatte ständig im Wandel, doch unverkennbar beschäftigt sie die Gemüter, die Politiker und Medien - und das ist gut so!
Was wir taten
Am 25. September '82 wurde in Eupen die »Arbeitsgemeinschaft FRIEDEN (AGF)« gegründet. Die von den fünf Gründungsmitgliedern beschriebene Zielsetzung stellte hohe Ansprüche. Da war vom Suchen und Fördern des Weltfriedens zu lesen, da wurde eine politische und kirchliche Unabhängigkeit und ein offener Dialog mit Jung und Alt angestrebt.
Ein Bewußtseinsprozess sollte eingeleitet werden. Die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift wurde geplant, die Zusammen- oder Mitarbeit mit anderen Menschenrechtsorganisationen beschlossen. Den Frieden im Kleinen wie im Großen als höchstes und menschenwürdigstes Ideal anzustreben; jede und jeder nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten, so lautete das Ziel.
»Jegliche Diktatur, jeglicher Rassismus, jegliche Diskriminierung und Ausbeutung und jegliche Art von Gewalt und Unterdrückung (...)« sollten bekämpft werden. Wir wußten, daß wir uns viel vorgenommen hatten, daß viel Engagement und Arbeit anstanden. Wir merkten, zum Thema »Frieden« gehört eine fast unübersehbare Fülle von Informationen und Themenkomplexen.
Bereits einen Monat nach Gründung der AGF erschien die erste Zeitschrift, etwa zum selben Zeitpunkt sicherte Premierminister Martens US-Außenminister Schultz die planmäßige Aufstellung von 48 Marschflugkörpern auf belgischem Boden zu. Für die AGF lief die Arbeit an. Auf Anhieb etwa 150 Abonnenten, wir waren für's erste zufrieden.
Im Februar '83 erläuterte Reagen die US-Haltung und unterstrich, daß eine Nichtstationierung der amerikanischen Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik Deutschland ein »Rückschlag für den Frieden« sei. Nur kurze Zeit später veranstaltete die AGF ihre erste große Aktion: »Wege zum Frieden« hieß die Veranstaltung im Eupener Pfarrheim. 3 Tage, nämlich vom 23. bis 25. April, standen eine Ausstellung, Filmbeiträge, Vorträge und Diskussionen im Mittelpunkt. Das Interesse in der Bevölkerung war mäßig. Am 25. März '83 lud die AGF sämtliche Jugendorganisationen und Organisationen der Erwachsenenbildung zu einem Arbeitstreffen ein, der »heiße Herbst« wurde so gemeinsam geplant und vorbereitet.
Die australische Regierung protestierte damals gegen die geplante Wiederaufnahme von Atombombenversuchen im Südpazifik bei der französischen Regierung.
Die AGF richtete sich - unterstützt von vielen Mitbürgern - mit einer Petition gegen Tiefflüge der belgischen Luftwaffe an den damaligen Verteidigungsminister.
»Schweigen für den Frieden« - eine vieldiskutierte Aktion der AGF auf der Eupener Klötzerbahn. An 6 Sonntagen hintereinander (September/Oktober '83) versammelten sich bis zu 50 mutige Teilnehmer/innen, die bereit waren auf diese nicht alltägliche Art und Weise ihren Unmut über den Rüstungswettlauf zu äußern.
Auch die Friedensgruppe Weltladen St. Vith geriet am 23. September in die Schlagzeilen, sorgte doch ihr »Friedenswochenende« ebenfalls für Diskussionszündstoff. Gemeinsam mit den Friedensfreunden aus St. Vith nahmen wir am Sternmarsch auf Bitburg teil, durch Informationsaustausch wurde allen bewusst, wie sehr doch die deutsche Eifel mit Atomwaffen »bestückt« ist.
Wir fuhren zur »ENS« (Electronics for National Security), eine der größten internationalen Fachmessen für den militärischen Elektronikbereich. Einige tausend Demonstranten standen fast ebenso vielen Sicherheitskräften gegenüber.
Es gab eine »Fahrradfahrt für Frieden und Abrüstung« durch Eupen und die angrenzenden Gemeinden. Die Vorbereitungen für die Großkundgebung in Brüssel liefen auf Hochtouren. Podiumsdiskussionen mit Politikern, Leserbriefduelle in der Tagespresse, Einladungen zu Organisationen,... es war eine arbeitsreiche, ja unruhige Zeit.
Viele Bürger unseres Gebietes fühlten sich von alldem angesprochen, sie unterzeichneten die AGF-Petition gegen den NATO-Doppelbeschluß. Insgesamt erschienen 6 Zeitschriften der AGF, zusätzlich noch 4 Info-Blätter. Wir hielten Kontakte aufrecht zu Friedensfreunden in der BRD, in Luxemburg, Amerika und Australien, wurden des Öfteren von Schulklassen zu Gesprächen eingeladen und versuchten mit Nachdruck die Bevölkerung zu informieren, aufzuklären.
Was daraus wurde
Selbstkritisch muß gesagt werden, daß wir in der Anfangsphase vielleicht zu sehr Aktionismus betrieben haben. Wenn wir bei Gleichdenkenden in der Öffentlichkeit auch viel Zustimmung für die Aufklärungsarbeit fanden, so war es für die Kerngruppe der AGF eine Zeit, in der die einzelnen kaum Zeit fanden, sich inhaltlich mit der breitgefächerten Friedensproblematik auseinanderzusetzen. Wir steckten zu sehr, zu oft in praktischem Organisationskram...
Hinzu kam das Zermürbende der Thematik selbst. Um Informationsarbeit zu leisten, bedarf es zunächst der eigenen Urteilsfindung. Wir mußten uns über viele Monate mit vielfältigen und dabei oft enttäuschenden, ja deprimierenden Realitäten befassen: Details über den NATO-Doppelbeschluß als Wissen aneignen, Zusammenhänge zwischen Militarisierung und Ausbeutung der Dritten Welt auf der anderen Seite erkennen. Wir mußten uns wenigstens im Ansatz die psychologischen Aspekte von Gewalt, von Vorurteilen und Feindbildern erarbeiten. Andere versuchten die Rüstungsindustrie und ihre ökologische und ökonomische Seite zu durchschauen, oder sich durch militärtechnologische Lektüre durchzuarbeiten.
In Anbetracht unseres hochgesteckten Zieles waren die täglichen Schlagzeilen, die Informationen z.B. von A.I. oder der Gesellschaft für bedrohte Völker, meist erschreckend und ermüdend. Ob es sich um den NATO-Doppelbeschluß, um Mittelamerika, den nahen Osten oder Südafrika handelte, es waren immer Schläge gegen die Bemühungen der Friedensbewegung, Schläge gegen die Menschlichkeit. Wir brauchten ein dickes Fell; besonders gegen die persönlichen Anschuldigungen, wir seien kommunistisch unterwandert, sowieso subversiv. Einmal wurden wir sogar mit »der braunen Gefahr« des zweiten Weltkriegs verglichen. Der Gipfel: ein Drohbrief der rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann.
Nach etwa drei Jahren intensiver Arbeit brauchten wir eine Atempause. Das Wichtigste der Informationsbeschaffung war getan, das Für und Wider von Auf- und Abrüstung dargelegt, genug Leserbriefe zum Thema geschrieben, und überhaupt hatten die Mitglieder der AGF-Kerngruppe das Bedürfnis Abstand zu nehmen von der anstrengenden Problematik. Wir wollten auf anderen Ebenen suchen und arbeiten; privat oder anderweitig gesellschaftlich, beruflich oder politisch...
Die AGF war nicht mehr, doch hatten wir die Hoffnung, daß zu gegebener Zeit wieder neue Leute nachrücken würden, um mit neuen Ideen, neuem Elan und neuen Methoden wieder an die Öffentlichkeit zu treten...
Erfolge?
Wenn man eine Auswertung vornimmt, darf man sein Augenmerk nicht auf eine so kleine Organisation wie die der AGF alleine richten. Die unzähligen regionalen Initiativen bilden in den meisten Ländern nationale Komitees und diese wiederum internationale Verbindungen in aller Welt. Die Friedensbewegung ist mit Sicherheit die weltweit verbreitetste Bewegung, die es je gab. Es gibt kein anderes Ziel, das so viele Menschen gemeinsam anstreben.
Was hat sich getan? Wenn sich auch mehr Menschen denn je (nach letzten Meinungsumfragen fast 90 %) für die Beseitigung von Mittelstreckenraketen aussprechen, so haben wir doch noch kein Ende der Aufrüstungspolitik erzwingen können. Die Perfektionierung der Massenvernichtungswaffen für Erstschlagsstrategien ist weitergegangen. Im Rahmen von »SDI« werden Waffen für den Krieg aus dem Weltraum und atomare Laserwaffen entwickelt und getestet. Jetzt, wo eine Doppel-Null-Lösung in greifbare Nähe rückt, werden schon Stimmen laut, die nach verstärkter konventioneller Rüstung schreien. Trotz massiver Proteste haben die USA und Frankreich wieder Atombombentests durchgeführt, die SU wieder damit begonnen.
Ausplünderungen und Interventionen in der Dritten Welt gehen weiter. In Südafrika wütet noch immer das Apartheidregime, der Golfkrieg geht weiter,... auch die ökologische Zeitbombe tickt immer lauter und Krisen in Wirtschaft und sozialem Gefüge sind an der Tagesordnung.
Wir müssen in einer Analyse Klarheit über unsere Erfolge und unsere Schwächen gewinnen. Die Diskussion in der Friedensbewegung angesichts der Dramatik der Situation spiegelt manche Unsicherheit wieder. Es hat wohl damit zu tun, daß wir die internationale Friedensbewegung mit unseren Bemühungen eine Situation geschaffen haben, an denen die regierenden traditionellen Parteien nicht so ohne weiteres vorbeikommen. Zu den Wirkungen der weltweiten Friedensaktionen gehört, daß Feindbilder, die schon immer die Aufrüstung legitimieren halfen, ins Wanken geraten sind. Die Friedensbewegung hat die Politik in vielen Ländern geändert.
Die Chance zur Abrüstung ist näher gerückt; dank des jahrelangen Drucks von unserer Seite, dank des sich immer wieder durchsetzenden »Neuen Denkens« in breiten Kreisen der Bevölkerung. In vielen Ländern gibt es große Mehrheiten für eine sofortige Verschrottung der atomaren Mittelstreckenraketen, die Menschheit will die Befreiung von der atomaren Bedrohung. Das wäre der erste Schritt!
Darüber hinaus fordern wir die Beseitigung der »konventionellen« Massenvernichtungswaffen; auch die Abschaffung aller chemischen und bakteriologischen Waffensysteme. Auch die Produktion von immer neuen Bombenflugzeugen, Panzern, Kriegsschiffen vernichtet zivile Arbeitsplätze, ruiniert schon in Friedenszeiten die Volkswirtschaft und produziert -so ganz nebenbei- Millionen Hungertote in der Dritten Welt, die ja gar nicht so weit von uns entfernt ist.
Viele Regierungen fürchten die Abrüstung, weil sie den Rüstungskonzernen auch weiterhin Aufträge sichern wollen, anstatt in die weltweite Völkerverständigung zu investieren, halten noch viele an ihren Vorurteilen fest.
Die erste Chance zur Abrüstung - eines ersten Schrittes - ist da. Wir werden sehen, was die beiden Machtblöcke daraus machen, wir werden aufmerksam sein und auch in Zukunft für einen dauernden Frieden mit immer weniger Waffen eintreten und alles Mögliche zur Völkerverständigung unternehmen. Wir können einen ersten Erfolg verzeichnen - nach vielen Jahren harter Arbeit. In Anbetracht der noch herrschenden Verhältnisse können wir uns noch nicht erlauben, die Hände in die Taschen zu stecken, wir müssen auch weiterhin achtsam sein.
ES BLEIBT NOCH VIEL ZU TUN!
Es geht weiter
Am 12. Januar diesen Jahres hat sich in unserem Gebiet eine neue Friedensinitiative konstituiert: Der »Arbeitskreis Gerechtigkeit + Frieden« setzt sich für die gleichen Ziele ein, arbeitet mit anderen Gruppen und Bewegungen, Gewerkschaften sowie kirchlichen Institutionen zusammen. Der Arbeitskreis trifft sich jeden 1. Dienstag im Monat zu einer Gesprächsrunde.
Bisherige Schwerpunkte waren die Förderung der Friedensteuerinitiative durch die Forderung einer Steuergesetzgebung, die jedem Steuerzahler Gewissensfreiheit gewährt, indem ein Teil seiner Steuern einer belgischen Friedensstiftung zukommt; desweiteren wurde eine Umfrage bei den politischen Parteien gestartet. Man diskutiert gerechtere Wirtschaftsformen, die 3. Welt-Problematik, ökonomische und ökologische Folgen des Rüstungswahnsinns. Priester wurden zum Thema »Wettrüsten und Hunger« befragt. Briefe an Minister, Teilnahme an Konferenzen im In- und Ausland, Eine Umfrage zur Lagerung von Atomwaffen in Belgien, uvm... Man sieht, der Themenkatalog ist nicht geringer geworden, und jeder Mensch, dem Frieden eine wichtige Angelegenheit ist, wird mit Sicherheit »sein« Schwerpunktthema finden, wird sich an irgendeiner Stelle in die Diskussion einbringen können - kann also etwas tun! Es geht also weiter
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Am 25. Oktober 1987 findet in Brüssel wieder die »große Friedensdemonstration« statt. Für das deutschsprachige Gebiet sind mehrere Organisationen mit den Vorbereitungen beschäftigt, so der Arbeitskreis Gerechtigkeit + Frieden, die KLJ, der Weltladen St. Vith, der Info-Treff Eupen und die Gewerkschaften. Zur Kundgebung fahren, bedeutet mehr als ein Sonntagsausflug. Es geht darum zu zeigen, daß die Friedensbewegung auch weiterhin wach bleibt - sich eben »bewegt« - daß unsere Ziele auch weiterhin angestrebt werden, daß wir durch unsere Bewußtseinsbildung einen Sinneswandel herbeiführen und letztendlich eine bessere Welt - ohne Waffen, ohne Feindbilder, - eine Welt also, die im sozialen, im ökonomischen und ökologischen Gleichgewicht sein wird, hinterlassen wollen.
Ein letztes Wort
Die Möglichkeiten, den Frieden weltweit und für alle Menschen zu erreichen, sind so vielseitig und zahlreich, wie die Menschen selbst. Ich bin überzeugt, daß jede und jeder »seinen« Platz in der Friedensbewegung finden kann.
Wenn ich aufgehört habe, die Sprengköpfe zu zählen, so heißt dies nur, daß ich den persönlichen Schwerpunkt verlagert habe, ich hoffe aber, daß auch weiterhin Menschen zu uns stoßen, die auch wieder Raketen oder Sprengköpfe zählen, die sich also mit der militärischstrategischen Materie auseinandersetzen. Man kann niemals sagen, das eine sei wichtiger als das andere. Jeder Mensch hat die Freiheit, seine eigenen Fähigkeiten in die Friedensbewegung einzusetzen, und es ist letztlich förderlich, wenn die Friedensbewegung vielfältig, pluralistisch und demokratisch bleibt. Das ist sogar ihre große Chance, weil nur so viele Menschen erreicht werden und nur so die Machenschaften des Unfriedens allmählich in Frage gestellt werden.
Die Friedensbewegung und die ökologische Bewegung sind die eigentlichen Kräfte der politischen Zukunft. Wenn auch noch keine parlamentarischen Mehrheiten erkämpft wurden, so sind die Erfolge dennoch deutlich spürbar und so werden auch Politiker zukünftig mehr und mehr an ihrer wirklichen Friedfertigkeit und ihrer ernst gemeinten ökologischen Weitsicht gemessen. Sie werden daran gemessen, ob sie tatsächlich »soziale Programme« - also für alle Menschen gerechte Formen des Miteinanders - anstreben.
Wir werden sehen; wir haben die Hoffnung, daß irgendwann die Geschichtsbücher umgeschrieben werden müssen. Und all diejenigen, die heute und morgen nach neuen Waffen rufen, die weiterhin Feindbilder produzieren, die Ausbeutung proklamieren und die weltweite Militarisierung befürworten, all' die müssen damit rechnen, in noch zu schreibenden Geschichtsbüchern als Kriegsverbrecher einzugehen und ihre - als fälschlich erkannten - Begründungen werden dann kein Verständnis finden. Denn das angehäufte Vernichtungspotential wird - sollte es gewollt oder ungewollt, durch Fehlverhalten, technisches Versagen zum Einsatz kommen - alles Bisherige in den Schatten stellen; vielleicht werden dann niemals mehr Geschichtsbücher geschrieben.
Damit es nicht so kommt machen wir weiter!
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