Grenzgeschichte DG - Autonome Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft

 

 

Was steht auf dem Programm? 

Immer wieder werde ich als «Animator» (und als solcher bin ich seit 1978 bei der VHS tätig) gefragt, was denn nun eigentlich das Programm der VHS ist.

Eigentlich eine ganz normale Frage, denn die meisten Bildungseinrichtungen, insbesondere die deutschen Volkshochschulen, präsentieren sich mit «Programmen». Solch ein «Wissen à la carte» gibt es allerdings bei der VHS nicht und eigentlich gibt es auch kein richtiges Programm. Welches Wissen sie erarbeiten, legen die einzelnen VHS-Gruppen letztendlich selber fest, in den sogenannten Arbeitsverträgen. Den Rahmen für diese Arbeitsverträge liefern die Zielsetzungen der VHS, die zunächst dazu geführt haben, dass sich Gruppen bildeten (und dass Animatoren zur VHS gestoßen sind). Wenn man also vom «Programm» der VHS spricht, muss zuerst von den Zielen die Rede sein.


«MITREDEN KÖNNEN ... ÄNDERN WOLLEN»
Diese Zielsetzung kommt nicht von ungefähr, sondern ist aus den Notwendigkeiten der Arbeiterbewegung entstanden. Es ist für den kleinen Mann schwierig, sich bei wichtigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fragen eine Meinung zu bilden und für diese Meinung einzutreten.

Diese Fragen setzen nicht nur gewisse Sachkenntnisse voraus, auch die weltanschauliche Grundlage jeder politischen Entscheidung wird heute von den Hohenpriestern der Gegenwart, den «Fachleuten», als sachliche Notwendigkeit verbrämt. Politik-, Wirtschafts- und Sozialfragen werden somit zumeist in einer Sprache diskutiert, deren Unverständlichkeit mit dazu beiträgt, dass Entscheidungsträger unter sich bleiben. Schlecht für alle, die wie die Arbeiterbewegung eine Demokratisierung der Gesellschaft in allen Bereichen vorantreiben wollen.

Hier sieht die VHS ihre Aufgabe, indem sie einen Durchblick verschaffen, Sachkenntnisse vermitteln will. Auf ihrem Stundenplan stehen daher die Fächer Politik, Volkswirtschaft, Sozialgeschichte und Aktualität, Kritik der Wissenschaft und Technik und Philosophie. Weil es aber nicht nur auf das passive Verstehen, sondern vor allen Dingen auf das aktive Mitreden ankommt, liegt ein weiteres Schwergewicht der VHS-Arbeit bei der Methodik, bei der Technik, wie man/frau sich einbringt, mit dem geschriebenen und gesprochenen Wort.

DAS GEGENTEIL VON SCHULE
Es ist also nicht Ziel der VHS, eine neue Elite heranzuzüchten, sondern die Mitsprache zu ermöglichen.
Dies widerspricht der im gesamten Erziehungssystem üblichen Praxis.
Die Schule erzieht in erster Linie nicht zum Mitreden, sondern zum Zuhören, nicht zum «
Ändernwollen» sondern zum Nachahmen, nicht zur Gemeinsamkeit sondern zum Individualismus.

Aufgrund dieser - jetzt sogar wieder offen propagierten - Zielsetzung ist im Schulsystem die Frage nach dem Programm auch sehr einfach zu beantworten: vom l-Dötzchen bis zum Doktoranden, in Berufs- und in Abendschulen, in den Schulen der Kirche und in denen der öffentlichen Hand ... überall entscheiden zentrale Programmkommissionen darüber, wer wann was zu lernen hat. Die Kontrollfunktion wird von der Prüfung übernommen und das Diplom ist der Schlüssel zu den Plätzen in der Gesellschaft, die oft ebenso bürokratisch definiert sind wie die Schulprogramme.

Ausgerichtet ist das ganze System auf die Bedürfnisse der Elite, der Hochschulen. Die Masse hat das unschöne Gefühl, auf der Strecke geblieben zu sein, es nicht geschafft zu haben «da oben zu sein, wo die anderen sind». Und sie lässt sich somit von «denen da oben» dirigieren.

Doch eigentlich ist das weder natürlich, noch normal und schon gar nicht demokratisch. Man kann's auch anders machen (und die VHS macht es anders, seit zwanzig Jahren). Das fängt damit an, dass man nicht die anderen über sich entscheiden lässt, sondern selbst entscheidet. Für die VHS heißt das: die Schüler entscheiden mit: bei den Inhalten, den Vorgehensweisen, der Organisation und auch im Verwaltungsrat der VHS. Das ist genau das Gegenteil von Schule.

ENTSCHEIDUNGEN AUSHANDELN ENTSCHEIDUNGEN TRAGEN
In der Praxis sieht das so aus: vom zweiten Jahr an (sobald man/frau sich an dieses seltsame System gewöhnt hat) handeln die Studenten und die Animatoren gemeinsam Arbeitsprogramme aus. Die Inhalte, die Vorgehensweise und die Aufgaben aller werden festgelegt. Der Klassenrat, von dem an anderer Stelle noch eingehender die Rede sein wird, regelt die fächerübergreifenden Probleme und organisatorischen Fragen und letztendlich gibt es in jedem Fach und insgesamt eine abschließende Bewertungsdiskussion nach jedem der vier Jahre. Die «Hausarbeit» erfolgt in kleinen Gruppen, den sogenannten Untergruppen. Jede Klasse hat einen Klassensprecher und zwei Vertreter im VHS-Verwaltungsrat.

DIE FÄCHER
Was die einzelnen Fächer betrifft, so legt der VHS-Generalrat (aller Studenten und Animatoren) fest, welche Fächer zum Programm gehören (es gibt allerdings auch ein Wahlfach) und welche Grundlinien diese Fächer aufweisen sollten. Diese Fächer bilden ein gemeinsames Projekt: «Die beiden ersten Studienjahre ... beinhalten eine zusammenhängende Analyse und Beschreibung der ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Kräfte ... die beiden letzten Studienjahre sind prioritär ausgerichtet auf die Anfertigung einer Studienabschlussarbeit ... diese verlangt eine persönliche Reflexion und Analyse eines ökonomischen, sozialen, kulturellen Problemfeldes.» (aus: «Programm der VHS», VHS-Info).

In diesem Rahmen bewegen sich die Animatoren, wenn gemeinsam mit den Studenten zu Beginn eines jeden Studienjahres mehrere alternative Programmvorschläge ausgehandelt werden. Die Studenten wählen, ändern die Vorschläge ab, bringen eigene Vorstellungen ein. Sie können sogar durchsetzen - ein Extremfall natürlich - dass ein Animator, mit dem man gar nicht zufrieden ist, «abgesetzt» wird. Ausschlaggebend ist die Zielsetzung: inwieweit kann das Engagement jeder/jedes einzelnen gefördert werden, wo liegen die Interessen?

Schließlich
kommt so ein gemeinsamer Arbeitsvertrag zustande, der sowohl den Interessen der Studentengruppe als auch den Möglichkeiten des Animators und den Forderungen der VHS gerecht werden muß.
Der «Arbeitsvertrag» ist dann das «Programm».

Sehr viel könnte ich jetzt noch zu den Inhalten sagen, mit denen diese oder jene Gruppe das eine oder andere Fach gefüllt hat. Dazu gehören harte und interessante Diskussionen, und manchmal raucht der Kopf...

Und das ist dann schon wieder ein ganzes Programm ...

 

 

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EXTERNE AUFTRÄGE


Koordination der „Aktionstage Politische Bildung“


Demokratieerziehung in Brüssel


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft in der „Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im pädagogischen Beirat des „Jüdischen Museums der Deportation und des Widerstandes in Mechelen“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Verwaltungsrat der Gedenkstätte Breendonk



 

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