Euregio – Wollroute
Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts
beherrschten die Schornsteine von zahlreichen Tuchfabriken die
Silhouetten vieler Städte im Dreiländereck Deutschland, Belgien und den
Niederlanden. Von England aus hatte die Tuchindustrie auf dem
europäischen Festland ihre Spuren vor allem in den Städten Aachen,
Eupen, Euskirchen, Monschau, Vaals und Verviers hinterlassen. Das
Textilgewerbe im Dreiländereck, der "Euregio", entwickelte sich über
die Jahrhunderte zu einem bedeutenden Produktionszweig. Bereits im 12.
Jahrhundert waren die heimischen Produkte konkurrenzfähig. Im 16. und
17. Jahrhundert erfuhr das Textilgewerbe einen weiteren großen
Aufschwung, der zur Errichtung zahlloser industrieller Bauten führte.
Eine Mappe mit einzelnen Heften, in denen die
spezielle Geschichte jeder der sechs Städte aufgeführt ist, informiert
den Besucher über die einzelnen Stationen der Route – jeweils in den
drei Sprachen der Region: Deutsch, Niederländisch und Französisch. Weitere Informationen zur Wollroute sind auch im Internet
unter www.wollroute.net abrufbar.
Die Stadt Eupen
Nachweislich seit dem Jahr 1680 wurden in Eupen Feintuche
hergestellt, die wegen ihrer ausgezeichneten Qualität (sie konnten mit jedem englischen
Produkt konkurrieren) auch in die entferntesten Winkel der damals bekannten
Welt ausgeführt wurden.
Dieser Tuchexport begründete den enormen Reichtum
zahlreicher in Eupen ansässig gewordener Kaufmannsfamilien, der sich bereits im
frühen 18. Jahrhundert in zahlreichen Prachtbauten ausdrückte.
Im Mittelpunkt der Eupener Wollroute steht die Betrachtung
zahlreicher gut erhaltener Kaufmannshäuser in der Eupener Oberstadt, die vom
späten 17. Jahrhundert bis in die Endphase des 18. Jahrhunderts, oft von
bedeutenden zeitgenössischen Baumeistern (J. J. Couven, L. Mefferdatis, J. C.
Schlaun) geplant und gebaut worden sind.
Hierbei interessieren aber nicht nur die oft großartig
gestalteten Vorderfassaden, sondern besonders die in den Innenhöfen gelegenen Werkstadtgebäude,
die sog. „Schererwinkel“.
Sie stellen das spezielle Charakteristikum der Eupener Tuchproduktion
in vorindustrieller Zeit dar und sind in dieser Form eigentlich an keinem
anderen Ort zu finden.
Das rohe Tuch wurde damals im „Verlagssystem“, d. h.
außerhalb der Häuser der Auftraggeber, bei den Webern, gefertigt. Die Appretur
jedoch, die für die Qualität der Feintuche entscheidend war, wurde in den oben
erwähnten „Schererwinkeln“ durchgeführt.
Die für die Appretur so wichtigen spezialisierte
Arbeitskräfte, die Tuchscherer und Rauer wurden in allen Ländern der Welt
angeheuert.
Schon damals, in einer Zeit für die die Fachwissenschaft
das Vorhandensein von Arbeiterorganisationen abstreitet, kämpften die zunftfreien
Eupener Tuchscherer mit allen erdenklichen Mitteln für die Errichtung einer
gewerkschaftlichen Schutzorganisation.
Die Eupener Wollroute umfasst auch den Besuch der Klosterkirche
und der Hauptpfarrkirche St. Nikolaus. In Ersterer befinden sich zwei herausragende Altare, die
von den Eupener Tuchhandwerkern des 18. Jahrhunderts gestiftet worden sind:
einer von den einheimischen Webern, ein anderer - noch bemerkenswerter - von
den zugezogenen Tuchscherern. Darauf sind die typischen Werkzeuge der
Tuchscherer, Schere und Raukarden, abgebildet.
In der St. Nikolauskirche, einer Meffordatis/Couven
Co-Produktion, finden sich noch heute auf den Bänken die Namen der bekanntesten
Eupener Tuchkaufmannsfamilien aus dem 18. Jahrhundert. Die Gestühle waren
lebenslang gepachtet oder wurden sogar vererbt.
Auch ein Besuch auf dem Eupener städtischen Friedhof
sollte unverzichtbarer Bestandteil der hiesigen Wollroute sein. Auf diesem, zu
Beginn des 19. Jahrhunderts angelegten Beerdigungsplatz, finden sich u.a.
herausragende Denkmale bedeutender Eupener Tuchkaufleute und z. B. auch ein
Gedenkort für einen der Pioniere der christlichen Textilarbeiterbewegung.
Zum Abschluss empfiehlt sich ein Besuch auf der Mohrenhöhe:
hier bietet sich ein wunderbarer Blick auf die zur Napoleonischen Zeit
entstandene Unterstadt mit ihren zahlreichen damals entstandenen Manufaktur-
und Fabrikgebäuden: 1815 beim Übergang der Stadt an Preußen war das bereits
industrialisierte Eupen für die technisch weit entwickelte Rheinprovinz ihre
wohl „modernste Insel“.
Von ca. 9.600 Einwohnern waren 7.000 (!) Kinder, Frauen
und Männer haupterwerbsmäßig in der Wollverarbeitung beschäftigt und zwar fast
alle im konzentrierten Manufakturbetrieb, außer ca. 1.500 Hauswebern! (Köln als
größte Stadt der Rheinprovinz hatte ca. 58.000, Aachen ca. 37.000 Einwohner).
1816 wurde hier bei Sternikel & Gülcher die
nachweislich erste, preußische, für Antriebszwecke angeschaffte Dampfmaschine
in Betrieb genommen: dies bildet dann auch sinngemäß den Abschluss der Protoindustrialisierung.
Für die Industrialisierungsphase des hiesigen
Textilgewerbes blicken wir von hier aus ebenfalls auf das ab 1906 gebaute Kammgarnwerk
- heute Teil des „Eupener Brotkorbs“ - dem Kabelwerk, das ebenfalls zu Beginn
des 20. Jahrhunderts entstand.
|