Grenzgeschichte DG - Autonome Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft

 

 

1886 - 1986: Hundert Jahre christliche Gewerkschaftsbewegung in Belgien  

von Herbert Ruland (Exposé für ein Filmprojekt 1986, durchgesehen Januar 2009)


Erste gewerkschaftliche Zusammenschlüsse
Die Gründung der christlichen Gewerkschaftsbewegung
Bibliographie

Die südlichen Niederlande, das heutige Belgien, gehörten zu jenen Territorien, die am frühzeitigsten und auch mit am nachhaltigsten von der industriellen Revolution erfasst wurden. Durch den Kanal, nur wenige Kilometer von England, dem Mutterland des Kapitalismus getrennt, wurde diese Entwicklung auch schon im 18. Jahrhundert in Belgien spürbar. Ja bedeutende englische Fabrikanten, wie die Familie Cockerill ahnten wohl die Möglichkeiten, die ihnen hier offen standen und siedelten sich im Lande an. Auch der 1830 geschaffene belgische Staat setzte auf fortschreitende kapitalistische Entwicklung. Belgien bekam 1831 eine Verfassung wie sie wirtschaftsfreundlicher nicht hätte sein können. Ganz im Sinne des Manchasterliberalismus unterlag die ökonomische Betätigung kaum nennenswerten Einschränkungen.
Die Schulpflicht war bis zum 1. Weltkrieg unbekannt, wie andererseits Kinderarbeit, auch der sechs- bis siebenjährigen, Gang und Gebe war.

Zwar heiß
t es in der belgischen Verfassung vom 7. Februar 1831:"Les Belges ont le droit de s'associer; ce droit ne peut être soumis a aucune mesure preventive", doch wurden tatsächlich die Arbeiterkoalitionen und Gewerkschaften erst durch ein Gesetz vom 24. Mai 1921 in aller Form legalisiert.
Frühzeitiger als in Belgien aber, bildeten sich in anderen Ländern wie England, Frankreich und in verschiedenen deutschen Staaten gewerkschaftsähnliche Gebilde heraus, obwohl auch dort Unternehmertum und Staat sich mit Händen und Füßen der Errichtung von Arbeiterkoalitionen widersetzten.
Es
musste spezielle Gründe haben, warum Gewerkschaften sich gerade in Belgien erst relativ spät bildeten.

Zunächst einmal: als die industrielle Revolution auf den Kontinent überschwappte, existierte noch kein souveräner Staat Belgien. Ausländische Mächte hatten hier das Sagen, nur das Fürstbistum Lüttich bildete ein relativ selbständiges Staatswesen. Bis in die neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts waren es die Österreicher, danach die Franzosen, die das Land zwischen Kanalküste und Ardennen beherrschten. 1814, im Zuge des Vormarsches der Koalitionstruppen gegen Napoleon, wurden weite Teile des Landes von Preußen besetzt und anschließend auch verwaltet, ehe der größte Teil des heutigen Belgien 1815 mit den nördlichen Niederlanden zu einem Staat vereinigt wurde. Mit dem Wechsel der Oberherrschaft waren teilweise auch erhebliche Änderungen im politischen System verbunden und damit auch die rechtlichen Möglichkeiten für Handwerker- und Arbeiterkoalitionen. Da diese Zeit zudem durch Krieg und Elend geprägt war, ging auch das Streben der Arbeiter zunächst nach dem nackten Überleben und erst in zweiter Linie nach langfristiger Besserstellung durch gewerkschaftlichen Zusammenschluss. Ungünstig auf die Bildung von Arbeiterkoalitionen wirkte sich auch das Nichtvorhandensein von Großstädten oder gar einer Hauptstadt bei Einsetzen der industriellen Revolution aus. Auch Brüssel als Sitz eines ausländischen Gouverneurs war nur eine Provinzstadt. Gerade aber das gedrängte Zusammenleben von Industrie- und Manufakturarbeitern in großen Zentren wie beispielsweise in Frankreich Paris und Lyon - förderte aber die Bildung von Arbeiterorganisationen.

In Belgien gelang es der Industrie bis weit über die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinaus, ihren Arbeitskräftebedarf aus dem platten Land zu decken. Die Arbeiter blieben Landbewohner die entweder täglich oder am Wochenende zu ihren Familien in die anliegenden Dörfer zurückkehrten. Dort aber herrschte seit vorindustrieller Zeit Überbevölkerung und Massenelend. Als Durch- und Aufmarschgebiet fremder Heere seit dem 17. Jahrhundert vielfach zerstört und ausgeplündert, konnte gerade die darniederliegende Landwirtschaft nicht alle Menschen die hier lebten beschäftigen und ernähren. Bei Einsetzen der Industrialisierung bot sich hier ein großes Arbeitskräftereservoir, das auch den Bedarf der neuen Manufakturen, Fabriken und Bergwerke bei weitem übertraf. Dies wiederum bewirkte, dass denjenigen, die in den Städten eine Arbeit fanden auch nur Hungerlöhne ausbezahlt wurden. Eine Untersuchung über die Lage der im Flachsbau beschäftigten Arbeiter Flanderns aus dem Jahre 1840 ergab, dass hier die Löhne so niedrig waren, dass sie nicht zum Erwerb der allernötigsten Lebensmittel wie Brot, Kartoffeln und Milch ausreichten. Überleben konnten diese Menschen nur durch öffentliche und private Armenpflege.

Tatsächlich lehrt aber die Geschichte,
dass Arbeiter sich dann am ehesten zusammenschließen, wenn sich ihre Lage relativ plötzlich und spürbar verschlechtert. Lang andauernder Elendszustand führt nicht nur zum körperlichen Verfall, sondern auch zur Apathie, die das Interesse an gemeinsamem Vorgehen stark zurückgehen lässt.

Dem Aufbau selbständig von Arbeitern geführten Gewerkschaften stellte sich zunächst auch das erschreckend niedrige Bildungsniveau entgegen auf dem sich breite Teile der belgischen Bevölkerung noch bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts befanden. Durch eine erhebliche Ausweitung des Elementarschulwesens versuchte die niederländische Regierung nach 1815 auch in ihren neuen Südprovinzen (also in Belgien) eine Volksunterweisung auf breiter Grundlage zu erreichen. Das neue belgische Gouvernement nach 1830, überließ gerade aber die Volksbildung privater, kirchlicher oder kommunaler Initiative. Vielerorts wurden Lehrkräfte entlassen, Schulen geschlossen, die Gehälter der verbliebenen Unterrichtenden gesenkt. Teilweise wurden sogar selbst unwissende Personen mit der Abhaltung des Unterrichts betraut. So waren z.B. in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit in der Provinz Luxemburg Maurer, Schreiner, Küster, ja sogar Schweinehirten als Lehrkräfte tätig.
Da die allgemeine Schulpflicht in Belgien erst 1914 eingeführt wurde, andererseits Kinderarbeit keinerlei Beschränkungen unterlag, kamen Jungen und Mädchen häufig schon mit dem sechsten Lebensjahr in Fabriken und Werkstätten, anstatt in die Lehranstalten.

Es mag daher nicht verwundern, dass nach einer Untersuchung aus dem Jahre 1843 im Verwaltungsbezirk Charleroi nur einer von vierzig Arbeitern schreiben und lesen konnte, in Brüssel in einer Fabrik gar nur 8 von 318 Beschäftigten. In einem 1877 veröffentlichten Buch, heißt es über die Zustände in der Genter Baumwoll- und Leinenindustrie im Jahre 1866:

"Die dort beschäftigten Männer und Frauen sind die ungebildetsten der Arbeiterklasse. Dort werden Kinder beschäftigt vom Augenblick an, dass sie sich bewegen können. Ich sah dort Kinder im Alter von 6 bis 7 Jahren, der Schule entrissen, um aus ihnen Fabrikarbeiter zu machen. Im Alter von 12 Jahren verlassen die Kinder massenweise unsere Schulen, um in die Fabriken einzutreten. Um dort aufgenommen zu werden braucht man weder physische Kräfte, noch allgemeine oder berufliche Ausbildung. Was wird aus diesen Kindern?/.../. Diese Kinder werden blass, hager und leiden an Rachitis; sie gleichen menschlichen Wesen nur in einem geringen Maße".

Es war gerade die fehlende Allgemeinbildung auch führender Kader in Gewerkschaften, die den Aufbau eines genügenden Verwaltungsapparates unmöglich machte und auch noch nach der Mitte des 19. Jahrhunderts Organisationen dieser Art eingehen ließ.


Erste gewerkschaftliche Zusammenschlüsse

Noch ganz in der Tradition vorindustrieller Zünfte oder Gesellenbünde stehend, bildeten sich ab den vierziger Jahren insbesondere unter Handwerkern gewerkschaftsähnliche Zusammenschlüsse.
Vorreiter waren hier die Beschäftigten des Druckgewerbes. Die wohl erst
e Vereinigung dieser Art, die „Association des Compositeurs et Imprimeurs Typographes“ wurde bereits am 3. Januar 1842 in Brüssel gegründet. In Anknüpfung an zünftige Vorbilder, forderte diese Organisation statutengemäß nicht nur die Einhaltung eines Mindestlohnes unter dem keiner der Angeschlossenen eine Arbeit annehmen durfte, sondern auch eine Begrenzung der Anzahl der Lehrlinge, die in einem bestimmten prozentualen Verhältnis zu den übrigen Beschäftigten stehen sollte. In den nachfolgenden Jahren und Jahrzehnten schlossen sich auch die Drucker in anderen belgischen Industriezentren und Regionen in solchen Verbänden zusammen. Andere Handwerker taten es ihnen nach: 1852 Brüsseler Kunst- und Goldschmiede, ab 1865 Beschäftigte der Bronzeindustrie; in den nachfolgenden Jahren u.a.: Handschuhmacher, Hutmacher, Glasmacher, Zuckerbäcker. Erste gewerkschaftsähnliche Zusammenschlüsse an- und ungelernter Fabrikarbeiter entstanden in der Genter Gegend ab 1857:
-
die Broederlijke-Maatschappij der Wevers van Gent
- die Maatschappij der Nootlijdenden Broeders
- und das
„Syndicat des Métallurgistes“.
1860 schließen sie sich in einem „Werkersbond“ zusammen.

Erheblich an Popularität gewann der Gedanke der gewerkschaftlichen Organisation durch die am 26. September 1864 in London, unter der Führung von Karl Marx, erfolgten Gründung der I. Internationale, der ein Jahr später die Errichtung einer belgischen Sektion nachfolgte. Gewerkschaften entstanden nunmehr insbesondere in Gent, der damaligen Hochburg des belgischen Sozialismus, in Brüssel, im Hennegau und in der Provinz Lüttich.

In Verviers entstanden lokale Gewerkschaften unter der Hegemonie des „Franc Ouvrier“ einer radikalsozialistisch-anarchistischen Arbeiterorganisation, die sich 1868 der I. Internationalen angeschlossen hatte. Insbesondere sind es die Spinner und Weber des Wesertals, die sich hier zusammenfanden.

Nach der 1885 erfolgten Gründung der (sozialistischen) „Parti Ouvrier Belge“ versuchte diese sofort entscheidenden Einfluss auf das doch noch arg dezentralisierte und zersplitterte Gewerkschaftswesen zu gewinnen. Es entstanden:

1883: die Féderation Nationale des Travailleurs du Bois
1886:
die Féderation Nationale des Metallurgistes
1890:
die Féderation des Mineurs
        die Fé
deration Nationale de la Carosserie et de la Sellerie
        die Fé
deration Nationale de la Pierre
1897: die Féderation Nationale du Bâtiment und
1898: die Féderation Nationale du Textile

Auf einem von der POB am 10. und 11. April 1898 in Verviers veranstalteten Kongress kam es zur Zusammenführung all dieser Organisationen unter dem gemeinsamen Dach einer „Commission Syndicale des Syndicats“, die wenig später in „Commission Syndicale du Parti Ouvrier“ umbenannt wurde. Zwar lockerte sich zumindest nach außen hin in den nächsten Jahren das enge Verhältnis von Arbeiterpartei und Gewerkschaften, doch blieb die tatsächliche enge Bindung bestehen.


Die Gründung der christlichen Gewerkschaftsbewegung

Die ersten belgischen Gewerkschaften verstanden sich eigentlich als Einheitsgewerkschaften, die Arbeitern jeglicher politischer und philosophischer Richtung offen stehen sollten. Seit der Konstituierungsphase herrschten aber Spannungen zwischen dominierenden sozialistisch-antiklerikalen Kräften auf der einen Seite - und insbesondere katholischen Mitgliedern - aber auch solchen, die sich zu progressiv-liberalen Ideen bekannten, auf der anderen Seite. Die enge Anlehnung der Gewerkschaftsbewegung an die I. Internationale, später an die Arbeiterpartei, musste es Anhängern anderer politischer und ethisch-moralischer Strömungen zusehends unmöglicher erscheinen lassen, weiter in diesen Verbänden organisiert zu bleiben. Um sich der Bevormundung durch den mächtigen sozialistischen Genter „Vooruit“ zu entziehen, gründeten dortige katholische Weber 1886 den „Vrije Katoenbewerkersbond“, der wenig später den zutreffenderen Namen „Anti-sozialistischer Katoenbewerkersbond“ annahm. Das Beispiel machte im ganzen Lande Schule und fand vielerorts, wenn auch mit unterschiedlicher Resonanz, Nachahmung. Mit der 1890 erfolgten Gründung des „Anti-sozialistischen Werkliedenbond Het Volk zeichnete sich bereits die heutige moderne, christliche Gewerkschaftsbewegung in ihren Grundzügen ab.

Angetreten mit dem unverhüllten Anspruch die sozialistischen und unabhängigen Gewerkschaften zu bekämpfen, fand sie aber auch zunächst dadurch Zuspruch, dass hier die Beiträge niedriger, die Leistungen aber höher bemessen waren als bei der Konkurrenz. Da kann man sich leicht vorstellen wie das gegenseitige Verhältnis zwischen den sozialistischen und christlichen Organisationen war; das war schon keine einfache Konkurrenz um die Arbeiter mehr, hier fand zumindest sinnbildlich ein „Kampf bis auf 's Messer statt. Über Jahre, ja fast Jahrzehnte, gab es keinerlei Kontakt zwischen Führern beider Richtungen.
Die christlichen Gewerkscha
ften standen aber zunächst nicht nur im Gegensatz zur sozialistischen Konkurrenz, sondern auch zu weiten Teilen der katholischen Bourgeoisie, die gewerkschaftliche Bestrebungen der Arbeiter auch auf christlich-katholischer Grundlage ablehnte und der Verelendung höchstens durch Mittel der karitativen Nächstenliebe entgegenwirken wollte.

Entscheidende Unterstützung erhielt der Gedanke der gewerkschaftlichen Organisation auf christlicher Grundlage durch die Veröffentlichung der päpstlichen Enzyklika „Rerum Novarum vom 15. Mai 1891, in der das Oberhaupt der katholischen Kirche Koalitionen der Arbeiter auf dieser Grundlage ausdrücklich billigte. Nunmehr konnten auch konservative belgische Katholiken nicht mehr gegen die Errichtung christlicher Gewerkschaften opponieren; letztere fanden jetzt sogar mächtige Fürsprecher im bürgerlichen Lager. Erinnert sei hier u. a. an Arthur Verhaegen, Enkel des Gründers der Universität Brüssel, der bereits seit 1886 die Entwicklung des christlichen Gewerkschaftswesens mit offener Sympathie verfolgte. Durch die wenig später erfolgte Gründung der Zeitung „Het Volk“ hat er wesentlich zur Popularisierung des Gedankens der Arbeiterkoalition auf christlicher Grundlage beigetragen.

Im letzten Jahrzehnt, vor der Wende zum 20. Jahrhundert, bildeten sich christliche Gewerkschaften zumeist auf lokaler Basis, insbesondere im flämischen Landesteil heraus. Immerhin kann diese noch wenig gegliederte und strukturierte Bewegung bereits 1901 62 Berufsverbände mit ungefähr 11.000 Mitgliedern vorweisen (zum Vergleich: 21.000 Mitglieder in sozialistischen Verbänden).
Der Verdienst aus diesen unterschiedlichen christlichen Gruppen, die zunächst oftmals mehr Sozialorganisation (mit Einschluss des Kranken- und Sparkassenwesens, der Genossenschaften und Geselligkeitsvereine) als Gewerkschaften waren, eine schlagkräftige Einheitsorganisation entwickelt zu haben gebührt dem Dominikanerpatertten. Auf seine Anregung hin beschloss ein Kongress des katholischen Volksbundes im Jahre 1901 eine Delegation nach Deutschland zu entsenden, wo sich die christliche Gewerkschaftsbewegung gerade nach längeren Einigungsbemühungen in einem Gesamtverband zusammengefunden hatte. Auf der Grundlage der hier gewonnenen Erfahrungen, wurde auf einem Kongress in Hasselt dasAllgemeine Sekretariat der christlichen Berufsvereinigungen von Belgien gegründet, das am 1. August 1904 seine Tätigkeit aufnahm. An der Spitze dieses „Generalsekretariats, das noch über getrennte flämische und wallonische Gruppen gebot, stand Pater Rütten, der viel zum weiteren Aufbau der Bewegung beigetragen hat. Unter seiner Anleitung entstanden in den nächsten Jahren, wenn auch wieder schwerpunktmäßig in Flandern, in allen wichtigen industriellen und handwerklichen Berufssparten Föderationen, die sich unter dem gemeinsamen Dach der christlichen Gewerkschaftsbewegung wiederfanden.
Am 17. Dezember 1908
, gründeten dann die dem Sekretariat angeschlossenen Gewerkschaften, den „Bund der christlichen Gewerkschaften“, der sich aus zwei vollständig autonomen Unterverbänden für Flandern und der Wallonie zusammensetzte. Die französischsprachige Organisation, nannte sich hierbei „Allgemeiner Bund der christlichen und freien Gewerkschaften für die wallonischen Provinzen“, dies um nach Rüttens Vorstellungen, insbesondere in Brüssel und im Hennegau existierende unabhängige Gewerkschaften für den Anschluss an die eigene Bewegung zu gewinnen. Auf Drängen insbesondere der „Féderation Wallonne des Metallurgistes“ kam es dann endlich im Jahre 1912 auch zur Verschmelzung der flämischen und wallonischen Sektionen.

Die Entwicklung der Organisation schritt sehr zügig voran. Neben
den zen
tralisierten Berufsverbänden, wurden nunmehr auch überberufliche Regionalverbände eingerichtet, die sich insbesondere um die Gewinnung neuer Mitglieder, um die Popularisierung des christlichen Gewerkschaftsgedankens und um die Schulung der angeschlossenen Arbeiter kümmerten.
Am Vorabend des Ersten Weltkrieges hatte sich die Christliche Gewerkschaftsbewegung Belgiens soweit konsolidiert, dass sie aus dem öffentlichen Leben des Landes nicht mehr wegzudenken war.
1923, auf einem Kongress in Antwerpen, nahmen die Verbände dann die noch heute gültige Firma: „Algemeen Christelijk Vakverbond (ACV)/ Conféderation des Syndicats Chretiens“ an. Weitestgehend aufgehoben wurde nunmehr die Autonomie der einzelnen Berufsverbände. Bereits 1922 war die Gründung einer gemeinsamen Versicherungskasse der „Caisse Centrale de Réassurance“ erfolgt. 1926 wurde die Streikgeldauszahlung in der „Caisse Centrale de Resistance-CCR“ zentralisiert. Auch wurde das Recht Arbeitskämpfe auszurufen und zu führen nunmehr von den Einzelverbänden auf die Leitung des Zentralverbandes übertragen.
Ähnlich den Ortskartellen der christlichen Gewerkschaften in Deutschland, gründete der ACV/CSC nunmehr ebenfalls regionale Föderationen, Gesamtverbände auf Ortsebene.

Seit in den 1900dreißiger Jahren immer deutlicher wurde, dass sich auch Belgien nicht aus den sich abzeichnenden kriegerischen Auseinandersetzungen werde heraushalten können, trafen die nationalen Gewerkschaftsführungen Vorbereitungen für den Fall einer deutschen Invasion. So gelang es tatsächlich vor dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 die wichtigsten Mitarbeiter und gefährdeten Personen, die Kassen und belastende Dokumente außer Landes zu bringen. Gewerkschaftsführer aller Richtungen gingen zunächst in den noch unbesetzten Teil Frankreichs oder auch direkt nach Großbritannien. Wenig später kehrte aber ein Teil, gerade auch christlicher Gewerkschafter, wieder nach Belgien zurück.

Im November 1940 wurde, ausgehend von der deutschen Besatzungsmacht, die „Union des Travailleurs Manuels et Intellectuels“ als Gesellschaft ohne Erwerbszweck (GoE/ASBL) gegründet. Die vormaligen Gewerkschaftsverbände wurden vor die Alternative gestellt, sich entweder diesem Zwangssyndikat anzuschließen oder aber sich offiziell aufzulösen und dann eventuell im Untergrund tätig zu werden. Während die flämische ACV sich für eine Mitarbeit aussprach, lehnte die CSC wie auch die sozialistischen Gewerkschaften jegliche Kollaboration mit der Besatzungsmacht entschieden ab. Die UTMI stieß bei den belgischen Arbeitern auf wenig Gegenliebe, übergetretene Gewerkschaftsführer galten als Verräter. Desillusioniert verließen im März 1941 bereits wieder jene Teile des ACV das Zwangssyndikat, die sich zunächst für eine Mitarbeit ausgesprochen hatten. Auch sie mussten nunmehr zwangsweise in die Illegalität abtauchen, wo Vorbereitungen für die Zeit nach dem Kriege getroffen wurden.

Im Gegensatz zur sozialistischen Konkurrenz, die sich nach dem Abmarsch der Deutschen mit allerlei in der Besatzungszeit entstandenen linken und linksradikalen Gruppen herumschlagen musste, die teilweise über einen erheblichen Massenanhang verfügten, stand die CSC/ACV bei Kriegsende relativ gefestigt und geschlossen da. Bereits am 4. September 1944, dem Tag der Befreiung Brüssels vom deutschen Joch, nahm hier das Büro wieder seine Tätigkeit auf. Auf einem Kongress vom 13. bis zum 15. Juli 1945 konnte die Rekonstruktionsphase bereits als beendet betrachtet werden.


Bibliographie

Christmann, Heidi: Presse und gesellschaftliche Kommunikation in Eupen-Malmedy zwischen den beiden Weltkriegen, Diss. phil. (masch. schriftl.), München 1974

CSC'85 Notizen: Die christliche Gewerkschaftsbewegung in Belgien oder die CSC kennen, Verviers 1985

CSC-Brüssel: Cent ans de CSC, Brüssel 1986

Ruland, Herbert
: In Memoriam Jacques Wynands: Sozialistische Agitation unter den Eupener Arbeitern erste Organisationsversuche aus dem belgischen Verviers, in: Zaungast kritisch-informative Zeitung Eupen, 8. Jg. 1987, Nr.3

Ders.(Hrsg.): „Gott segne die christliche Arbeit. Ein Lesebuch zur Geschichte der Eupener Arbeiterschaft in französischer und preußischer Zeit, Aachen/Eupen 1988

Wintgens, Hans: 100 Jahre CSC - hektographierter Festvortrag, Eupen 1986

Wintgens, Randolph W./ Belgische Gewerkschaften. Ihre Herkunft, Struktur und Funktion, Diss. Wirtschafts-u. Gesellschaftswissenschaften, (masch. schriftl.),Bonn 1974

Zur Darstellung der Ereignisse nach 1914 dienten dem Autor teilweise auch zeitgenössische Zeitungsartikel.












 

 

SUCHE
 
 
 
 
EXTERNE AUFTRÄGE


Koordination der „Aktionstage Politische Bildung“


Demokratieerziehung in Brüssel


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft in der „Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im pädagogischen Beirat des „Jüdischen Museums der Deportation und des Widerstandes in Mechelen“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Verwaltungsrat der Gedenkstätte Breendonk



 

top

home | grenzgeschichte | zeitzeugenarbeit | projekte | rundbriefe | aktionstage |
kontakt | impressum | datenschutz