Die Entwicklung der christlichen Arbeiterbewegung auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Kelmis - La Calamine
von ihren Anfängen um die Jahrhundertwende bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges
von Dr. Herbert Ruland
Einleitung (aus: 1816 - 1919: Das "Vergessene Land" von Neutral-Moresnet)
Seit dem frühen Mittelalter wurde im äußersten Westen des Gebiets der damaligen Freien Reichsstadt Aachen Galmei abgebaut. Galmei ist eine Erzmischung aus Zinkkarbonat und Zinksilikat, das in der regionalen Umgangssprache auch heute noch als "Keleme" bezeichnet wird. Die Vorkommen waren so bedeutsam, dass es unter den Grenznachbarn immer wieder zu Streitereien darüber kam, wer den "Altenberg" ("Vieille Montagne") nun eigentlich ausbeuten dürfe. Nachweislich wurde die Grube ab der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts auf Rechnung der Freien Reichsstadt betrieben. Das hier geförderte Erz war Grundlage der ertragreichen Tätigkeiten der Aachener Kupferschmiede und Messinghändler. Neben den Aachener Bürgern, hatten damals aber auch die Bewohner der anliegenden Dörfer aus dem Herzogtum Limburg das Recht, sich mit dem begehrten Rohstoff einzudecken.
1439 verweilte Philipp der Gute von Burgund, in Personalunion Landesherr von Limburg, zur Heiligtumsfahrt in Aachen. Auf der Rückreise von seiner frommen Einkehr annektierte Philipp kurzerhand den Gebietsstreifen auf dem der Altenberg lag: tatsächliche oder vermeintliche Einschränkungen der Rechte Limburger Bürger am dortigen Erzabbau waren des Guten Vorwand für diese lukrative Tat. Bis zur endgültigen Besitznahme der hiesigen Region durch die Franzosen 1795, stellte der Kelmiser Galmeiberg den wertvollsten Teil der Limburger Domänenverwaltung dar.
Und auch nach dem Ende der französischen Herrschaft war der Galmeibergbau hier vor Ort noch so lohnenswert, dass sich 1814/15 beim Feilschen um die Napoleonische Konkursmasse in Wien die neu entstandenen Vereinigten Niederlande und Preußen nicht darüber einigen konnten, wem dieser Landstrich denn zukünftig gehören sollte. Und so kamen die beteiligten Mächte 1816 in Aachen zu einem merkwürdigen Beschluss:
Neutral-Moresnet - Nichts hält länger als ein Provisorium
Zur Geschichte dieses einzigartigen politischen Gebildes, schrieb die Rheinische Zeitung aus Köln 1903:
"Die Geschichte dieser neutralen Bezirke von Moresnet und seiner jetzigen Verwaltung ist im Übrigen ebenso absonderlich wie einfach. Moresnet war zur Zeit des Sturzes des ersten französischen Königreichs eine Gemeinde des Ourthe-Departements und abhängig vom Kanton Aubel. Der Aachener Vertrag vom 26. Juni 1816 gab der Neutralität von Moresnet die Grundlage. Er teilte diese Gemeinde in drei Bezirke, gab den einen an Preußen, den zweiten an Holland und orakelte bezüglich des zwischen beiden liegenden dritten, daß vernünftiger Weise weder Holland noch Preußen auf diesen Anspruch hätten, da beide Staaten dieselben Ansprüche erheben könnten.
Es sollte in Moresnet daher eine gemeinsame Verwaltung eingeführt werden und keiner der genannten Staaten dürfe die Enklave militärisch besetzen. Als Belgien 1830 selbständig wurde, trat es auch in Hollands bisherige Ansprüche in Moresnet ein, änderte aber an der bestehenden Verwaltungsform nichts. Diese ist folgende: sowohl Preußen wie Belgien unterhält dort einen Kommissar, die gemeinsam die oberste Behörde darstellen. Die Bürger wählen ihren Bürgermeister und die Gemeindevertretung. Der Bürgermeister ist die ausführende Hand sowohl der Beschlüsse des Gemeinderates, nach Genehmigung der Regenten, als auch derer der beiden Kommissare. Die Einwohner sind weder in Preußen noch in Belgien dienstpflichtig. Mit ihren Klagen können sie sich nach Aachen oder Verviers wenden. Grundlegend für die Rechtsprechung ist das napoleonische Gesetzbuch, gemildert oder verbessert durch die neuere Gesetzgebung beider Länder, laut Verfügung des Brüsseler Kassationshofes vom 17. März 1865“.
1. Auswärtige Einflüsse auf die Arbeiterbewegung
Neutral-Moresnet,
ein Relikt des „Wiener
Kongresses“,
fast wäre
man geneigt zu sagen: ein Treppenwitz der Geschichte.
Nahezu
hundert Jahre lang stand dieses nur 343 Hektar, 95 Ar und 28 Centiare
winzige Fleckchen Erde unter gemeinsamer preußisch-niederländischer, nach
1830 unter preußisch-belgischer
Verwaltung.
Dementsprechend war auch
die Einwohnerschaft dieser „am
Kreuzungspunkt der Völker“ gelegenen
Gemeinde bunt gemischt. Nach dem Ergebnis der Volkszählung vom 10. Juni 1901
setzte sie sich wie folgt zusammen:
Preußen 1
470 42,82 %
Belgier 1
169 34,05 %
»Neutrale« 438 12,76 %
Niederländer 353 10,28 %
Angehörige
anderer Nationalitäten 3
Summa: 3 433
Unter
diesen Umständen,
mag es nicht verwundern, dass
an einem solchen, damals eigentlich nur durch die
Anwesenheit der „Vieille-Montagne“ bedeutsamen Ort, das
Aufkommen von Arbeiterorganisationen weitestgehend von außen aus gefördert worden ist.
Bereits in dieser
Einleitung kann jedoch festgehalten werden: obwohl in den bergbaulichen Anlagen im Neutralen Gebiet und in den angrenzenden Gemeinden damals auch zahlreiche wallonische
Arbeiter tätig
waren, lässt
sich hier bis zur Änderung
der politischen Verhältnisse
1919/20 kein Einfluss belgischer Gewerkschaften wahrnehmen.
Die
sich seit der Endphase der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
in der benachbarten Industriestadt Verviers herausbildenden Arbeiterorganisationen,
standen zunächst
fast ausschließlich
auf dem Boden antiautoritär-kommunistischer (anarchistischer) Ideologie.
Nach der 1885 erfolgten Gründung der §Parti Ouvrier Belge§,
gelang es dieser und der ihr nahe stehenden Gewerkschaftsbewegung
schließlich
auch in Verviers die untereinander zerstrittenen, anarchistischen Gruppen und
Grüppchen
aufzusaugen und zu beerben.
Die
sich nach 1886 herausbildende belgische, christliche Gewerkschaftsbewegung
scheint in Verviers und Umgebung vor 1920 entweder überhaupt nicht, oder nur
rudimentär
verankert gewesen zu sein.
Es
sollten Ereignisse und Entwicklungen in den beiden benachbarten Städten Eupen und Aachen
sein, die den Gang der Organisierung der Arbeiter im Neutralen Gebiet
und in den anliegenden Gemeinden entscheidend mitbestimmen sollten.
Am
29. August 1896 forderte Alfred Peters, Besitzer der Firma Leonhard Peters in
der Eupener Haasstraße,
den Weber Gustav Müllender
und zwei seiner Kollegen auf, zukünftig zwei Webstühle zu bedienen. Was
diese Rationalisierungsmaßnahme aber bedeutete - Abbau von Arbeitsplätzen und
Senkung der Löhne
- war den betroffenen Arbeitern plastisch durch die Einführung dieses Systems im
Nachbarort Verviers vor Augen geführt worden. Da Peters von seinem Vorgehen
nicht ablassen wollte, traten die Weber notgedrungen in den Streik. Auch im
Betrieb von J. Taste - Filiale einer Vervierser Tuchfabrik - legten die 24
Maschinenweber wegen des gleichen an sie gerichteten
Ansinnens, am 8. September 1896 die Arbeit nieder.
Die
Solidarität
der Eupener Bevölkerung
gehörte
fast ausschließlich
den Streikenden. In einer Stadt, deren Bevölkerung sich überwiegend aus Fabrikarbeitern
und nur aus wenigen (dafür
aber teilweise schwer-) reichen Bürgern zusammensetzte,
waren auch die Kleingewerbe treibenden Händler und Handwerker in ihren meist geringen
Erwerbsverhältnissen
fast ausschließlich
auf die Einkommen der Arbeiter angewiesen. Eine Senkung der Arbeiterlöhne, gar der Wegzug
arbeitsloser Mitbürger,
musste
sich verheerend auf die weitere Existenz des zahlenmäßig nur schwachen Eupener
Mittelstandes auswirken.
Auch
in Aachen und Burtscheid war die Empörung über die Eupener Vorgänge groß. Den dortigen Arbeitern
war zu Recht bewusst,
dass,
sollte das »Zweistuhlsystem« in
der Nachbarstadt durchgehen, sie ebenfalls bald davon
betroffen wären.
Die dortige »Fachsektion
für
Weber im katholischen Arbeiterverein« und
auch der »Katholische
Weberverein«,
veranstalteten nicht nur
in ihrem Ergebnis erfolgreiche Geldsammlungen für die Eupener Kollegen in Aachener und
Burtscheider Fabriken, sondern beriefen auch zahlreiche gut besuchte Protest- und Aufklärungsveranstaltungen zu
diesem Thema ein. Immer deutlicher artikuliert wurde auf diesen
Versammlungen, dass letztendlich nur durch die Schaffung einer
starken Organisation die Einführung des Zweistuhlsystems verhindert werden
könnte.
Da den Mitgliedern
der oben genannten katholischen Arbeiterkorporation ein Zusammengehen mit der
mitgliedsschwachen, seit 1891 in Aachen bestehenden Filiale des (sozialdemokratischen) „Deutschen-Textilarbeiter-Verbandes“ aus
weltanschaulichen Gründen
unmöglich
erschien, beschloss
man bereits auf einer Versammlung am 27. September 1896 im
Aachener Katholischen Gesellenhaus die Gründung eines überkonfessionellen „Christlich-sozialen Textilarbeiterverbandes von Aachen,
Burtscheid und Umgebung“ der am 1. Oktober 1896 ins Leben
trat. Die Eupener Arbeiter zogen bald nach: in enger Anlehnung
an die Aachener Bruderorganisation erfolgte am 24. Oktober gleichen Jahres im
großen
Saale des Hotels Koch, Paveestraße, die Konstituierung des „Christlich-sozialen
Textilarbeiterverbandes von Eupen und Umgebung“.
Damit
hatten sich die ersten beiden Textilarbeitergewerkschaften in Deutschland
auf christlich-sozialer Grundlage herausgebildet, Arbeiter an anderen
Orten vor allem im Rheinland und in Westfalen folgten bald mit der Gründung ähnlicher Verbände nach. Mit dem 1. April 1901 schlossen sich all diese zumeist bisher nur lose untereinander
verbundenen Gewerkvereine zum „Zentralverband christlicher Textilarbeiter
Deutschlands“ zusammen; eine Bewegung, die ihren Ursprung in
der Stadt Eupen genommen hatte, fand
somit ihren vorläufigen
organisatorischen Abschluss.
2. Die Gründung einer Ortsgruppe Hergenrath des „Zentralverbandes christlicher
Textilarbeiter Deutschlands“
Im Jahre 1901
vereinigten sich 52, wohl vor allem in Aachen und Eupen beschäftigte Textilarbeiter aus Hergenrath, Neutral-Moresnet, Hauset und
Eynatten zur Ortsgruppe Hergenrath des
obigen Zentralverbandes.
Auf
der Generalversammlung der Ortsgruppe am 23. März 1902 - die regelmäßigen Treffen in
Hergenrath fanden im Lokal Kaltenbach statt - konnte
der Vorsitzende, der Gastwirt Adam Everts aus Kelmis in seinem Rechenschaftsbericht
mitteilen, dass
nunmehr 70 Textilarbeiter und 5 Ehrenmitglieder
gewerkschaftlich organisiert waren.
Bereits
im Gründungsjahr
hatten sich auf einer Versammlung ebenfalls in Hergenrath auch vierzig
Bergarbeiter dem Textilarbeiterverband angeschlossen; eine Regelung
wie sie in den Kindertagen der deutschen, christlichen Gewerkschaftsbewegung, bei
Nichtvorhandensein einer Filiale der entsprechenden Berufsorganisation vor Ort,
noch durchaus üblich war.
Damit waren nicht einmal 10 % der
bei der „Vieille-Montagne“ tätigen Arbeiter erstmals gewerkschaftlich
organisiert; es musste wohl erst noch etwas besonderes passieren um einer
größeren Anzahl von Bergleuten die Notwendigkeit gewerkschaftlicher Selbsthilfe
vor Augen zu führen.
3. Die „Vieille-Montagne“ um die Jahrhundertwende
Die am Ende der französischen Herrschaft
noch äußerst ergiebigen Galmeilagerstätten in Moresnet waren der Grund der
Streitigkeiten zwischen Preußen und den Niederlanden um die Zukunft des Ortes.
Doch bereits zu Beginn der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde der
im Neutralen Gebiet vorgenommene Abbau wegen Erschöpfung der Vorkommen nahezu
eingestellt - nur die Aufarbeitung der alten Abraumhalden rentierte sich
damals noch.
Rechtzeitig jedoch hatte die
Gesellschaft sich Konzessionen in den umliegenden Gemeinden des Kreises Eupen
gesichert, wo noch umfangreiche Galmeivorkommen vermutet wurden; der
schließlich dort betriebene Abbau konnte sowohl an Quantität wie auch an
Qualität die erschöpften Lager aus dem Neutralen Gebiet ersetzen. Im Jahre
1900 unterhielt die Gesellschaft in Neutral-Moresnet lediglich noch eine
Coloination (Erzröste), eine Lagerstätte für aufbereitete Erze (Plaine), ein
Kohlenlager und eine kleinere Bleiaufbereitungsanlage, eine so genannte
Blendenwäsche. In diesem Betriebsbereich waren damals lediglich noch 40
Arbeiter beschäftigt. Im gleichen Jahr betrieb die Gesellschaft in den Gemeinden
Preußisch-Moresnet, Hergenrath, Hauset, Walhorn und Lontzen im Kreis Eupen
folgende Anlagen: die Grube Schmalgraf mit ca. 120, Foßei mit ca. 60,
Eschbroich mit ca. 40 und Mützhagen mit ca. 36 Arbeitern. Auch in einem erst im
hier betrachteten Jahr auf preußischer Seite in Betrieb genommenen
Blenden-Aufbereitungswerk, waren bereits nach kurzer Zeit ca. 100 Arbeiter
tätig. Insgesamt beschäftigte die „Vieille-Montagne“, einschließlich
aller Handwerker, Nebenarbeiter, usw. im preußischen Teil des Konzessionsgebietes
1900 434 Arbeiter, gegenüber 438 im Vorjahr.
Der an die Arbeiter ausbezahlte
Lohn kann als bescheiden bezeichnet werden. Der Tagesverdienst im Berichtsjahr
lag in den Gruben zwischen 2,40 und 2,80 M, in der Aufbereitung zwischen 2,10
und 2,30 M und bei den Handwerkern zwischen 2,60 und 2,75 M (damaliger Kurs: 1
M = 1,25 BF; 1 BF = 0,80 M). Spannungen kamen auch dadurch auf, dass
wallonische Arbeiter des Öfteren in der Bezahlung deutschen Kollegen vorgezogen
wurden. Oftmals hatten die Arbeiter auch Grund über das Verhalten der vorgesetzten
Angestellten ihnen gegenüber Klage zu führen.
Nach Angaben des „Bergknappen“,
des Organs des „Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter Deutschlands“ - der
ältesten und damals auch mitgliedsstärksten deutschen christlichen
Gewerkschaft - soll die 2Vieille-Montagne“ im Berichtsjahr 1900 bei
einem Grundkapital von 9 Millionen Mark einen Gewinn von 4,7 Millionen Mark
verbucht haben.
Bereits im September 1893 hatten
50 Kelmiser Bergleute den „Altenberger Bergmanns Verein“ gegründet -
eine von der Direktion der „Vieille-Montagne“ unabhängige Unterstützungskasse
auf Gegenseitigkeit, die bei Unfall oder Tod eines Mitgliedes festgesetzte
Geldbeträge an dieses oder an anspruchsberechtigte Angehörige auszahlen sollte.
Endlich Grundlage für ein
gesteigertes gewerkschaftliches Organisationsinteresse der hier beschäftigten
Berg- und Nebenarbeiter, sollte jedoch ein bekannt gewordenes Schreiben des
technischen Direktors der 2Vieille-Montagn“ an die einzelnen
Betriebsführer vom 3. Mai 1901 sein:
Zirkular, 3. Mai 1901: „Die schwere Krisis, welche die
Zinkindustrie in einem Augenblick zu bestehen hat, in welchem die Preise der
Rohstoffe, besonders die der Brennmaterialien, sehr hohe sind, veranlasst
mich, den Betriebsführern der verschiedenen Abteilungen zu empfehlen, in den
ihnen unterstellten Diensten, die größtmöglichste Ersparnis eintreten zu
lassen.Ich ersuche dieselben, darauf
bedacht zu sein, die Ausgaben jeglicher Art zu beschränken, von Ihrem Personal
durch Verdoppelung der Aufsicht ein größeres Arbeitsquantum zu erlangen, die
Faulen (?), Nachlässigen, oder ungenügend beschäftigten Arbeiter zu entlassen
und endlich die schwierige Lage unserer Industrie bei der Festsetzung der Akkordsätze
zu berücksichtigen.“
4. Organisationsversuche des „Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter
Deutschlands“ unter den Arbeitern der „Vieille-Montagne“
Für den 9. Juni 1901 berief die
Ortsgruppe Hergenrath des christlichen Textilarbeiterverbandes eine öffentliche
Versammlung in den Saal Joseph Stammen in Neutral-Moresnet ein, auf der neben
dem aus Eupen stammenden Bezirksvorsitzenden obiger Organisation Johann
Sistenich, auch August Brust, Vorsitzender des Gewerkvereins christlicher
Bergarbeiter Deutschlands, referieren sollte, wobei alle „Arbeiter und
Bürger der ganzen Umgebung, die auf dem Boden des Christentums sind, hierzu
eingeladen und/./sehr willkommen (sind).“
Die Arbeiter der Zinkhütte der "Vieille-Montagne" in Neutral-Moresnet um 1880
Nach einleitenden Worten von Adam
Evertz und Johann Sistenich ergriff August Brust das Wort. Dieser sprach über
Zweck und Ziele des Gewerkvereins und betonte die Wichtigkeit der Organisation
aus der Geschichte der Arbeiterbewegung heraus. Die Notwendigkeit sich
auch hier vor Ort zusammenzuschließen, begründete er insbesondere mit der
Verlesung des bekannt gewordenen Zirkulars. Auch teilte er mit, dass die
Firmenleitung bereits vor dem Eintritt in die Gewerkschaft gewarnt habe,
hiervon sollten die Anwesenden sich aber nicht bange machen lassen.
Tatsächlich vollzogen noch auf der
Versammlung 106 Bergarbeiter den Anschluss an die Organisation; eine
Anmeldestelle wurde eingerichtet zu deren Geschäftsführer der vor Ort lebende
Gastwirt Hubert Taeter gewählt wurde.
Die Forderungen, die der Gewerkverein nunmehr gegenüber
der Firmenleitung erhob, waren durchaus maßvoll:
bessere Behandlung der Arbeiter und Aufbesserung der
Löhne,
Wer jedoch aus alledem auf den
kontinuierlichen Aufbau einer Ortsgruppe geschlossen hatte, musste sich bald
eines besseren belehren lassen. Der Gewerkverein hatte hier zwei mächtige
Gegner, zum einen die Firmenleitung, die den Arbeitern unter keinen Umständen
das Koalitionsrecht gewähren wollte, zum anderen Musje Willems, Herausgeber
des wohl von der „Vieille-Montagne“ subventionierten „Freie(n)
Wort(es)“.
Das deutschsprachige „Freie
Wort“ erschien in Dolhain (Altbelgien) und führte einen erbitterten, vor
persönlicher Diffamierung und Einschüchterung der Arbeiter nicht Halt
machenden Schutzkrieg gegen die Akzeptierung des Koalitionsrechts bei der „Vieille-Montagne“.
Nachdem für den 25. August eine
Versammlung des Gewerkvereins im Neutralen Gebiet angekündigt wurde, hieß es in
diesem Blatt:
„Was die Herren
Christlich-Sozialen sind, das weiß auch der bescheidene Korrespondent des „Freie(n)
Wort(es)“ aus Altenberg. Wenn man das Wörtchen Christlich, welches die
Herrn Aufwiegler sich beilegen, fortlässt, dann sind es Sozialisten, im reinen
Sinne des Wortes, dann sind es jene Führer, welche es dahin gebracht haben,
dass das friedlich schöne Verhältnis, welches während eines vollen
Jahrhunderts ungetrübt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestand,
vollständig zerrüttet wurde. Dann sind es jene interessierte Personen, die die
Achtung des Arbeiters seinem Brodherrn gegenüber aus dem Herzen verbannen und
um sich selbst faule Tage zu schaffen und sich zu bereichern, ihre
Schmierblätter beim Arbeiter abzusetzen um für ihre revolutionär angehauchte
Klexe (?,H.R.) die sauer verdienten Groschen des armen Mannes einheimsen.
Bis hieran hat das „Freie Wort“
der Brustschen Hetze gegenüber sich ruhig verhalten, /.../. Nachdem aber Brust
in seinem Organe eine weitere Versammlung auf Sonntag, den 25. August
einberufen hat, da ist es denn doch an der Zeit, der braven katholischen
Bevölkerung und hauptsächlich der Belegschaft von Altenberg und Umgebung
die Augen zu öffnen und in weiteren Zügen zu beleuchten, mit wem sie es
eigentlich zu tun haben. Ja, es ist höchste Zeit, den Arbeiter darauf
aufmerksam zu machen, dass es nur noch weniger aufrührerischer Versammlungen
und Predigten des aufdringlichen Rädelsführers bedarf, um die Geduld und
Güte der Direktion des Altenberger Bergwerkes gänzlich zu erschöpfen und
über Nacht, Not, Elend, Armut, Familienunglück, usw. über unser herrliches
Ländchen, welches ein jeder liebt, heraufzubeschwören und den braven Arbeiter blindlings
der roten sozialistischen Kette beizuschmieden".
Bei dieser Aufpeitschung der
Stimmung war guter Besuch am 25. August garantiert. Der 400 Personen fassende
Saal des Lokals Meessen war überfüllt, unzählige Menschen drängten sich auf
der Kegelbahn zusammen, sowie vor den Saaltüren und an den Fenstern.
Die Versammlung wurde von Brust
eröffnet, der den Anwesenden dankte, dass sie sich nicht vom „Hans Wurst“,
„Musje ffärrus“, dem „Gewerkvereinstöter“ vom „Frechen Wort“ dem
„kleinen Köter, der bellt“ hatten einschüchtern lassen, an der Versammlung
teilzunehmen. Den, dem Gewerkverein in einer Verlautbarung der Firmenleitung
lediglich zugebilligten christlichen Anschein«, griff Brust auf: „Dass
er (Redner) Christ sei, brauche er nicht zu beweisen. Hier seien aber noch
Leute genug (die Beamten des Werks), die noch den Befähigungsnachweis als
Christen bringen müssten, da sie keine Kirchenluft vertragen können“.
Weiter führte Brust aus, dass er
nicht gekommen wäre, die Arbeiter aufzuhetzen, sondern um sie zu organisieren,
damit sie ihre wirtschaftlichen Interessen wahrnehmen könnten um sich so den
ihnen zustehenden Teil vom Gesamtgewinn des Unternehmens zu sichern. Polemisch
meinte er weiter, dass auch er zugestehen müsse, dass im letzten Jahr die Geschäftslage
nicht die Beste gewesen wäre - immerhin habe es ja nur 50 % Gewinn gegeben
- aber diese würde doch immerhin reichen, den Lohn in gewisser Weise heraufzusetzen,
anstatt zu versuchen ihn abzubauen. Schließlich setzte er sich mit den
angeblichen „Wohltaten“ der Firma - den paternalistischen
Unterstützungseinrichtungen der „Vieille-Montagne“ für ihre
Beschäftigten - auseinander, wobei man seiner Meinung nach „im allgemeinen
wohl kaum von Wohltaten sprechen könne, bei solchen schlechten Löhnen und doch so
riesigen Unternehmergewinnen. Man solle auskömmliche Löhne zahlen, dann
verzichteten die Arbeiter schon auf angebliche Wohltaten.“
Brust riet den Arbeitern, dringend
an der Organisation festzuhalten, auch wenn die Firmenleitung sich in den
letzten Verlautbarungen gegen diese ausgesprochen habe, wovon man sich aber genau
so wenig beirren lassen solle, wie von „Hans Wurst“ und dem „Freien
Wort“, denn:
„Auf dem Werk verdinge man die
Arbeitskraft, aber nicht die Geisteskraft. Außerhalb der Arbeitsstätte sei man
frei und dürfe sich diese Freiheit durchaus nicht nehmen lassen“, und mehr oder weniger als Warnung
an die Unternehmensführung: „Wenn man die Christlichen Organisationen zu
verhindern suche, würden recht bald die Sozialdemokraten kommen und die Arbeiter
organisieren“.
Nachdem
noch einige
Redner der Aachener Ortsgruppe des christlichen Textilarbeiterverbandes
ebenfalls die anwesenden Bergleute aufgefordert hatten, an der Organisation
festzuhalten, wurde folgende Resolution verabschiedet:
„Die heutige im Lokale des Herrn Meessen zu Altenberg tagende
öffentliche Gewerkschaftsversammlung missbilligt das Vorgehen der Gesellschaft
„Vieille-Montagne“ gegen den christlichen Gewerkverein der Bergarbeiter und
ebenso das Vorgehen des Verlegers des „Das freie Wort“. Sie wird stets
zur christlichen Organisation halten und den Führern derselben volles Vertrauen
schenken“.
Dennoch hoffte man seitens des
Gewerkvereins immer noch, letztendlich zu einer gütlichen Einigung mit der
Geschäftsleitung der „Vieille-Montagne“ zu gelangen, auch im
Verbandsorgan dem „Bergknappen“ versuchte man sich zunächst in
Mäßigung.
Doch zusehends verhärteten sich
die Fronten, auch der Ton des Bergknappen wurde aggressiver, ja
klassenkämpferisch, insbesondere nach einer direkten Aufforderung vom Musje
Willems im „Freien Wort“ an die Direktion der „Vieille-Montagne“, organisierte
Arbeiter zu entlassen:
„Von heute ab muss die Direktion
sich klar sein, welche Arbeiter die Brust'sche Glocken läuten und welche die
Interessen des Arbeitgebers hochhalten und zwischen diesen muss in der
einfachsten Weise sondiert werden. Jetzt wo die Hetzer sich nicht scheuen,
persönlich zu werden, heißt es einfach ohne jede Rücksicht zu handeln“.
Nach dieser Aufforderung an die
Betriebsdirektion, wurde Willems nunmehr im „Bergknappen“ nur noch als „ehrloser
Wicht“, als „der größte Halunke“, als das „Schweinikel Willems“ bezeichnet,
als ein „Bursche dem die Hundepeitsche gebühre“. Das „Freche Wort“ wurde
jetzt nur noch als „Freches Schmutzblättchen (dazu noch) unter seinem
christlichen Mantel“ oder aber als „Schmierblättchen“ bezeichnet,
das von der „Vieille-Montagne“ subventioniert werde, denn:
„Diese kann auch von ihrer
reichlichen Ausbeute leicht einem armseligen Wicht einige Tausend Mark für die
Verhetzung und Zersplitterung der Arbeiter zahlen, da hierbei die Arbeiter noch
besser ausgebeutet werden können“.
Überhaupt taucht jetzt oftmals der
Begriff Ausbeutung auf, werden nunmehr auch direkt die „Vieille-Montagne“ und
ihr Direktor Timmerhanns angegriffen, insbesondere als der in einer
Leserzuschrift an verschiedene regionale Zeitungen öffentlich bekannt gibt,
dass er die Arbeiter vor dem Eintritt in die Gewerkschaft gewarnt habe, da er
der Ansicht sei, „... dass die Tendenzen dieser Organisation dazu angetan
seien, das gute Einvernehmen, welches seit nahezu 65 Jahren zwischen meiner
Gesellschaft und ihren Arbeitern bestanden hat, zu trüben“.
Die Zuschrift des Direktors, in
der dieser noch einmal die „Wohlfahrtseinrichtungen“ seines Unternehmens
vorgestellt hatte, wird als „Geschreibsel“ bezeichnet und ausdrücklich
betont, dass man sowohl vom Direktor als von den Unterbeamten als Ausbeuter der
Arbeiter sprechen müsse:
„Die letzteren sind eben noch
nicht genügend organisiert, sonst würden sie ihm schon ihre Forderungen zugehen
lassen. Die jahrelange schmähliche Ausbeutung hat die Arbeiter eben ohnmächtig
gehalten und nur durch Anlehnung an eine starke Organisation kann ihnen zu
ihrem Rechte verholten werden“.
Und zu den „Wohlfahrtseinrichtungen“
des Betriebes:
„Es ist wirklich lachhaft, wenn
man den Arbeitern außer hundsschlechten Löhnen von den Millionen Reingewinn
noch ein paar Kröten zuwirft und dann von Wohlfahrt spricht. Die Arbeiter sind
es doch, welche die Millionen Reingewinn herausgeschuftet haben, während die
Aktionäre diese Millionen mühelos in ihren Geldsäckel streichen. Die ganzen (so
genannten) Wohlfahrtseinrichtungen der Gesellschaft nützen nur ihr selbst; den
Arbeitern werden von dem, was sie herausgeschuftet, nur einige Brosamen
zugeworfen“.
Der Artikel sollte eigentlich mit
dem Aufruf schließen, an der Organisation festzuhalten, denn „dann wird
schon bald der Tag der Abrechnung kommen; eher noch, als es Herrn Direktor
Timmerhans lieb sein könnte“, da traf kurz vor Redaktionsschluss der
Ausgabe des Bergknappen vom 21.9.1901 die Meldung ein, dass Timmerhans sechs
Arbeiter wegen ihrer Organisationszugehörigkeit entlassen habe, darunter einen
Arbeiter, der bereits 32 Jahre bei der „Vieille-Montagne“ tätig und dazu
noch Vater von zehn Kindern war:
Dazu der Bergknappe:
„Braver auch-christlicher
Timmerhans. Du hast da ein erbärmliches Werk vollführt. Aber warte Bursche. Die
Abrechnung kommt. Wenn die Arbeiter sich das brutale Vorgehen dieses
Knutenfürsten ruhig gefallen lassen, dann verdienen sie die Knute mit der sie
gezüchtigt werden. Anstatt aus dem Gewerkverein, alle hinein in
denselben, das sollte die Parole der Arbeiter sein; und dann rechnen wir mit
dem Tyrannen Timmerhans ab. Wollen die Arbeiter sich nicht dem Gewerkverein anschließen
und das Sklavenjoch abschütteln, dann ist ihnen eben nicht zu helfen“.
Das waren nicht die Töne des
friedlichen Interessenausgleichs zwischen Arbeit und Kapital, das war die dem „Bergknappen“
von der anderen Seite aufgezwungene Sprache des Klassenkampfes, wie sie
auch von einer damaligen sozialistischen Zeitschrift kaum anders hätte
formuliert werden können!
Alles schien auf einen großen
Arbeitskampf um das Koalitionsrecht der Arbeiter bei der „Vieille-Montagne“ hinauszulaufen.
Auch die Tonart des Bergknappen - höchstwahrscheinlich Brust selbst - deutete
darauf hin, dass man zu allem entschlossen war. Bereits 1897 hatte Brust
grundsätzlich betont, dass der Streik mit christlichen Grundsätzen vereinbar
sei, auch wenn er ihn nur als letztes Kampfmittel einsetzen wollte. 1898
beteiligte sich der Gewerkverein mit fünfhundert Mitgliedern an einem
mehrmonatigen Arbeitskampf in Piesberg bei Osnabrück.
Doch es kam anders - statt des
Streiks griff man zum Mittel der Geheimbündelei!
Da sich unter den Arbeitern einige
„hallunkische Verräter“ befunden haben sollten, die die organisierten
Kollegen bei der Unternehmensleitung angezeigt hätten, empfehle sich nunmehr
geheime Mitgliedschaft. Alle organisierten Kollegen sollten von dem
Geschäftsführer der Ortsgruppe dem Gastwirt Hubert Taeter „der Gott sei Dank
unabhängig vom Tyrannen ist“, bei der Behörde abgemeldet werden. In Zukunft
sollten sie dann geheime Abonnenten des Bergknappen sein und die gleichen
Rechte wie die anderen Gewerkschaftsmitglieder besitzen. Der Abonnementsbetrag
betrug vierzig Pfennige, genau soviel wie gewöhnliche Mitglieder monatlich an
Beitrag zahlten.
Die geheimen Abonnenten „bilden
so gleichsam einen Geheimbund der sich rüstet mit dem Tyrannenjoch der Verwaltung
der „Vieille-Montagne“ gelegentlich aufzuräumen./.../Und nun frisch ans Werk,
zur Arbeit für stille, geheime Abonnenten des „Bergknappen“. Timmerhans samt
dem „Frechen Wort“ und dessen Geistesvater soll sehen, dass sie ihre
volksverräterische Rechnung ohne den Wirt, ohne die Arbeiterschaft gemacht
hätten“.
Doch die Schwierigkeiten für den
Gewerkverein wollten nicht enden; zu lang war der Arm der „Vieille-Montagne“.
Zunächst erreichte man, dass der belgische Ortspfarrer Kept - dessen Gehalt
teilweise aus direkten Zuschüssen der Bergwerksgesellschaft bestand - sich
öffentlich von der Kanzel gegen die Organisationsinteressen der Arbeiter
aussprach, dann verklagte Musje Willems den „Bergknappen“ wegen
Verleumdung, schließlich versuchte der Betriebssteiger Bliesenbach den Boten
des Verbandsorgans „besoffen zu machen, damit er unsere Mitglieder angebe“ -
was misslang - und dann versuchte man es mit Zuckerbrot: man senkte die
Preise für Kohlen und Kartoffeln, die vom Werk an die Arbeiter verkauft
wurden.
Dennoch, eine für den 20.10 vom
Gewerkverein einberufene Versammlung „in welcher öffentliche Angelegenheiten
erörtert und beraten werden“ sollten, war noch besser besucht als alle
vorherigen. Wieder war August Brust anwesend. Er sprach zunächst über die
Notwendigkeit der Organisation. Behaupte das hiesige Werk der Gewerkverein
könnte nichts für die hiesigen Arbeiter tun, so sei doch zumindest zu
vermelden, dass auf sein bloßes Auftreten hin, immerhin die Löhne etwas
gestiegen seien und auch die Preise für Kartoffeln und Kohle abgenommen hätten,
dies „weil den Herrn das Gewissen geschärft“ worden sei. Des Weiteren
ging er auf das Verhalten des Ortspfarrers ein, dieser sollte sich demnächst
erst gründlich informieren, bevor er von der Kanzel gegen die Arbeiter
agitierte. Letztere sollten aber nunmehr keine Stellung gegen den Pfarrer
einnehmen, auch dieser werde einmal begreifen, „dass sein Verhalten gegen
die Arbeiter und den Gewerkverein ungerechtfertigt sei“.
Zur Organisation der Bergarbeiter vor
Ort meinte Brust nur knapp: „Die Bergleute sind hier zwar gezwungen, im
Geheimen der Organisation anzugehören und für Weiterverbreitung zu sorgen, doch
schadet das gar nichts. (?, H. R.). Der Tag der öffentlichen Abrechnung werde
schon kommen“.
Zweiter Redner war Arbeitssekretär
Giesberts, der im Auftrag August Piepers, des Generalpräses der katholischen
Arbeitervereine Westdeutschlands „dessen und der deutschen Geistlichkeit
Sympathien für die christlichen Gewerkvereine Ausdruck gab“; dies geschah wohl vor allem
deshalb um die Äußerungen des Ortspfarrers zu relativieren. Auch der Bezirksvorsitzende
des christlichen Textilverarbeitungsverbandes, Sistenich, sprach sich für eine
Weiterverbreitung der christlichen Gewerkschaften aus.
Tatsächlich wurde es nun zusehends
ruhiger um den Gewerkverein im Neutralen Gebiet, nach einiger Zeit findet sich
auch nichts mehr im
„Bergknappen“ hierüber. Der schwere Stand, den
der christliche Gewerkverein hier hatte, kam übrigens nicht der
sozialdemokratischen Konkurrenz zustatten: Im Mai 1904 waren gerade zwei
Bergleute aus Neutral-Moresnet im Verband deutscher Bergarbeiter (Zahlstelle
Bardenberg) organisiert.
5. Die Weiterentwicklung der christlichen Gewerkschaftsbewegung im
neutralen Gebiet nach dem Scheitern der Bemühungen um die Anerkennung des Koalitionsrechts
bei der „Vieille-Montagne“
Auch nach diesem Rückschlag bei
der „Vieille-Montagne“, war die christliche Gewerkschaftsbewegung
weiterhin emsig bemüht, im Neutralen Gebiet Fuß zu fassen. In den Jahren
1901/1902 fanden hier wiederholt „öffentliche Gewerkschaftsversammlungen“ mit
auswärtigen Rednern statt, zu denen „alle christlich organisierten Arbeiter
aus Kelmis und Umgebung, sowie deren Frauen und Mütter freundlichst und
dringend eingeladen“ wurden. Auch plante man bereits damals hier seitens
der christlichen Gewerkschaften die Einrichtung einer Konsumgenossenschaft.
Zumindest nachweislich bis 1906
veranstaltete die Ortsgruppe Hergenrath des christlichen
Textilarbeiterverbandes ihre Versammlungen des Öfteren im Neutralen Gebiet.
Mitteilung des "Ortskartells der christlichen Gewerkschaften zu Altenberg" 1906/07: "Die fliegende Taube", 60. Jahrgang 1907, Nr. 131 vom 16.11., Seite 4
Im letzten Quartal 1903, versuchte
der christliche Holzarbeiterverband hier eine Filiale zu gründen, der
Erfolg scheint jedoch ausgeblieben zu sein.
Nachhaltiger waren die Bemühungen
des Zentralverbandes christlicher Bauhandwerker und Bauhilfsarbeiter Deutschlands:
Nach einer, am 29. April 1906 von der Zahlstelle Hauset dieses Verbandes, im
Neutralen Gebiet organisierten Versammlung wurde von dreißig Interessenten
eine eigene Ortsgruppe gegründet.
Die drei nunmehr hier vor Ort
vorhandenen, christlichen Gewerkschaften: Berg- und Bauarbeiter und die
Ortsgruppe des Textilarbeiterverbandes aus Hergenrath mit ihren nach eigenen Angaben insgesamt 200 Mitgliedern schlossen sich nunmehr zum „Ortskartell der
christlichen Gewerkschaften zu Altenberg“ zusammen.
Flugblatt zu einer Versammlung des Gewerkvereins christlicher
Bergarbeiter Deutschlands, höchstwahrscheinlich von Dez. 1905
(eventuell 1911). Das Original befindet sich im Privatbesitz von
Herrn Leon Göbbels, Eupen.
Diese
Konsolidierung der christlichen Gewerkschaftsbewegung im neutralen
Gebiet scheint jedoch nicht von langer Dauer gewesen zu sein; zwar berichtete
„Die Fliegende Taube“
1907 über
eine am 17. November stattgefundenen, von etwa 300 Personen
besuchten „imposanten
Kundgebung für
den christlichen Gewerkschaftsgedanken“, doch
finden sich nach diesem Zeitpunkt weder in der lokalen und regionalen
Presse, noch in Gewerkschaftsorganen Hinweise auf weitere derartigen Aktivitäten im Neutralen Gebiet.
Im
November 1911 gelang es einem Komitee, das aus der Mitte der etwa 400
damals täglich
zur Arbeit nach Aachen fahrenden Pendler aus dem Neutralen Gebiet gebildet
worden war, in Verhandlungen mit der Aachener Kleinbahngesellschaft, die Bereitstellung
zusätzlicher Arbeiterzüge zu verbilligten Tarifen zu erreichen. Anfragen in diesem Sinne
waren in Stadt und Kreis Eupen des Öfteren vom Ortskartell
der christlichen Gewerkschaften, von Ortsgruppen des Textilarbeiterverbandes
und vom so genannten Lokalverband an die Aachener Gesellschaft
gerichtet worden. Bei dem obigen Vorgang ist jedoch keine gewerkschaftliche Beteiligung
wahrzunehmen.
6. Gründe für das weitgehende Scheitern der
Christlichen Gewerkschaftsbewegung in Neutral-Moresnet
Der wesentlichste Grund, der schon
1901 eine kontinuierliche Entwicklung des christlichen Bergarbeiterverbandes
vor Ort verhindert hatte - die schroff feindselige Haltung der
Betriebsdirektion der „Vieille-Montagne“ gegenüber den
Organisationsabsichten der Arbeiter - bestand auch nach diesem Zeitpunkt weiter
fort. Zumindest für ihre auf neutralem Gebiet gelegenen Betriebsanlagen,
konnte sich die Bergwerksleitung sogar auf das damals vor Ort noch geltende,
veralterte, französische Rechtssystem berufen. Durch das am 14. Juli 1791 von
der konstituierten Nationalversammlung verabschiedete „Le Chapelier“-Gesetz
war die Koalition von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern unter Strafe
gestellt worden; verschärft wurden diese Bestimmungen noch durch §415 und §416 des
„code pénal“ aus dem Jahre 1810.
Das System der zahlreichen
paternalistisch verwalteten Unterstützungs- und Fürsorgekassen (bei denen
oftmals kein rechtlich geltend zu machender Anspruch auf die Gewährung von
Leistungen bestand), die Anmietung verbilligter Arbeiterwohnungen, die Möglichkeit
des Bezugs im Preis reduzierter Lebensmittel und Brennmaterialien auf dem Werk,
all dies und manches andere mag viele Arbeiter - auch wegen der kaum vorhandenen
Möglichkeit sich vor Ort ein anderes Einkommen zu schaffen - dazu bewogen
haben, der gewerkschaftlichen Organisation fernzubleiben, um nicht in den Augen
des „Brotherrn“ als Quertreiber und Querulanten dazustehen.
Hinzu kam die nahezu vollständige
Beherrschung des öffentlichen Lebens im neutralen Gebiet und teilweise auch in
den angrenzenden Ortschaften durch die von der „Vieille-Montagne“ gestifteten
und teilweise oder ganz subsidierten Institutionen und Vereine. Das „Freie
Wort“ und sein Herausgeber Musje Willems waren dabei nur ein - wenn auch
nicht unwesentlicher Teil - in einem umfangreichen Gefüge, es bleiben
weiterhin zu benennen: die Volksschule (1845), die auf Betreiben und mit dem
Geld der Gesellschaft gegründete, katholische Pfarrgemeinde und ihre
Geistlichkeit (1858), die Errichtung einer evangelischen Kirche in
Preußisch-Moresnet (1856), Schützen- und Geselligkeitsvereine, denen vielfach
Angestellte des Werks und der Direktor als Ehrenpräsident angehörten, die
Bergwerkskapelle mit besoldetem Dirigenten, etc., etc...
Gerade die der katholischen
Ortsgeistlichkeit wohl auch von vielen Arbeitern zugebilligte vermeintliche
Autorität auch in weltlichen Angelegenheiten, scheint der Ausbreitung der
christlichen Gewerkschaftsbewegung im Neutralen Gebiet entschieden geschadet zu
haben. Immer wieder wurde daher auf gewerkschaftlichen Veranstaltungen und in
Publikationen von dieser Seite betont, dass populäre, deutsche, katholische
Würdenträger den christlichen Gewerkschaften äußerst wohlwollend
gegenüberstünden und die katholischen Arbeiter zum Eintritt in dieselben
aufgefordert hätten. So führte z.B. Kaplan Buscher aus Aachen auf der
Gewerkschaftsveranstaltung am 17. November 1907 zum Thema „dürfen die
katholischen Arbeiter und Arbeiterinnen einer christlichen Gewerkschaft
beitreten“ wohl nicht zuletzt mit Hinblick auf die Verhältnisse im Neutralen
Gebiet aus:
„Die Vorwürfe, welche die Gegner
der christlichen Gewerkschaften immer den Arbeitern betreffend ihrer
Organisation, machen besonders widerlegend, hielt der Redner der Versammlung
die Aussprüche des Kardinal-Erzbischofs Fischer aus Köln vor, welche selbiger
in Essen und Düsseldorf zugunsten der christlichen Gewerkschaften in großen
Arbeiterversammlungen getan hatte. Wenn so eine hohe Autorität unserer Kirche
für die christlichen Gewerkschaften eintritt, dann haben andere untergeordnete
Organe nichts dreinzureden und es ist dann für die katholische Arbeiterschaft
unumgängliche Pflicht den christlichen Berufsverbänden beizutreten“.
Auch der Beitrag des nunmehrigen
Bezirkssekretärs des christlichen Textilarbeiterverbandes - von 1905 bis 1907
erster freigestellter Gewerkschaftssekretär in Eupen - Ewald Weber auf der
gleichen Versammlung „warum organisieren wir uns und warum christlich“,
bezog sich wohl auch vor allem auf die speziellen lokalen Gegebenheiten:
„Seine verständliche Rede räumte
auch mit der falschen Fürsorge auf, womit man die Arbeiter an verschiedenen
Orten am Gangelbande führen will. Nicht Wohltaten verlangen wir, sondern unser
Recht und als Mensch behandelt zu werden“.
Nur einen Monat vor dieser
Veranstaltung, war im Neutralen Gebiet eine „St. Barbara Kranken- und
Sterbekasse Bergmanns Wohl“ gegründet worden; war dies eines der „Gängelbänder“
von denen Weber sprach?
Bei diesen Schwierigkeiten, denen
sich hier die christlichen Gewerkschaften gegenüberstanden, ist es wohl nicht
weiter verwunderlich, dass über sozialdemokratische Aktivitäten im Neutralen
Gebiet im Berichtszeitraum absolut nichts zu vermelden ist.
Und noch etwas verdient es,
erwähnt zu werden: Auch nach der Veränderung der politischen Verhältnisse
1919/20 gelang es Timmerhans - der im Jahre 1934 sein 50jähriges
Betriebsjubiläum begehen konnte - und seinen leitenden Angestellten bis zur
Schließung der letzten Grube in hiesiger Gegend im Juli 1938 jegliche offene,
gewerkschaftliche Betätigung der dort Beschäftigten vollständig zu unterdrücken.
7. Die Weiterentwicklung der Christlichen Gewerkschaftsbewegung in
Hergenrath
Wesentlich erfolgreicher als in
Neutral- und Preußisch-Moresnet verliefen die Organisationsbemühungen der
deutschen, christlichen Gewerkschaftsbewegung vor 1914 im heutigen Ortsteil
Hergenrath der Gemeinde Kelmis-La Calamine.
Die Ortsgruppe des
Zentralverbandes christlicher Textilarbeiter Deutschlands, bestand zumindest
nachweislich im Jahre 1910 noch.
Zeitgleich mit Herbesthal wurde
auch in Hergenrath im November/Dezember 1909 eine Ortsgruppe des „Zentralverbandes
deutscher Eisenbahnhandwerker und Arbeiter“ gegründet, eine Organisation
die dem „Gesamtverband christlicher Gewerkschaften Deutschlands“ angeschlossen
war.
Erster Vorsitzender der Ortsgruppe
wurde Wilh. Clemens und bereits auf der ersten regelmäßigen
Mitgliederversammlung am 5.1.1910 konnte festgestellt werden, dass dem Verband
in der kurzen Zeit seines Bestehens vor Ort bereits 50 Eisenbahner beigetreten
waren.
Ein kontinuierlicher Aufbau schien
also bevorzustehen: hinzu kam auch noch ein spezielles lokales Problem, dessen
Lösung an und für sich ein Interesse der Hergenrather Eisenbahner an einer
starken gewerkschaftlichen Organisation fördern musste: nahezu alle dort
wohnhaften Staatsbahnangestellten waren auf Aachener Stadtgebiet beschäftigt,
entweder bei der Bahnhofsmeisterei (BM) 5 Ronheide oder aber bei der BM 13 Aachnen.
Die preußische Staatsbahn zahlte ihren Arbeitern höhere Löhne, wenn sie in
einem städtischen Gebiet arbeiteten - aber nur wenn sie dort auch wohnten - und
dies eben traf auf die Hergenrather Eisenbahner nicht zu. Direkt an der Peripherie
der Stadt Aachen lebend, mussten sie sich mit den Löhnen die in ländlichen
Gebieten bezahlt wurden, zufrieden geben. Als weitere Benachteiligung empfanden
die Hergenrather Eisenbahnarbeiter, dass sie sich mit ihren diesbezüglichen
Beschwerden nicht an den Arbeiterausschuss der Bahn in Aachen wenden konnten,
wo sie ja ihrer Tätigkeit nachgingen, sondern sich bei Eingaben an die ihnen
vollkommen unbekannten Mitglieder dieses Gremiums in Herbesthal wenden mussten.
Doch trotz hoffnungsfrohen Beginns
- der neuen Ortsgruppe war zunächst kein langes Leben beschieden. Über das wie
und warum ihrer Auflösung ist wohl heute nichts mehr zu erfahren, fest steht
nur, dass im Spätsommer 1912 mit auswärtiger Unterstützung ein neuer Versuch
gestartet wurde, in Hergenrath eine lebensfähige Gruppe obigen Verbandes zu etablieren.
Auf der Gründungsversammlung am
30.8. erläuterte zunächst Verbandsmitglied Siegen aus Aachen „Zweck und
Ziele des Zentralverbandes“, Klassen aus Herbesthal, schloss sich den
Ausführungen des Vorredners an. Die 45 Eisenbahner, die sich hier der
Gewerkschaft anschlossen, wählten folgenden Vorstand:
1.
Vorsitzender: Laschet
1.
Kassierer: Wallraff
1.Schriftführer: Zimmermann
Nach der am 4. April 1913
erfolgten Neuwahl, setzte sich der Vorstand der Ortsgruppe wie folgt zusammen:
1.Vorsitzender: Alfons Becker
2.
Vorsitzender: Josef Kauw
1.
Schriftführer: Konstant. Pohlen
Da der aus Hauset stammende Leiter
der Ortsgruppe Alfons Becker im Januar 1914 zum besoldeten Bezirksleiter in
Aachen ernannt wurde, ergab sich wiederum die Notwendigkeit der Neubesetzung
des Vorstandes:
Die regelmäßigen Versammlungen der
Ortsgruppe fanden ab Dezember 1912 jeweils am ersten Freitag im Monat in der
Restauration Peter Knops statt.
Die neu gegründete Ortsgruppe
entfaltete sofort vielfältige Aktivitäten. Oftmals besuchten bekannte
auswärtige Referenten ihre regelmäßigen Versammlungen. Im Mittelpunkt der dort
geführten Diskussionen und auch in Petitionen an die preußische
Staatsbahnverwaltung stand aber zumindest bis zum Ausbruch des Weltkrieges
eine Lösung des weiter oben skizzierten „Ronheider-Problems“ in einem
für die Hergenrather Eisenbahner günstigem Sinne.
8. Die Gründung eines katholischen Arbeitervereins St. Joseph in
Neutral-Moresnet im Jahre 1914
„Dem dringlichsten Wunsche
hiesiger Arbeiter entsprechend“, fand unter Leitung von Kapl. Balthazar Fis am 1. Februar
1914 in der Patronage in Kelmis die Gründung eines katholischen Arbeitervereins
St. Joseph statt. Statutengemäß stand an seiner Spitze als Präses immer ein
katholischer Geistlicher der Pfarre Kelmis (§ 5a), er „bestimmte seinen
Stellvertreter aus den von der Generalversammlung gewählten
Vorstandsmitgliedern“ (§ 5b).
Über den Vereinszweck und über die
Mittel diese zu verwirklichen, hieß es in den Statuten:
2. Zweck des
Vereins:
a) Wahrung und Förderung der
Religiosität und Sittlichkeit seiner Mitglieder
im festen Anschluss an die Kirche.
b) Belehrung und Aufklärung der
Mitglieder über die soziale Gesetzgebung
der verschiedenen Länder.
c) Schutz und Förderung der
wirtschaftlichen Arbeiterinteressen, insbesondere Einführung von
Wohlfahrtseinrichtungen.
d) Pflege der allgemeinen geistigen
Bildung und Förderung der Standestugenden.
e) Pflege echter Kameradschaft sowie
veredelnder Unterhaltung und Geselligkeit.
Ziel aller Vereinsarbeit ist es,
den volkswirtschaftlichen Wert des Arbeiterstandes zu heben und die Arbeiter
zu freudiger Pflichterfüllung dem eigenen Stande und der gesamten Gesellschaft
gegenüber anzuhalten. Gewerkschaftliche Bestrebungen sind ausgeschlossen
3. Mittel zur Erreichung dieses Zweckes.
a) Feier der gemeinschaftlichen hl.
Kommunion am 2. Sonntage der Monate
März, Juni, Oktober und Dezember.
b) Schulung der Mitglieder durch
einen Unterrichtskursus und durch Vorträge belehrender und veredelnder Art,
Vermittlung bildenden Lesestoffes.
c) Anschluss an eine bestehende
Sparkasse.
d) Bildung von Kranken-Zuschuss-Kassen,
Sterbekassen u. Witwenkassen.
e) Veranstaltung von Familienfesten,
zu denen auch die Angehörigen der
Mitglieder Zutritt haben.
Der Verein, dem auf der
Gründungsveranstaltung 58 Arbeiter beitraten und der nach nur dreimonatigem
Bestehen bereits 150 Mitglieder vorweisen konnte, verstand sich vor allem als „die
Mächtigste Wehr gegen die Sozialdemokratie, welche wie eine verheerende Flut
alles Bestehende umreißt aber nicht aufbaut, den Himmel auf Erden verspricht,
aber überall wo sie siegt, nur religiösen, sittlichen und deshalb auch
materiellen Ruin verursacht, welche anstatt zu erheben nur erniedrigt und
verdirbt“.
Trotz des statutengemäß
festgelegten Ausschlusses gewerkschaftlicher Betätigung, bedeutete dies selbst
bei den eigentümlichen Bedingungen im Neutralen Gebiet keine
gewerkschaftsfeindliche Ausrichtung dieser katholischen Korporation. Zwar
galten ihr - wie bereits betont - die Sozialdemokratie und die ihr nahe stehenden
„freien“ Gewerkschaften als der zu bekämpfende Hauptgegner, doch gerade
in den preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen war das Verhältnis der
katholischen Arbeitervereine zu den christlichen Gewerkschaften ein
eng-kameradschaftliches. Insbesondere im Aachener Bezirk wurde das Verhältnis
zwischen diesen beiden, damals wichtigsten Polen der deutschen, christlichen
Arbeiterbewegung nicht durch Konkurrenz, sondernd durch Ergänzung bestimmt:
erstere sollten sich um die religiösen und moralischen Belange der angeschlossenen
katholischen Arbeiter und um deren Bildung im weiteren Sinne kümmern, letztere
vor allem die materiellen und sozialen Interessen ihrer Mitglieder gegenüber
Unternehmertum und Staat vertreten.
Um eben hier Irritationen
vorzubeugen, sah sich auf dem 1. Patronats- und Stiftungsfest des Vereins am
10. Mai 1914 dessen Schriftführer veranlasst, nochmals, „klar und deutlich
die Eigenart des Arbeitervereins herauszustellen. Dieser ist kein Radau, kein
Vergnügungsverein, sondern er will mit allem Ernste hinwirken zur Erkämpfung
höherer Güter, er unterscheidet sich deutlich von der Gewerkschaft.
Diese verfolgt die wirtschaftlichen Interessen des Arbeiterstandes, jener
bezweckt vor allem religiöse, geistliche, sittliche Bildung“.
Wäre der katholische
Arbeiterverein im Neutralen Gebiet im wirtschaftsfriedlichen und
gewerkschaftsfeindlichen Fahrwasser ähnlich derjenigen in den deutschen
Diözesen Berlin und Trier gesegelt, so wäre hier wohl kaum kurz vor Ausbruch
des 1. Weltkrieges der aus Eupen stammende Bezirkssekretär der katholischen
Arbeitervereine von Aachen und Umgebung Friedrich Michel erschienen, um über „Wohlfahrtseinrichtungen“
zu referieren.