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Helmut Clahsen + 23.10.2015
Helmut Clahsen wurde 1931 in Aachen geboren. Seine Mutter war Jüdin und wurde bereits 1939 wegen einer angeblichen Tuberkuloseerkrankung von den Nazis ermordet.
Um zu überleben wurde Helmut zusammen mit seinem kleineren Bruder und 64 anderen verfolgten Kindern 1944 im Kloster Völkerich im belgischen Gemmenich versteckt. Bei Gefahr im Verzug – Razzien der Nazis und Ähnlichem –
wurden die Kinder zu vertrauensvollen Menschen in der Nachbarschaft gebracht.
Um Helfer und Kinder zu schützen war strengste Vertraulichkeit angesagt: so
kannten die Kinder nie die wirklichen Namen ihrer Wirtsleute.
2004 veröffentlichte Helmut Clahsen sein Werk "Mama was ist ein Judenbalg", in dem er seine jüdische Kindheit im Grenzland
beschreibt. Mittlerweile wurden über 35.000 Exemplare dieses regionalen
Bestsellers verkauft.
Sehen Sie hier die kurze ZDF-Reportage über Helmut Clahsen, die am 10. April 2009, im Anschluss an die Tagung "Stille Retter" in Eupen, im Heute-Journal ausgestrahlt wurde.
Mama, was ist ein Judenbalg, Eine jüdische Kindheit in Aachen 1935-1945, Helios-Verlag, 2004
Wie war es als halbjüdisches Kind, im Alter zwischen vier und vierzehn, in Aachen?
Helmut
Clahsen erzählt aus seiner Kindheit und über seine Familie: Den Vater,
ein Katholik mit NS-treuen Schwestern, die versuchen, der Familie ihres
Bruders das Leben schwer zu machen.
Die Mutter, eine jüdische
Konzertpianistin, die leider nur kurz mit ihrer Familie zusammen sein
kann. Über den verwöhnten und schwierigen Bruder, der lange nicht den
Ernst der Lage erkennt.
Tante Mary, die jeder Gefahr trotzte und
lebensrettende Hilfen gegeben und organisiert hat.
Und die couragierte
und weise Großmutter, die ihren Lieblingsenkel immer wieder ermahnt,
durchzuhalten und sein Erlebtes für die Nachwelt aufzuschreiben. Was er
hier auch getan hat!
Die Nennung von Straßen und Orten in und um
Aachen, in denen Torturen stattgefunden haben, führen dazu, dass die
Judenverfolgung nicht mehr weit weg ist - sie bekommt in diesen
Lebenserinnerungen ein Gesicht. Der Leser erfährt, was es heißt, sich
verstecken zu müssen und eigentlich nicht da sein zu dürfen. Aber er
erlebt auch Menschen in und um Aachen, die halfen, ohne große Worte,
die ermöglichten, dass Helmut Clahsen überlebt hat und seine Erlebnisse
in diesem Buch mitteilen kann.
Helmut Clahsen, geboren 1931 in Aachen, erlernte nach dem Zusammenbruch
des NS-Regimes das Bäcker- und Konditorenhandwerk. Später wechselte er
den Beruf und machte sich als Schauwerbegestalter selbstständig bis er
1988 durch einen Herzinfarkt zum Rentner wurde. Als Senior entdeckte er
seine Liebe zum Schreiben. Nachdem er das Schicksal seiner Frau
niedergeschrieben hat, hat er sich jetzt daran gewagt, seine Zeit als
Kind zu NS-Zeiten aufzuschreiben. Helmut Clahsen lebt heute noch in
Aachen.
Schülerprojekt
Auf Anregung von GrenzGeschichteDG haben SchülerInnen des Collège-Notre-Dame in Gemmenich nach den Helfern, die Helmut Clahsen 1944 versteckt hatten, gesucht.
Die Nachkommen dieser Helfer wurde am 6. Mai in Gemmenich von den SchüleInnen feierlich geehrt. Zu den Geehrten bei der Feierstunde gehörte auch der Gemmenicher
Bürgermeister Linckens. Er nahm stellvertretend für seine Mutter, die
vor 60 Jahren viele Leben rettete und ihr eigenes Leben riskierte, die
Auszeichnung entgegen.
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Artikel aus dem Grenzecho vom 09.05.2005
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Herbert Ruland: Zum Tod von Helmut Clahsen 1931 – 2015
Es war zu Beginn der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Ich wohnte damals in Eynatten und ging mir öfters ein Feierabendbierchen bei „Klara“ im fußläufig erreichbaren legendären „Sportcafé“ trinken. Eines Abends stand eine größere Gruppe Männer an der Theke, von denen mir etliche bekannt waren. Es waren Mitglieder des Männergesangvereins St. Cäcilia, die sich hier nach der Chorprobe noch eine Entspannung gönnten. Ich kam schließlich mit einem großen Mann mittleren Alters ins Gespräch, der mir bis dahin noch vollständig unbekannt war. Er erzählte mir mit deutlicher Sprachfärbung, dass er aus Aachen stamme und dass er den Belgiern – wie er sich ausdrückte – auf ewig zum Dank verpflichtet sei.
Ihnen sei es zu verdanken gewesen, dass er und sein jüngerer Bruder „Heini“ die NS-Zeit überlebt hätten. Obwohl selbst mit Religion wenig am Hut, hatte er sich auch aus Dankbarkeit heraus, dem katholischen Männergesangsverein hier auf der belgischen Seite angeschlossen. Und aus eben diesem Gefühl heraus hatten seine Kinder auch die Primarschule in Raeren besucht.
Er erzählte mir dann einige Details aus seiner Familiengeschichte. Seine Mutter stammte aus einer weitverzweigten jüdischen Familie und war ihm und seinen Geschwistern kurz vor dem Krieg von den Nazis weggenommen worden.
Mit der Unterstützung zahlreicher, meist selbstloser Helfer, kamen die beiden Jungs bis zur Befreiung durch die Amerikaner im Herbst 1944 in unzähligen Verstecken unter – Helmut sprach später einmal von über 40 verschiedenen Orten. Auf Helmut, selbst noch ein Kind, kam dabei auch noch die schwere Aufgabe zu, seinen jüngeren Bruder zu beaufsichtigen. Dieser hatte durch sein aufsässiges und aggressives Verhalten die beiden mehrfach in Gefahr gebracht aufzufliegen und den Nazi-Schergen in die Hände zu fallen.
1943 waren die Brüder in das damals von Deutschland annektierte belgische Dorf Gemmenich gebracht worden. Nachdem sie die erste Nacht in einer Bäckerei hinter Mehlsäcken versteckt, verbracht hatten, kamen sie am nächsten Tag in das Kloster Völkerich. Unter den zahlreichen hier untergebrachten Knaben, befanden sich nicht nur jüdische, sondern auch andere von den Nazis verfolgte Kinder, sogenannte „Asoziale“ oder Behinderte im Jargon der Zeit als „lebensunwertes Leben“ bezeichnet. War Gefahr im Verzug, wurde etwa eine Razzia befürchtet, kamen die besonders gefährdeten Kinder bei vertrauenswürdigen Personen in der Nachbarschaft unter.
Ich weiß noch heute, wie nahe mir der kurze Einblick in die Lebensgeschichte dieses mir bis dahin gänzlich unbekannten Mannes ging.
Damals beschäftigte ich mich bereits beruflich aber auch privat mit der Zeitgeschichte des Grenzlandes. Auch die 1919/20 belgisch gewordenen Kreise Eupen und Malmedy waren in den dreißiger Jahren keine Insel der Glückseeligkeit. Die NS-Bewegung firmierte hier unter der Bezeichnung „Heimattreue Front“ und hatte damals im Eupener Stadtrat die absolute Mehrheit der Sitze. Nach der Pogromnacht 1938 war auch auf den Schaufenstern eines jüdisches Geschäfts in Eupen „Juda verrecke“ zu lesen gewesen…..
Dieser Teil der eigenen Geschichte war damals hier noch mit zahlreichen Tabus umgeben und wurde weitestgehend verdrängt. Viele Akteure lebten noch: lieber als von der NS-Zeit, sprach man über die Nachkriegszeit, über das vermeintliche Unrecht, das die belgischen Sieger damals der hiesigen Bevölkerung angetan hätten. Da wurden wohl Ursache und Wirkung etwas durcheinander gebracht!
Hier stand mir also jetzt jemand gegenüber, der diese unfassbare Zeit hier im Grenzland nicht nur miterlebt, sondern glücklicherweise – bei vielen „Schutzengeln auf zwei Beinen“ – wie er es mir gegenüber später einmal ausdrückte – überlebt hat.
Für mich stand fest: die Geschichte gehörte an die Öffentlichkeit, sie musste publiziert und der Mann als Zeitzeuge in die Schulen gehen. Ich frug meinen Thekenpartner, ob er denn seine Biographie schon zu Papier gebracht habe. Ja, er hatte sich schon einmal daran gemacht: er, der erst nach dem Krieg, durch den engagierten Einsatz seines Lehrherrn, einem Konditormeister, richtig schreiben und lesen gelernt hatte. Das Werk sei aber, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, gestohlen worden. Ich ermunterte den Mann es auf ein Neues zu versuchen…
Jahre später, war ich auf einer gut besuchten Veranstaltung im
„Welthaus“ in Aachen. Helmut Clahsen las aus seinem autobiographischen Manuskript „Mama was ist ein Judenbalg“. Er hatte den Text bereits - wie Sauerbier - zahlreichen Verlagen ohne Erfolg vorgelegt: einmal hieß es sogar, er solle es mal bei einem Kinderbuchverlag versuchen!
Dabei hatte Helmut Clahsen damals schon schriftstellerisches Talent bewiesen. Er hatte ein Buch veröffentlicht, in dem er beschreibt, wie seine Frau die Folgen eines Schlaganfalls erfolgreich in den Griff bekommen hatte. Dieses Werk gehört heute zur Fachliteratur und wird an Schlaganfallpatienten in der Rehabilitation verteilt.
Es sollte sich als Glücksfall für alle herausstellen, dass auf der Veranstaltung im „Welthaus“ ein regionaler Verleger, vielleicht auf Talentsuche, anwesend war. Ihm war wohl ziemlich schnell klar, welches Potential in dem hier vorgetragenen Material steckte. Das Manuskript wurde leicht überarbeitet, vor allem erheblich gekürzt und erschien dann unter dem oben bereits zitierten Titel. Das Buch entwickelte sich zu einem auch überregionalen „Bestseller“. Zahlreiche weitere Werke von Helmut Clahsen folgten……
Ein Lebensanliegen von Helmut Clahsen war es, an Schulen aus seinem Leben zu berichten, nicht nur auf beiden Seiten der deutsch-belgischen Grenze, sondern auch an weiter entfernten Orten. Im Frühsommer 2015 hat er noch an der Universität Antwerpen vor 1300(!) Zuhörern gelesen.
Helmut war einer der wenigen Zeitzeugen, den man auch unbedenklich zu ganz jungen Schülern schicken konnte. Er hatte die wirklich höchst seltene Gabe, diesen Kindern etwas zu vermitteln ohne dass auch nur das geringste Gefühl von Angst aufkam.
Seit dem ersten Treffen bei „Klara“ habe ich viele unvergessliche Stunden mit Helmut und meist auch mit seiner lieben Frau Lilo erlebt. Wir waren zusammen in Berlin, haben gemeinsam zahlreiche Veranstaltungen im In- und Ausland bestritten.
Besonders gerne denke ich auch an das Projekt an der Schule „Notre Dame“ in Moresnet-Chappelle 2005 zurück. Unter der Mitwirkung von Helmut Clahsen suchten die Schüler nach Nachfahren von Menschen, die in dieser Region 1943/44 gefährdete Kinder wie Helmut und seinen Bruder versteckt hatten. Die Nachfahren, wurden am 6. Mai 2005, dem sechzigsten Jahrestag der Befreiung der Länder und der Lager vom Faschismus, in der Schule auf einer beeindruckenden Feier ausgezeichnet.
2012 hat GrenzGeschichteDG einen biographischen Film über Helmut Clahsen erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.
Helmut ist gestern, am Freitag dem 24. Oktober, um 11 Uhr, von uns gegangen. Erst vor wenigen Wochen war bei ihm ein unheilbares Lungenkarzinom festgestellt worden. Nach dem ersten ungeheuerlichen Schock hat er und seine Familie diesen Tatbestand akzeptiert. Dank der hervorragenden Betreuung durch ‚Homecare‘, einer gemeinnützigen privaten Palliativpflegeeinrichtung in Aachen, konnte er die verbleibenden Tage und Wochen im Kreis seiner Familie – und zahlreichen Besuchs – zu Hause verbringen.
Wir waren noch letzten Sonntag bei ihm. Er war in guter und fast ausgelassener Stimmung. Er erzählte Anekdötchen und gab uns dann noch eine private Lesung von skurrilen, wohl noch nicht veröffentlichten Kurzgeschichten: so die Geschichte vom Hund Susi, der die Zähne wie Max Schmeling fletschen konnte.
Die Lücke die Helmut hinterlässt, kann nicht geschlossen werden. Viele Menschen, jung und alt, von nah und fern werden sich gerne an ihn erinnern. Mit ihm verlässt einer der letzten Zeitzeugen die Bühne, die noch über den Holocaust und die anderen Nazi-Verbrechen, aber auch über zahlreiche oft unbekannte Helfer und Retter in dunkler Zeit berichten konnte.
Zum Verlust dieses wunderbaren Menschen gilt unsere Anteilnahme der Familie, insbesondere seiner Frau Lilo und den Kindern.
Wer Helmut Clahsen noch einmal im Film sehen will, kann den Dokumentarfilm von Dr. Herbert Ruland, GrenzGeschichteDG, Eupen (B) 2011, in Zusammenarbeit mit Kamerateam St. Vith: Helmut Clahsen. “Von Schutzengeln auf zwei Beinen und Verrätern in der eigenen Familie“ – Ein jüdisches Kind überlebt den NS-Terror“ hier ansehen.
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