Grenzgeschichte DG - Autonome Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft

 

 

François (Rik) Wolgarten aus Herbesthal 

Ein belgischer Patriot aus Welkenraedt, der nicht Deutscher werden wollte

von Herbert Ruland

Artikel erschienen in "Zwischen Hammer und Amboss. Eupen, Malmedy, St. Vith und die "zehn Gemeinden" von 1939-1945. Erfahrungen einer Grenzbevölkerung", Grenz-Echo Verlag GEV, Eupen 1996

Frangois (Rik) Wolgarten wird am 10. April 1923 in Herbesthal geboren. Der Vater, Altbelgier aus Welkenraedt, ist zu diesem Zeitpunkt Meister im Eisenbahnausbesserungswerk „Tivoli“ in Herbesthal. Die Mutter stammt aus Herzogenrath in Deutschland. Sie war in Eupen „in Stellung“ gewesen und hat­te dort auch ihren zukünftigen Mann kennen­ gelernt.


Nazideutschland – „das Land der goldenen Freiheit“

Nach Deutschland, insbesondere nach Aachen besitzt die Familie durch die Mutter vielfältige verwandtschaftliche Beziehungen. Besonders ihre Halbschwester Gretchen und deren Mann Fritz sind häufig in Welkenraedt zu Gast. Auch nach 1933 macht der Onkel aus seiner Ablehnung gegenüber der Nazipartei kein Geheimnis. Das Ehepaar ist kinderlos, und der Arbeitgeber des Onkels drängt ihn des öfteren, in die Partei einzutreten, da er ihn in dieser schweren Zeit sonst nicht mehr lange halten könne. Schließlich wird der Onkel tatsächlich arbeitslos.

1934 lassen die Nazis wieder einmal wählen. Über Aachen erscheinen zwei Zeppelinluftschiffe und werfen Wahlpropaganda ab. Rik erinnert sich, dass dabei ein Bündel ungeöffnet zu Boden stürzte und einen Passanten schwer verletzte. Der elfjährige Junge ist an diesem Tag in der Nachbarstadt, um das heiß ersehnte gebrauchte Fahr­rad in Empfang zu nehmen, das die Verwandten besorgt haben, die ihn spä­ter an diesem Tag zurück nach Belgien begleiten wollen. Zunächst müssen die beiden aber zur Wahl. Der Onkel er­mahnt die Tante, sich so zu verhalten, wie es abgesprochen sei. Kaum sind die Verwandten im Wahllokal verschwun­den, beobachtet der Junge, wie ein Mann in Handschellen aus dem Gebäude geführt und in eine schwarze Limousine gestoßen wird. Nachdem die Verwandtschaft wieder draußen ist, äußert die Tante den Verdacht, sie habe sich an der Urne beobachtet gefühlt. Der Onkel sagt darauf nur: „Dann hast Du Dich verhalten, wie abgesprochen." Der Junge weiß nicht genau, was die Beiden verabredet haben, doch er bekommt ein zutreffendes Gefühl, dass bei solcherlei Wahlen wohl nicht alles mit rechten Dingen zugeht.

Wenig später, an der Grenze bei Bildchen, noch auf deutschem Boden. Dort steht in goldfarbenen Glitzerbuchstaben über die gesamte Straßenbreite: „Zum Land der goldenen Freiheit“. Ein Pfeil zeigt nach Deutschland!

Der Onkel wird „gezähmt“

Kurz darauf erfolgt die Verhaftung des Onkels. Er hatte es gegenüber zwei Männern an der Haustür abgelehnt, Arbeit in den Junkerswerken in Magdeburg anzunehmen. „Da werden doch Waffen hergestellt. Ich habe einen Krieg mitgemacht. Ich möchte nicht, dass die Menschen sich nochmals die Köpfe einschlagen“. Das reicht für siebzehn Monate Konzentrationslager. Danach ist der Onkel „zahm“, wie Rik betont. Onkel und Tante siedeln nunmehr tatsächlich nach Madgeburg über.

Einmal Südfrankreich und zurück

Am Tag des deutschen Überfalls auf Frankreich und die neutralen Benelux-Staaten am 10.5.1940 besucht Rik eine Schule in Charleroi, wo er zum Uhrmacher ausgebildet wird. In Welkenraedt sind bereits die Deutschen, dahin kann er nicht zurück, so geht es zu Verwandten nach Brüssel. Als sich die belgische Kapitulation bereits abzeichnet, geht es weiter mit dem Fahrrad Richtung Südfrankreich, wo Rik sich den neu aufzustellenden belgischen Armeeverbänden anschließen will. Als schließlich auch Frankreich die Waffen streckt, geht es wieder zurück. Nach einer langen Odyssee erreicht er schließlich bei Dolhain die neue belgisch-deutsche Grenze. Dass sein Heimatort nunmehr zum Dritten Reich gehört, er selbst Deutscher werden soll, passt ihm überhaupt nicht!

Drei französische Worte

Welkenraedt ist eine jener zehn altbelgischen Gemeinden, die niemals zuvor zu Deutschland gehört haben und nunmehr dennoch gemeinsam mit dem Gebiet von Eupen und Malmedy dem Dritten Reich einverleibt werden. Die Nazis gehen in diesen Orten sofort daran, wenn nötig auch mit Brachialgewalt, ihnen passende Verhältnisse einzuführen. Im August 1940 wird eine Verordnung erlassen, dass alle französischen Inschriften an Gebäuden binnen 24 Stunden zu verschwinden haben. Einige Tage später klingeln Parteibeamte in Zivil am elterlichen Haus. Barsch wird die Mutter, die die Tür öffnet, angefahren, warum hier immer noch französische Inschriften zu lesen seien. Tatsächlich hängt auf der Haustür noch eine kleine Messingplakette: „Joseph Wolgarten – Horloger
sonner 2 fois“. Die rabiate Aufforderung der Gestapo-Beamten, dieses nicht einmal postkartengroße Schild am Haus zu entfernen, beseitigte bei Riks Familie die letzten Zweifel, nicht im nunmehr großdeutschen Welkenraedt bleiben zu wollen.
Die Mutter, die nach Fassung ringt, bemerkt spitz, aber unbedacht:“'Meint ihr etwa, wegen dieser drei französischen Worte würde Deutschland den Krieg verlieren“. Das bringt die Nazis erst recht in Rage: „Wenn das Schild nicht in einer Minute verschwunden ist, nehmen wir Sie mit!" Schnell sind die vier Schrauben gelöst und die Gestapo zieht ab.

Schon länger hatten sich Vater und Mutter überlegt, Welkenraedt und damit Deutschland zu verlassen. Der obige Vorfall beseitigt die letzten Zweifel. Das Haus wird vermietet, und am 26. September 1940 zieht die Familie nach Trois Ponts in Altbelgien.

Rik - der „Drecksbelgier“

Zunächst setzt Rik seine Lehre in Lüttich bei einem jüdischen Uhrmachermeister fort; schließlich geht er seinem Beruf in Malmedy nach.
Bei einem der täglichen Grenzgänge hat er ein eigentlich unglaubliches Erlebnis: eine wallonischsprachige Frau aus der Malmedyer Gegend beschimpft ihn als „Drecksbelgier“, der nur nach Deutschland komme, um sich „satt fressen“ zu können!

Bestimmte Kreise interessieren sich schließlich für den jungen Mann, der da täglich zu Fuß die Grenze überschreitet.
Er wird angesprochen und auf seine Gesinnung befragt. Schließlich bittet man ihn, Flüchtigen über die Grenze, die hier über die Rennstrecke von Francorchamps verläuft, zu helfen. Rik willigt ein. Vereinbart wird, dass er nur gehen soll, wenn im Hotel Mignon, an einer bestimmten Stelle im Fenster, eine Karte steht. Wenige Meter zurück folgt ihm dann jemand. Er verhält sich bei diesen Aktionen völlig konspirativ. Auch zur eigenen Sicherheit will er überhaupt nicht erfahren, mit wem er es da zu tun hat. Als ihn jemand anspricht, erwidert er diesem unwirsch, dass ihn überhaupt kein Name oder Ort interessiert, denn wie viele Leute seien schon unter der Folter der Nazis zusammengebrochen, hätten dann Namen genannt und ganze Widerstandsorganisationen in ihrem Bestand gefährdet!

Ehrenwort - Bargeld von der Firma Prym

Im Frühjahr 1942 flieht der französische General Giraud, der den Deutschen sein Ehrenwort gegeben hatte, eben dies nicht zu tun, aus der Gefangenschaft. Eine hohe Belohnung wird für die Wiederergreifung des Generals ausgesetzt. Fieberhaft werden Helfer gesucht. Aufgrund einer Denunziation wird auch Rik verhaftet. Er wird in das Gefängnis in Aachen am Adalbertsteinweg gebracht, wo er in Einzelhaft sitzt und pausenlos verhört wird. Doch nichts ist aus dem jungen Mann herauszubringen.

Einmal versucht es ein Gestapo-Beamter auf eine ganz üble Tour. Er beteuert Rik auf sein „deutsches Wort, das ein Ehrenwort ist“, dass seine Kollegen das Haus zum Essen verlassen hätten und dass man nunmehr offen miteinander reden könne. Er fragt den Gefangenen, warum 1940 die belgischen Forts, obwohl das Land neutral war, ausschließlich auf Deutschland ausgerichtet gewesen seien. Ohne zu überlegen, antwortet Rik, dass die Gefahr für Belgien ja immer nur von dieser Seite gekommen wäre! Da setzt es ungeheure Schläge, an denen sich schließlich auch noch die Kollegen des Verhörenden beteiligen. Dennoch hat Rik Riesenglück: nach sieben Wochen wird er mangels Beweisen laufengelassen. Rik bekommt auch noch Bares. Während der Haftzeit hatte er für die Firma Prym in Stolberg Haarnadeln verpacken und Druckknöpfe auf Karten anbringen müssen: dafür gibt es jetzt satte drei Mark! Abgekartetes Spiel bei der Feldgendarmerie

Nachdem er Deutschland wie ein Verbrecher verlassen muss - bei Zwischenstationen in Bahnhöfen wird er arretiert - kommt er schließlich wieder in Trois Ponts an. Von nun an versteckt Rik sich. Schließlich geht für ihn bei seiner Familie eine Aufforderung zur Gestellung zur Zwangsarbeit ein.

Rik denkt gar nicht daran, zur Arbeit nach Deutschland zu gehen. Daraufhin wird dem verhafteten Vater von der Feldgendarmerie angedroht, ihn an Stelle des Sohns nach Deutschland zu bringen. Doch der Sohn steht in geheimer Verbindung zur Familie. Belgien ist besetztes Gebiet und die Gestapo meint so ziemlich alles im Griff zu haben. Post und Telefon werden überwacht; aber es bleibt ein Treppenwitz der Geschichte: während der gesamten Okkupationszeit wird das bahneigene Telefonnetz nicht überwacht! Dies weiß Rik, und er nützt diese einmalige Kommunikationsmöglichkeit. So erfährt er auch von der Verhaftung des Vaters. Es wird verabredet, dass er sich stellen soll. Bei dem Zusammentreffen unter deutscher Aufsicht beschimpft der Vater den Sohn als treulosen Wicht, der die ganze Familie in Gefahr bringe. Auch einen Schlag ins Gesicht setzt es vom Vater. Der Sohn bereut: ein abgekartetes Spiel!

„Vergessen Sie dreißig Sekunden, dass Sie Belgier sind“

Am 4. Mai 1943 kommt Rik in Köln in den Messehallen an, wo sich u.a. ein Übergangslager für nach Deutschland verbrachte Zwangsarbeiter befindet. Dort werden die Menschen auf die verschiedenen Arbeitsstätten verteilt. Als gefragt wird, wer Handwerker sei, antwortet Rik auf Deutsch, dass er Uhrmacher gelernt habe. Das bringt ihm einen schweren Schlag ins Gesicht, der ihn mehrere Meter torkeln lässt. Er landet schließlich bei Klöckner-Humbold-Deutz, einem Rüstungsbetrieb, wo er achtzig Kilogramm schwere Gussstücke durch die Gegend schleppen muss.

Im Zwangsarbeitslager in Köln-Mülheim in der Grünstraße bekommt die SS-Leitung bald mit, über welche sprachlichen Talente der belgische Häftling Wolgarten verfügt. Vielfach wird er aufgefordert, zwischen ihr und französischsprachigen Arbeitern zu dolmetschen.
Schließlich bietet ihm der bereits ältere SS-Lagermeister mit dem Satz „vergessen sie dreißig Sekunden lang, dass sie Belgier sind“, die Stelle eines Dolmetschers und Brandschutzhelfers an.
Da Rik der harten körperlichen Arbeit entrinnen will und auch weiß, dass er so seinen Kameraden am besten helfen kann, sagt er zu.

Von Bildern, Rahmen und einem verunstalteten Lagerleiter

Am 28. und 29. Juni 1943 erfolgt ein schwerer britischer Bombenangriff auf die Kölner Innenstadt, bei dem auch der Dom in Mitleidenschaft gezogen wird. Am nächsten Tag begleitet Rick eine Gruppe von Zwangsarbeitern auf der Danziger Straße zum Arzt. Auf der Straße liegen britische Flugblätter. Das Aufheben und Betrachten kann schwerste Bestrafung mit' sich bringen. Dennoch greift Rick zu. Im Lager sieht er sich das Blatt genauer an. Es zeigt eine Luftaufnahme von Köln nach dem vorhergegangenen Angriff, und die Überschrift lautet: „Das Bild ist schön, und in einigen Tagen setzen wir den Rahmen." Dies kann nur bedeuten, dass bald wohl auch die Außenbezirke der Stadt schwer bombardiert werden sollen. Und das passiert dann auch schon in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli.

Es gibt entsetzliche Verluste auch unter den Zwangsarbeitern. Viele hatten Schutz unter den Bögen einer Eisenbahnbrücke gesucht. Vergeblich hatte Rik sie davor gewarnt und sie aufgefordert, den sicheren Firmenbunker aufzusuchen. Fast alle, die dies nicht taten, werden getötet.
Auch das Lager brennt. Er trifft auf den Lagerleiter, dessen Paradeuniform und Tauchsieder er noch retten kann.

Der Mann, dessen Gesicht bei einem vorhergehenden Angriff durch einen umher fliegenden Kanaldeckel schwer verunstaltet worden war, erweist sich nunmehr als Menschenfreund. Er sagt zu Rik: „Ich habe Sie nicht mehr gesehen" und bietet damit eine Fluchtmöglichkeit. Auch einen Lagerstempel hat Rik aus den Trümmern gerettet, der soll ihm und einigen seiner Kameraden jetzt wertvolle Dienste leisten.

„Heimaturlaub für aufopferungsvollen Einsatz“

Mit dreizehn Kameraden macht er sich auf den Weg gen Westen: Ein abenteuerlicher Trupp aus Belgiern, Franzosen und einem Polen - und nur der Anführer des Deutschen mächtig! Einer der Mitausreißer ist bei dem Angriff fast skalpiert worden, seinen Kopf schmückt jetzt eine Art Turban.

Rik, vertrauend darauf, dass in Deutschland nur offiziell aufgemachte Papiere etwas zählen, setzt ein Schreiben mit dem Lagerstempel auf, in dem der Gruppe für ihren „aufopferungsvollen Einsatz nach dem schweren Bombenangriff auf Köln“ ein Heimaturlaub gewährt wird. Mit der Bahn geht es Richtung Aachen, und bei einer Kontrolle in der Gegend von Düren erfüllt das Papier tatsächlich seinen Zweck!
In Aachen Rothe Erde verlässt die Gruppe den Zug - der Hauptbahnhof scheint zu gefährlich zu sein.

Die fremde Aachenerin

Zu Fuß geht es über den Adalbertsteinweg Richtung Kaiserplatz zur Kleinbahnhaltestelle nach Eupen. Auf der Höhe des Gefängnisses ermahnt Rik nochmals seine Kameraden, vorsichtig zu sein, denn wenn sie erwischt würden, könnten sie allesamt dort die Nacht verbringen. Schließlich folgt ihnen eine ältere Frau. Rik fürchtet die Gruppe verraten. Sie beschleunigen das Tempo, doch die Frau erreicht sie. „Von wo kommt ihr armen Leute? Geht nicht so schnell, das fällt nur auf!" Schließlich verschwindet die Frau in einem Laden und kauft auf ihre Marken und mit ihrem Geld für die ihr völlig fremden Menschen zwei Tüten mit Backwaren ein!

„Kettenhunde“ und ein unbekannter Eupener

Schließlich trennen sich zwei Mann von der Gruppe; sie wollen über Holland ihr Glück versuchen.
Auf der Kleinbahn nach Eupen wollen „Kettenhunde“, wie die deutschen Feldgendarmen wegen der übergroßen Blechplaketten vor dem Bauch „liebevoll“ genannt wurden, den Trupp überprüfen. Rik verspürt ein äußerst mulmiges Gefühl in der Magengegend: sein selbst ausgestelltes Papier ist nichts mehr wert, eben weil durch den Abgang von zwei Kameraden die Anzahl der Mitreisenden nicht mehr stimmt. Schon sieht er die ganze Bande verhaftet!

Kurz entschlossen zeigt er auf Anruf seine belgische Identitätskarte und murmelt etwas vom Weg zur Arbeit in der „Keramik“. Und dann geschieht eine Art Wunder: der deutsche Beamte betrachtet nur die Rückseite des Dokuments: „Verzogen aus Welkenraedt“ ist dort zu lesen. „Dann sind Sie also Deutscher", sagt der Beamte und lässt danach die Gruppe zufrieden! Nachdem die „Kettenhunde“ die Kleinbahn verlassen haben, nähert sich Rik ein unbekannter Mann, der die ganze Szene mitbekommen hat und flüstert ihm zu: „Gehen Sie nicht über Goe!" Wieder ein Helfer, dessen Identität Rik niemals erfahren hat.

Im 'Café Wiesen' am Welkenraedter 'Adolf-Hitler-Platz'

Rik beschließt über Dolhain nach Belgien zu gehen. In Welkenraedt wird Rast gemacht: Im Café Wiesen auf dem Platz, der seit 1940 'Adolf-Hitler-Platz' heißt, wird die Gruppe in der Küche verpflegt und sie übernachtet auch dort. Vor dem Abmarsch fragt die Wirtin, wo es denn nun hinginge. „Madame", erwidert Rik, „das würde ich Ihnen nie sagen. Denn sind Sie auch sicher, dass Sie unter der Folter der Nazis nicht auspacken würden?" Später schildert die Frau ihrem Mann das Ergebnis der Unterredung: Er kann die Haltung von Rik nur gut heißen. Nach dem Krieg sagt die Frau zu Rik, dass sie damals töricht gewesen sei.

„Wir fahren gegen Engeland“

Über Welkenraedt geht es nach Dolhain, wo Rik der Gruppe vorschlägt, die Grenze zu Fuß zu überwinden. Bis auf zwei willigen alle ein: die beiden nehmen die Kleinbahn und werden auch umgehend verhaftet. Die anderen kommen ungeschoren rüber.

Und wieder ereignet sich ein ungewöhnliches Schauspiel: Unweit der Grenze trifft der Trupp auf eine deutsche Wachkompanie. Laut geschmettert erklingt das Lied: „Denn wir fahren gegen Engeland." Als der Kompaniechef den Trupp der Flüchtenden erreicht, herrscht er sie an: „Was seid ihr denn für ein Gesocks?" Rick erzählt wieder sein Geschichtchen vom aufopferungsvollen Einsatz während des schweren Bombenangriffs auf Köln. Der Offizier ist so beeindruckt, dass er seine Truppe Aufstellung nehmen und sie vor dem 'Dreckhaufen' salutieren lässt. Besser hätte es sich ein Filmregisseur, der eine Parodie über den Zweiten Weltkrieg dreht, kaum einfallen lassen können!

Im Untergrund

In der nahen Umgebung der Grenze trennen sich die Wege der Kameraden. Rik versteckt sich zunächst in der Nähe des Elternhauses und schließlich während der Kartoffelernte im September/Oktober 1943 vor allem bei Bauern in der Gegend von Aywaille. Das tun damals viele belgische Widerständler gerade in der Ardennengegend. Zu gemeinsamen Aktionen treffen die Leute zusammen und zerstreuen sich danach wieder. Basiert das Vorgehen der Besatzer gegen Widerständler zunächst vor allem auf Denunziationen, so werden schließlich ganze Dörfer systematisch auf untergetauchte Leute durchkämmt.
Um vor den Deutschen einigermaßen sicher zu sein, ziehen sich viele dieser Leute in die doch recht undurchdringli­chen Wälder der Region zurück.

Durch den Sohn von Bauersleuten, der eigentlich Gendarm werden will, lernt Rik Jean Bourget, den Kommandanten der 31. Kompanie der belgischen Partisanenarmee kennen, der ihn auffordert, mit „zum Maquis“ zu kommen. Das geschieht im Herbst 1943. Offizielles Eintrittsdatum aber ist der 4. Juli 1943. Das war der Tag, an dem Rik sich mit seinen Kameraden in Köln auf den Weg machte und seitdem er abgetaucht lebt.

Die Front de l'Indépendance

Mit 20 Jahren ist Rik nunmehr Mitglied der Partisanenarmee.
Nach seinen Angaben sollen 68.000 Menschen in Belgien während der Kriegszeit ebenfalls diesen Schritt vollzogen haben. Der gesamte organisierte Widerstand soll demnach 130.000 Personen umfasst haben. Diesen standen in Belgien fast eine halbe Million Menschen gegenüber, die in irgendeiner Form mit den Deutschen paktierten und von denen ca. 30.000 nach dem Krieg dann rechtskräftig verurteilt wurden.

Riks Gruppe gehört zur Front de l'Indépendance, einer der stärksten Organisationen im belgischen Widerstand. Auch wenn diese Vereinigung sich vielfach aus linken Aktivisten, u.a. auch Rotspanienkämpfern, zusammensetzt, so ist sie doch nie eine einseitig kommunistisch ausgerichtete Organisation gewesen. Rik betont, dass hier auch Pastore und Gendarmen gemeinsam mit ihm gekämpft haben. Damals habe man sich auch kaum eine Widerstandsgruppe aussuchen können. Wenn jemand untertauchen wollte, habe er sich der nächst erreichbaren Gruppe angeschlossen. Und so sei es auch in seinem Fall gewesen!

Aktivitäten

Viel ist bekannt über Partisanentätigkeit während des Zweiten Weltkriegs im Osten. Im besetzten Gebiet der Sowjetunion wurden weite und unzugängliche Gebiete hinter der Front von Partisanen kontrolliert, die den Deutschen mit ihren Überfällen schwer zu schaffen machten. In Jugoslawien gelang es 1945 den Partisaneneinheiten des Marschalls Tito, eigenständig das Land zu befreien. Starke Verbände von Widerständlern gab es damals auch in Italien, und die Sabotageaktionen der verschiedenen Gruppen des 'Maquis' in Frankreich versetzten der deutschen Besatzung mehr als nur Nadelstiche. Aber wie funktionierte so etwas in einem kleinen und dicht besiedelten Land wie Belgien?

Rik betont, dass es bei der Untergrundtätigkeit zunächst einmal um Nachrichtenbeschaffung ging. So wurde das belgische Telefonnetz 'zweimal' überwacht. Einmal von den Deutschen und einmal vom belgischen Widerstand. Hierdurch wie auch durch die von Postbeamten abgefangene Korrespondenz an die deutschen Stellen versuchte man damals vor allem Denunzianten - 'Gestapisten' - zu enttarnen und dann auch unschädlich zu machen.

In Aywaille an der Amel, das zum Operationsgebiet von Riks Einheit gehörte, hielten die Gestapo und andere NS-Stellen vielfach ihre Besprechungen im „Hotel Albert Premier" ab. Die Einsatzbefehle für den nächsten Tag, etwa wenn das Ausheben eines vermuteten Partisanennests auf der Tagesordnung stand, gingen dann telefonisch aus dem Haus. Die handvermittelteten Gespräche wurden mitgehört und die betroffenen Personen vorgewarnt. Trafen die Deutschen dann an einem Ort ein, waren die Gesuchten zumeist schon verschwunden.

Wichtig für den Widerstand war auch das Beschaffen von falschen Papieren. Fast jeder Untergetauchte nahm eine neue Identität an, zumeist von einer Person, die es tatsächlich gab.
Verpflegung kam zum Teil mehr oder weniger freiwillig von Bauern, manchmal denunzierten diese aber auch die Untergrundkämpfer bei den Deutschen.

Die Mitglieder der Partisaneneinheiten bekamen übrigens einen regulären Sold von 800 Franken im Monat. Für all dies wurde Geld benötigt. Das kam aus Überfällen auf Banken und Postämter zusammen. Die Widerstandsgruppen führten aber über die Geldbeschaffungsaktionen Buch, und sie wurden nach dem Krieg bis auf den letzten Centime genau abgerechnet!

Die Russen und das Feuer

Das Partisanenleben auch in den Ardennen stellte alles andere als wilde Abenteuerromantik dar: zwar sind die Untergetauchten in den Wäldern vor den Deutschen relativ sicher, die trauen sich da nicht rein. Gefährlicher sind da schon von den Deutschen angeheuerte und in SS-Uniformen gesteckte Ukrainer: wo die auftauchen, wird es brenzlig. Bekommen sie einen Partisanen in die Hand, wird kurzer Prozess gemacht! Auch das (Über-) Leben im Wald, insbesondere bei Nässe und Kälte, muss erst erlernt werden. Zunächst trauen die Waldbewohner sich auch nicht Feuer zu machen, aus Angst, durch den Rauch verraten zu werden.

Die Lage wird erst dann erträglicher, als aus den Limburger Kohlengruben befreite russische Zwangsarbeiter zu den Widerstandsgruppen stoßen. Sie haben in ihrer Heimat schon eine Art 'Grundausbildung' für den Partisanenkampf erhalten und geben diese Kenntnisse an ihre neuen lernbegierigen Kameraden bereitwillig weiter.

Und so kann jetzt endlich auch auf geniale und einfache Art im Wald Feuer gemacht werden. Die Kochstellen werden in den Boden verlegt und können mit einem Deckel verschlossen werden. Zum Rauchabzug befindet sich an diesen Feuergruben ein etwa zwanzig Meter langer Kanal, der nach oben mit Steinen und Erde belegt ist. Etwa jeden Meter gibt es ein kleines Loch, durch das minimal Rauch entweichen kann, der durch die Bäume nicht sichtbar ist!

Militäraktionen

Direktes militärisches Eingreifen gegen die deutschen Besatzer wird zunächst tunlichst vermieden. Dafür sind die Widerstandsgruppen, vor allem von der Ausrüstungsseite her, zu schwach. Anders wie die erst nach der Landung der Alliierten im Juni 1944 in Belgien aufgestellten Einheiten, wie z.B. die 'Armee Secrète', erhalten die von den Westmächten als 'kommunistisch' eingeschätzten Partisanen nur selten Waffen aus England. An militärischem Ausrüstungsmaterial verfügt man vor allem über die Waffen, die den Deutschen entwendet werden können.

Stangenbohnen und Comics

Einmal berichtet ein Informant, dass in Aywaille die Besatzung eines deutschen Peilwagens im Fluss am Baden sei und ihre Gewehre im Auto zurückgelassen habe. Zwar benötigen die Partisanen dringend Waffen, doch Kommandant Bourget erscheint die Angelegenheit zunächst als zu gefährlich. Schließlich betraut er doch Rik und einen deutschen Deserteur mit Decknamen 'Jonny' mit der Aktion, wobei sie sich aber auf keinen Fall auf eine Schießerei einlassen sollen. Zwar gelingt es den beiden, eine Maschinenpistole und ein Gewehr aus dem Fahrzeug zu entwenden, doch die Deutschen eröffnen prompt das Feuer mit ihren Handwaffen, die sie am Ufer liegen haben. Dennoch gelingt die Flucht, und schließlich versteckt sich Rik in Cornemont (heute Gemeinde Sprimont) im dichten Stangenbohnengewächs vor einem Haus. Es ist furchtbar langweilig, es darf nicht gesprochen werden, denn auf dem Weg kommen deutsche Patrouillen vorbei. Schließlich will sich Rik die Zeit mit Lesen totschlagen und fragt den Hausbesitzer nach Lesestoff. Der kann nur Comics seines Sohnes zur Verfügung stellen. Erst Jahrzehnte nach dem Krieg hat Rik die Stelle wieder gefunden, wo er sich damals versteckt hielt, denn ohne Bohnengestrüpp sah alles ganz anders aus. Als er auch den Sohn des längst verstorbenen Mannes kennen lernt, meinte der nur lakonisch: „Und du hast damals meine 'Le Spirou' und 'Tin Tin' gelesen." Auch der Sohn ist mittlerweile tot, doch immer wenn Rik in die Gegend kommt, besucht er noch dessen Witwe.

Das 'richtige Pferd'

Nach der Landung in der Normandie bekommt auch der belgische Widerstand regen Zulauf. Viele Leute, die sich bisher bedeckt hielten, wollen noch rechtzeitig auf das 'richtige Pferd' umsatteln. Einmal bekommt Riks Einheit Zuwachs durch einige Gendarmen, die aber wohlweislich ihre Waffen in der Kaserne gelassen haben. Sie wollen auch nicht kämpfen, sondern 'Innendienst' versehen.

Die Sabotageaktionen gegen die zusehends bedrängten Besatzer nehmen zu. In der Nacht vom 9. auf den 10. August 1944 sprengen Rik und einige seiner Kameraden die Eisenbahnbrücke von Remouchamps in die Luft. Damit ist der Weg für das Eisenerz aus Luxemburg, das die Deutschen dringend für die Herstellung von Stahl in Lüttich brauchen, blockiert. 1940 waren 750 Kilogramm Dynamit an der Brücke angebracht worden, um diese vor den anrückenden Deutschen in die Luft zu sprengen - was nicht geschah; jetzt reichten 90 Kilogramm aus England gekommener Plastiksprengstoff!

Die Auflösung der Partisaneneinheiten

Nachdem die Amerikaner Anfang September die Ardennen erreichen, können die Partisanen zunächst noch Wachdienste an amerikanischen Militärdepots verrichten. Doch noch wird im Land gekämpft, da will die aus London zurückgekehrte belgische Regierung die Partisanenarmeen schon entwaffnen lassen. Die Regierung befürchtet, dass von diesen 'linken Kräften' weitergehende Forderungen als nur nach einer Zerschlagung des Hitlerfaschismus gestellt werden könnten. Als schließlich das Gerücht umgeht, dass sogar loyale Einheiten der Geheimarmee gegen die Partisanen eingesetzt werden könnten, scheint selbst ein Bürgerkrieg hinter der Front möglich zu sein.

Partisanenmanier

Ende November 1944 kommt es nicht nur in Brüssel, sondern auch in Lüttich zu Demonstrationen ehemaliger Partisanen, die neben der vollzogenen Entwaffnung auch dagegen protestieren, dass ihre Einheiten nicht geschlossen in die neue belgische Armee aufgenommen werden. Auch Rik und seine Kameraden nehmen an der Manifestation in Lüttich teil. Plötzlich wird Rik unsanft von Gendarmen ins Visier genommen, die ihn auffordern, eine entwendete Maschinenpistole sofort zurückzugeben. Ohne dass Rik es weiß, haben seine Kameraden die Waffe gestohlen, zerlegt und auf mehrere Anwesende verteilt. Doch auch dieses bei den Partisanen gelernte Kunststück hilft nicht. Um eine gewalttätige Provokation zu verhindern, wird die Maschinenpistole schließlich zurückgegeben.

Auf Erkundung bei Trois Ponts

Rik bleibt zunächst bei den Amerikanern, wo er, etwas des Englischen mächtig, Übersetzungsdienste übernimmt. Während der Ardennenoffensive befindet er sich in der Gegend von Trois Ponts, dem Wohnsitz seiner Eltern. Ende Dezember 1944 ist die Lage recht unübersichtlich, ja, in manchen Dörfern sind am Tag die Amerikaner und in der Nacht die Deutschen. Als die Amerikaner Leute suchen, die die Gegend kennen und bereit sind, Erkundungsdienste zu übernehmen, melden sich Rik und zwei andere Männer freiwillig. Sie sollen den Fluss überschreiten und feststellen, welche deutschen Einheiten auf der anderen Seite liegen. Schon bald verliert Rik die beiden Kameraden und zieht alleine weiter. Schließlich sieht er schwer bewaffnete deutsche Einheiten der SS-Division 'Hitlerjugend' - jeder Mann mit einer Maschinenpistole - und nicht die von den Amerikanern erwarteten schlecht ausgerüsteten Volkssturmeinheiten! Beim Weg zurück gerät er noch in einen deutschen Alarmdraht. Nur unter starkem Feuer erreicht er die amerikanischen Linien. Und da er einen ganzen Tag unterwegs war und die aktuelle Parole nicht kennt, wird auch hier zunächst auf ihn geschossen. Das ist erst vorbei, als er die Hände hebt. Durch den Dienst habenden Offizier wird er zu einem General gebracht, der dem völlig durchnässten und durchfrorenen Mann erst einmal frische Kleidung und Essen bringen lässt, bevor er ihn auffordert, zu berichten, was er gesehen hat. Der Offizier ist sichtlich angetan von den exakten Aussagen, die der Kundschafter liefert. Schließlich fragt er ihn, ob er nicht der amerikanischen Militärspionage, dem 'Office of Strategie Service' (OSS) beitreten will. Rik willigt ein.

Rick Swaensen

Zunächst, bekommt Rik eine neue Identität: Rick Swaensen, Ciceron, Avenue 1789 Chicago/ Illinois. Von Beruf ist er Schlächter und 1928 mit den Eltern aus Belgien in die USA gekommen!

Nunmehr steht das Erlernen des Fallschirmspringens auf dem Programm: erst unsanft hinter einem Jeep durch die Gegend geschleppt, geht es dann vom Sprungturm.

Während dieser Zeit verkehrt Rik in einer Kneipe in Polleur. Der Wirtin, mit der späteren Frau von Rik gut befreundet, kommt der amerikanische Offiziersanwärter bekannt vor. Ein gutes halbes Jahr später besucht Rik das Lokal wieder, nunmehr in belgischer Uniform. An der Wand, neben einem Dart-Spiel, steht noch der Name 'Rick Swaensen'. Die Wirtin erblickt den jungen Mann und meint: „Wären sie vor einigen Monaten gekommen, hätten Sie einen amerikanischen Soldaten getroffen, der Ihnen wie ein Ei dem anderen glich." Später klärte Riks Frau die Wirtin über die Zusammenhänge auf.

Rebell

Ende März 1945 springt Rik mit sieben deutschen Deserteuren über Gotha ab. Die Deutschen hatten für ihre Teilnahme an dieser Aktion das Versprechen bekommen, nach dem Krieg in die USA einreisen zu dürfen. Auch zwei ehemalige Wehrmachtsoldaten aus den Ostkantonen gehören zu dem Kommando: Leo Lehnen aus Andler und Ferdinand Beyer aus Manderfeld. Diese beiden erhoffen sich durch ihr Engagement eine bessere Behandlung durch die belgischen Behörden, wenn sie nach dem Krieg nach Hause zurückkehren. Das Kommando versteckt sich in der Nähe eines Fußballplatzes, und von hier aus senden sie Funkberichte über die Aktivitäten des Gegners. Sie tragen Zivilkleidung und sind gut mit deutschen Ausrüstungsgegenständen und Geld versorgt. Einer der deutschen Deserteure trägt den Tarnnamen 'Rebell'. Rik gegenüber lässt er verlauten, dass er aus einer angesehenen Offiziersfamilie stammt. Bei einem öffentlichen Empfang habe er einmal vor lauter Wut ein Glas nach einem Hitlerbild geworfen und wurde degradiert. Anfang 1945 bekam er irgendwo im Rheinland von der örtlichen Parteileitung den Befehl, mit unausgebildeten Volkssturmmännern gegen die Amerikaner vorzugehen. Der Offizier merkte sofort, dass die Parteileute diese Aktion nur eingefädelt hatten, um sich selbst absetzen zu können. Daraufhin war der Offizier mit den Männern geschlossen zu den Amerikanern übergelaufen. Vor dem Abflug hatte er sich ausreichend mit Seidenstrümpfen eingedeckt, die ihm jetzt die Türen von Offiziersfrauen, deren Männer gefallen oder im Krieg waren, öffneten. Rik meint, er habe dies nicht nur zur Informationsbeschaffung getan.

Am 10. April kommt die US-Armee nach Gotha; einige Tage später ist Rik - wieder in amerikanischer Uniform - dabei, als General Eisenhower das Konzentrationslager Buchenwald besucht. Und Rik ist ebenfalls dabei, als die Bevölkerung des nahe gelegenen Weimar diese Terrorstätte der Nazis zwangsweise aufsuchen muss.

Der 'Amerikaner' mutiert wieder zum Belgier

Die deutsche Kapitulation am 8. Mai erlebt Rik in der Uniform eines amerikanischen Lieutenants im tschechischen Pilsen.

Zunächst verhört Rik noch für die US-Armee deutsche Kriegsgefangene in der Gegend von Marburg an der Lahn. Doch als er von einem selbst genehmigten Heimaturlaub zurückkommt, findet er seine Einheit nicht mehr vor. Niemand kann ihm sagen, wo sie geblieben ist. Schon einige Zeit vorher war der für die Zahlung der Agentenprämien zuständige Zahlmeister nach Italien durchgebrannt, Rik sollte das Geld nie sehen. Rik beschließt nach Hause zurückzukehren. Im August 1945 wird erst einmal geheiratet.

Rik schließt sich nunmehr dem belgischen militärischen Geheimdienst an und wird in Monschau stationiert. Darüber informiert das nachfolgende Interview.

Rik engagiert sich bis heute bei der Front de l'Indépendance: Auch wenn hier fast ausschließlich alte Widerständler organisiert sind, geht es doch nicht nur um nostalgisches Gedenken an das eigene Tun. Entschieden tritt die Vereinigung für Frieden, Demokratie, Verteidigung der Menschenrechte und gegen Faschismus, Rassismus und Amnestie für Kollaborateure ein.

Nach langen Jahren in Verviers bewohnen Rik und seine Frau heute wieder das elterliche Haus in Welkenraedt.

Spurensuche

An einem schönen Frühsommertag im Mai 1995 sind wir zu dritt nochmals die Orte von Riks Partisanentätigkeit in den Ardennen abgefahren. Er zeigt uns das Haus, wo er sich einstmals vor den Deutschen in den Stangenbohnen versteckte, die Brücke von Remouchamps, die seine Einheit 1944 in die Luft sprengte, die Parkanlage am Ufer der Amel in Aywaille, wo das Feuergefecht mit den Deutschen stattfand ... In vielen, auch kleineren Dörfern, erinnern auch heute noch gepflegte Denkmäler an Aktionen des Widerstands und an Untergrundkämpfer, die ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen mussten.

Rik besucht mit uns den Friedhof des idyllisch gelegenen Örtchens St. Walburge. Um ein Denkmal herum sind Partisanen beerdigt: Belgier und Russen! Russische Gräber in den Ardennen: geschmückt mit Zeichen der - längst vergangenen - Sowjetmacht. Ein Grab ist besonders herausgeputzt: hier liegt der russische Kommandant Evgueni Dotsenko. -

Wenig später im Bois de Steppenes (Anthisnes): während des Kriegs ein Rückzugsgebiet der Partisanen. Schon beim Betreten des Waldes fällt uns ein Gedenkstein auf. Er erinnert an Nicolas Compère, der hier am 13. Mai 1940 als erster belgischer Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen standrechtlich erschossen wurde. Compère war Polizeikommandant von Seraing und hatte kurz nach dem Einmarsch von den Deutschen genutzte Telefonleitungen zerstört.


Einige Hundert Meter weiter zeigt Rik uns heute ansehnliche Laubbäume. Wir entdeckten eingeritzte Darstellungen von Flugzeugen, Fallschirmspringern, U-Booten und kyrillische Buchstaben. Diese Graffitis sind mehr als fünfzig Jahre alt und sie stammen von eben jenem Evgueni Dotsenko, dessen Grab wir wenig vorher in St. Walburge gesehen haben. Einen der von ihrem Mann bearbeiteten Stämme hat die Witwe von Dotsenko schon kurz nach dem Krieg in die Heimat geholt. Er befindet sich heute in einem großen Museum in Wolgograd, dem früheren Stalingrad. Dort wo der Baum einst war, steht heute ein Denkmal, das an den gemeinsamen Befreiungskampf belgischer Widerständler, russischer Partisanen und amerikanischer Soldaten in dieser Ardennenregion erinnert. Auch während der schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges kam es hier einmal im Jahr zum gemeinsamen Gedenken hochrangiger amerikanischer, sowjetischer und belgischer Vertreter. Denn die Befreiung vom Faschismus war schließlich das Werk aller Alliierten.



 

 

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Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im pädagogischen Beirat des „Jüdischen Museums der Deportation und des Widerstandes in Mechelen“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Verwaltungsrat der Gedenkstätte Breendonk



 

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