Grenzgeschichte DG - Autonome Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft

 

 

Horst Naftaniel 9.9.1914 - 9.8.1995 

ein Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz-Monowitz

von Herbert Ruland

Artikel erschienen in "Zwischen Hammer und Amboss. Eupen, Malmedy, St. Vith und die "zehn Gemeinden" von 1939-1945. Erfahrungen einer Grenzbevölkerung", Grenz-Echo Verlag GEV, Eupen 1996

"Horst Naftaniel habe ich (H. Ruland) vor nunmehr zehn Jahren näher kennen und schätzen gelernt. Noch kurze Zeit vor seinem Tod sah ich ihn angeregt diskutierend auf dem Eupener Marktplatz und dach­te bei mir: „Der Horst wird noch hun­dert.“ Das wäre ihm zu gönnen gewe­sen, nach all dem, was er in Jahrzehnten an sich und in der Familie erlitten hat."

„Wegen nicht arischer Abstammung zurücktreten“

Berlin im Sommer 1934: Die Nazis befinden sich in Deutschland seit einem guten Jahr an der Macht. Das öffentli­che Leben wird von ihrer Propaganda vollständig beherrscht. 1936 werden die Olympischen Spiele in Garmisch und in Berlin stattfinden. Dieses sportliche Großereignis soll zu einer weltweiten Selbstdarstellung neuer deutscher Größe werden. Nichts bleibt dem Zufall überlassen, und so finden bereits jetzt Sichtungswettkämpfe unter Sportlern statt, die den Ruhm des Dritten Reiches bei der Olympiade erfolgreich mehren könnten.
An einem solchen Wettbewerb nimmt auch der 1914 in Berlin geborene Turner Horst Naftaniel teil, der sich Chancen auf den Turniergewinn oder zumindest auf eine gute Platzierung aus­rechnen kann. Reichssportführer von Tschammer und Osten persönlich gratuliert nach Abschluss der Ausschei­dungen den angetretenen Athleten, ver­teilt zusätzlich Sportnadeln. Doch als schließlich auch der Name Naftaniel fällt, heißt es „wegen nicht arischer Abstammung zurücktreten“. Horst erleidet einen Nervenzusam­menbruch; für ihn steht nunmehr end­gültig fest, dass er Deutschland verfas­sen will.

Bereits ein Jahr zuvor, am 7. Juni 1933, war das jüdische Lehrlingsheim, in dem Horst damals lebte, von der SA besetzt worden. Lehrer und Schüler wurden dingfest gemacht und wegen angeblicher „kommunistischer Um­triebe“ kurzerhand für einige Tage in das von der SA betriebene Konzentrationslager Oranienburg-Brauerei trans­poniert!
Jetzt rast Horst nach Hause. Vor dem Haus parkt eine schwere Harley Davidson, die dem Chef seines Bruders gehört. Horst packt seine spätere Frau, die er 1937 heiraten wird, und ohne je­des Gepäck geht es mit dem gestohle­nen Motorrad in Richtung Aachen im Westen des Deutschen Reiches.


Das Hotel „Zum Siegfried“ in Aachen

Horst hat einen belgischen Bekannten in der Maschinenfabrik Borsig, der ihm als Anlaufpunkt für die Flucht aus Deutschland eine Adresse in Aachen mitgeteilt hatte: das Hotel „Zum Siegfried“ in der Stiftstraße, das von den Brüdern Marquardt geführt wird. Ein kurioser Laden, in dem er da mit seiner Lebensgefährtin absteigt: in der Kneipe im Parterre verkehren prominente und weniger prominente Nazis, aber die Zimmer oben im Haus sind voll gestopft mit jüdischen Flüchtlingen. Menschen aus Aachen und aus der Eupener Gegend, teils professionelle Schmuggler, teils Menschenfreunde helfen von hier aus den bedrängten Juden über die nahe Grenze nach Belgien oder Holland.


Über Holland

Horst will nach Belgien. Bereits vor der Machtergreifung der Nazis hatte Horst einer kommunistischen Jugendgruppe angehört, die sich 1933 aus Gründen der Tarnung den Namen „Deutsch Jüdische Jugendgemeinschaft“ zugelegt hatte. Zu den Aktivitäten der Gruppe gehörten u.a. ausgedehnte Radtouren in den großen Ferien, so 1933 von Berlin nach Ostende. Die Gruppe hatte damals in Belgien eine Menge Leute kennen gelernt, die sie von ihren Idealen zu überzeugen suchte. Unter Horsts neuen Bekannten war auch der spätere Eupener Polizeikommissar Van Zuyt…
Es waren diese bereits bestehenden Kontakte, die Horst veranlassen, nunmehr nach Belgien zu gehen.

Die Flucht soll über Holland mit dem Motorrad erfolgen. Im Affenzahn geht es über vorher bezeichnete Wege über die Grenze, aber dennoch erhält seine Frau einen Streifschuss. In Antwerpen, wo er sich zunächst illegal aufhält, verkauft er das Motorrad und erwirbt eine Dauerwellenmaschine. Horst ist Friseur von Beruf. Von dem Geld, das er bei reichen jüdischen Familien verdient, und von der finanziellen Unterstützung, die er vom jüdischen Komitee erhält, kann er mehr als leben. Unter Aufwendung nicht unerheblicher finanzieller Mittel gelingt es ihm dann schließlich, mit Hilfe professioneller Schmuggler seine Mutter, die nach der Geburt des achten von zwölf Kindern erblindete, sicher nach Belgien zu bringen...


Prinz Charles

Durch Van Zuyt lernt Horst eine Menge einflussreicher Leute kennen. Unter ihnen eines Tages in einem Brüsseler Homosexuellenlokal in der Rue du Pont Neuf 24 auch den Prinzen und späteren Regenten Charles. Horst erzählt ihm seine Geschichte und auch, dass er sich illegal in Belgien aufhält. Durch seine weit reichenden Beziehungen kann ihm Charles eine falsche Identitätskarte unter dem Namen René Wouters besorgen. Erst 1938 meldet sich Horst auch unter seinem richtigen Namen an und besitzt somit nunmehr zwei Identitäten. Als „Belgier“ nimmt Horst nun verschiedene politisch begründete „Aufträge“ an, die ihn u.a. in seine Heimatstadt Berlin führen.


Ausreise nach Südamerika?

In Berlin hat er jedoch auch noch eine persönliche Angelegenheit zu regeln. Verwandte versuchten damals, ihm die Ausreise nach Paraguay zu ermöglichen. Eines Tages kann er in der Reichshauptstadt einen Brief des paraguayischen Konsuls in Empfang nehmen, in dem dieser ihm mitteilt, dass Horst sich mit der Einreise in das südamerikanische Land beeilen möge, da der Zuzug für Juden bald gesperrt würde. Geld sei von in Südamerika lebenden Verwandten bei der „Banco Agricol“ in Asuncion eingezahlt worden. Er benötige aber noch ein Gesundheits-  und ein polizeiliches Führungszeugnis, das nicht älter als vier Wochen sein dürfe. Damit war für Horst und seine Frau Südamerika verständlicherweise unerreichbar geworden.


Kriegsausbruch: Internierung als „feindlicher“ Ausländer

In der Nacht zum 10. Mai 1940 greift die deutsche Wehrmacht nicht nur Frankreich an, sondern überfallt auch die neutralen Staaten Belgien, Holland und Luxemburg. In Antwerpen sind großflächige Plakate zu sehen, die den König in Felduniform auf dem Pferd zeigen und unter denen zu lesen ist: „Der Feind hat unser Land angegriffen“. Zu den angeordneten Abwehrmaßnahmen gehört, dass alle „feindlichen“ Ausländer sich bei der nächsten Gemeindeverwaltung zu melden haben.
Auch Horst kommt dieser Aufforderung nach - und wird in ein Lager interniert! In diese Lager schaffte man Einheimische, etwa wallonische Rexisten oder flämische Nationalisten, bei denen man davon ausging, dass sie mit den Deutschen kollaborieren würden, aber auch alle Ausländer, mit deren Staaten die Alliierten sich nunmehr im Kriegszustand befanden. So entstand die tragische Situation, dass hier Nazis und Antinazis und auch in Deutschland verfolgte Juden in ein und dasselbe Lager gesteckt wurden. Mit dem Zusammenbruch des belgischen Widerstands wurden Horst und seine Leidensgenossen bis nach St. Cyprien in Südfrankreich deportiert. Noch bevor das Lager von den Franzosen an die vorrückenden Deutschen übergeben wird, gelingt ihm tatsächlich mit einem Kameraden die Flucht. Nach vielen nächtlichen Fußmärschen kommt Horst in das nunmehr von den Deutschen besetzte Antwerpen zurück.


Die deutsche Besetzung - die Familie taucht unter

Horst begreift den Ernst der Lage und will sich und seine Familie in Sicherheit bringen. Im August 1939 hatte Horsts Frau einen Sohn entbunden. Der wird zu zuverlässigen Leuten in Brüssel, die dort ein Café betreiben, gebracht. Auf dem zuständigen Polizeirevier geben dann die „neuen Eltern“ augenzwinkernd und erfolgreich zu Protokoll, man habe ihnen ein Kind vor die Tür gelegt, das sie selbstverständlich behalten möchten. Der Junge erhält die behördliche Eintragung und damit auch das Recht auf Lebensmittelzuteilungen. Die neuen Eltern meinen es gut: das Kind wird sogar katholisch getauft und bleibt es auch, als Horst es nach dem Krieg zurückholt. Horsts Frau wird bei Bekannten in Beringen versteckt, er selbst taucht in dem bereits erwähnten Homosexuellenlokal ab.

Bei einem Freund in Antwerpen baut Horst einen Keller aus, in dem er die Mutter versteckt. Später wird die Mutter entdeckt und man bringt sie nach Mechelen in die Dossin-Kaserne, von wo die Transporte der in Belgien ansässigen Juden in die Vernichtungslager abgehen. Nach Meinung eines SS-Unteroffiziers Boden aus Dresden lohne es sich nicht mehr, die blinde alte Frau auf den weiten Transport zu schicken. Er erschießt sie hinterrücks an Ort und Stelle.
Auch die Ehegattin von Horst überlebt das Naziregime nicht: sie verstirbt im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück.


Politische Arbeit und Verhaftung

Auch nach der Kapitulation der belgischen Armee geht Horst seinen politischen Tätigkeiten weiter nach. Ein Gang führt „René Wouters“ ins südlichste Frankreich in die Gegend von Perpignan, wo er für viel Bestechungsgeld einen Gefangenen freikaufen kann. Eine 23tägige, abenteuerliche Flucht aus dem unbesetzten Süden Frankreichs, über die von den Deutschen schwer bewachte Demarkationslinie an der Somme, führt die beiden wieder bis nach Belgien. Gut getarnt geht die politische Arbeit gegen die Besatzung weiter. Auch die Beseitigung von Verrätern gehört dazu.

Doch Horst verlässt sein Versteck nur, wenn er gebraucht wird oder wenn er seine schmale Kost aufbessern will. In seiner Nähe kann er sich gegen ein Losungswort unentgeltlich etwas Brot besorgen. Bei einem dieser Ausflüge im Jahr 1943 wird er von einem Gestapomann kontrolliert und anschließend festgenommen.


Im Gestapokerker in der Avenue Louise

Nach der Festnahme wird Horst in das Brüsseler Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in der Avenue Louise in Brüssel verfrachtet. Mit fürchterlichen Schlägen versuchen flämische SS-Leute aus ihm herauszubekommen, wo sich seine Frau und das Kind befinden. Nachdem Horst beharrlich schweigt und er schließlich durch die Tortur auf einem Ohr für sein Leben lang nahezu taub ist und „wie ein Schwein“ aussieht, gelangt er per Fußtritt in einen Keller, wo noch eine Menge anderer Menschen ihres ungewissen Schicksals harren. Von Brüssel wird auch Horst nach Mechelen in die Dossin-Kaserne gebracht.


Als Friseur in Auschwitz-Monowitz

Horst landet schließlich in Auschwitz, heute geradezu Synonym für den von den Nazis planmäßig betriebenen, millionenfachen, industriell organisierten Massenmord an Juden und anderen rassisch und politisch verfolgten Menschen. Bekannt und berüchtigt ist das System der Selektion bei der Ankunft der Menschen dort: Kranke, Kleinkinder, alte und schwächliche Menschen werden zumeist sofort für die Gaskammern bestimmt. An den Kräftigen will die SS noch verdienen. Sie werden, modern ausgedrückt, an private Firmen „geleast“ und sollen sich selbst durch Arbeit vernichten. Horst kommt in das Außenlager Auschwitz-Monowitz, einem privaten KZ der IG-Farben. Dieser gewaltige deutsche Chemiekonzern, der auch das Gas Zyklon-B für die Vernichtungsanlagen, nur wenige Kilometer entfernt, liefert, stellt hier künstliches Benzin für die deutsche Rüstungsindustrie her.

Horst hat „großes Glück“, dass er von Beruf Friseur ist: davon gibt es nur 8 im Lager bei 22.000 Gefangenen. Für die Arbeit, die er hauptsächlich verrichten muss, hätte es keines ausgewiesenen Fachmanns bedurft. Sie zeigt die ganze Perversion des NS-Systems: Die Menschen aller Haare von Kopf bis Fuß zu entledigen. Diese Haare wurden dann gesammelt, in Tüten und Säcke verpackt und dienten in der Rüstungsindustrie als Rohstoff für die Herstellung von Dichtungen und Zeitzündern. Auch die SS-Schergen muss Horst frisieren und rasieren, wobei er betont, dass er die am liebsten „unter der Haut rasiert“ hätte. Für diese Tätigkeit gibt es aber ab und zu einen Apfel, auch schon einmal Zigaretten, die er damals als Nichtraucher, in der Küche gegen eine Konservendose voll Suppe eintauschen kann. Das bisschen zusätzliche Essen teilt er mit seinem damals bereits 72jährigen Schwiegervater, den er an diesem grauenvollen Ort zufällig wieder getroffen hatte: Dank dieser Unterstützung sollte auch der alte Mann das Lager überleben.


Barackenalltag

In der engen Baracke. in der Horst „lebt“, sind 1943 304 Häftlinge untergebracht. Horst betont, dass hierunter 41 Juden waren. Die überwiegende Mehrheit waren aber (auch deutsche) Kommunisten, Sozialdemokraten, Bibelforscher, Zigeuner, Polen, Russen etc. Er betont immer wieder, dass nicht nur seines Volkes, sondern aller Opfer des Naziregimes gedacht werden müsse.
80 Zentimeter Pritsche, und das vierstöckig Übereinander, mussten sich hier jeweils zwei Menschen teilen, wobei die Füße des einen am Kopf des anderen lagen. Für eine Pritsche war auch nur eine Decke da. Ganz schlimm wurde das Barackenleben ab Mitte 1943, als sich die Niederlage Nazi-Deutschlands anzubahnen begann. Im Zeichen der totalen Kriegsführung wurden nunmehr zusehends Gefängnisse und Zuchthäuser auch von gewöhnlichen kriminellen Elementen freigemacht, um diese Gebäude als Lazarette nutzen zu können. Diese Menschen kamen nun auch in die Konzentrationslager. Egal welche Verbrechen sie auch begangen hatten, ob sie Meuchelmörder, Lustmörder, Raubmörder oder Zuhälter gewesen waren: waren sie „Reichsdeutsche“, so galten sie als „Arier“ und wurden deshalb von der Lagerleitung bevorzugt behandelt. Diese Verbrecher bekleideten oftmals den Posten eines Block- oder Lagerältesten oder waren als Essensholer tätig. In der Baracke hatten sie die besten Schlafplätze nahe am Eingang. Dort war die Atemluft noch erträglich, ganz hinten im letzten Winkel waren die Juden untergebracht.


Ungesühnter Mord für ein paar Zigaretten

Horst schildert ein Beispiel, das die Unfassbarkeit des Lagerlebens verdeutlicht. In der Baracke war Typhus ausgebrochen, und eines Tages hatten zwei polnische Juden, die ihre Exkremente nicht mehr bei sich behalten konnten, ihre Lagerstatt so voll gemacht, dass es entsetzlich stank. Das bekam natürlich auch der Blockälteste mit, ein brutaler Berliner Zuhälter. „Wer von Euch hat hier geschissen?“ brüllte er die beiden verängstigten Männer an. Diese, des Deutschen nicht mächtig, antworteten auf jiddisch. „Irr niecht“ und „irr auch niecht, Herr Blockältester“, worauf der Fragende die beiden zu Gerippen abgemagerten Menschen brutal mit den Köpfen so aneinander stieß, dass sie zu Boden fielen. Schließlich stellte er sich auf deren Gurgel, bis der Tod eintrat. Dieser Doppelmord hatte in den Augen des Blockältesten durchaus einen Sinn. Einer der jüngsten Barackeninsassen musste diesem Unhold sexuell zu Diensten sein. Der bekam jetzt die Aufgabe, die Decke von den Fäkalien zu säubern und zu trocknen. Beim Ausrücken zur Arbeit schlang er sich die Decke um den Körper und tauschte sie bei einem polnischen Zivilarbeiter gegen ein Stückchen Margarine und zwei Zigaretten ein! Mord im Lager, ohne dass sich die SS die Finger selbst dreckig machte.
Beim obligatorischen Zählappell am Nachmittag hatte dann der Blockälteste nur zu melden: „Baracke 24, so und soviel Häftlinge, zwei tot, Stärke stimmt“. Damit war die Angelegenheit dann auch für den Lagerleiter, damals einem gewissen Schöttel, erledigt.
Begreiflich ist, dass für viele der eingesperrten Menschen die Situation im Lager so unerträglich war, dass sie selbst ihrem Leben im Elektrozaun ein Ende setzten.


Elise Fraipont aus Eupen

Das Leben der Insassen hing am seidenen Faden, der Unmut eines SS-Mannes konnte es schnell beenden. Wollte etwa jemand bei der Arbeit austreten, so hatte er seine Nummer auszurufen. Bei Horst hieß das: „Jude 117648 bittet austreten zu dürfen“. Dieses Ansinnen konnte dann gestattet werden, es konnte auch heißen „mach, dass du wegkommst!“ Gerade betrunkene SS-Leute richteten dann aber auch gezielt ihre Waffen auf die Leute: „Auf der Flucht erschossen“ hieß es dann, öffentliche Hinrichtungen für die geringsten „Vergehen“ waren an der Tagesordnung. Eines Tages traf es auch eine Elise Fraipont aus Eupen. Horst hat nach dem Krieg versucht, ihrem Schicksal nachzugehen, doch kein Mensch hier vor Ort konnte (oder wollte) ihm sagen, wer diese Frau war...


Leidensweg in weiteren Lagern

Mitte Januar 1945 gehen die Sowjettruppen in Polen zur entscheidenden Großoffensive über. Auch die Befreiung von Auschwitz und seinen Nebenlagern stand unmittelbar bevor. Die SS will keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Die Krematorien werden gesprengt, viele Kranke und nicht transportfähige Menschen in letzter Sekunde noch ermordet. Andere, die noch in der Lage waren, für die Nazi-Kriegsmaschinerie Arbeit zu verrichten, werden unter Aufbietung aller Brutalität Richtung Westen in Marsch gesetzt. Mit einem Güterwagen kommt Horst nunmehr in das Konzentrationslager Flossenbürg in Oberbayern, und als das Kriegsende nur noch eine Frage von Tagen sein kann, in das Außenlager Ganacker, in dem bereits viele Belgier inhaftiert waren.
Dort riecht auch der Kommandant das baldige Ende des Naziregimes. Er empfängt die Neuankömmlinge fast liebenswürdig und betont, hier werde niemand geschlagen, sie seien durch ihre Freiheitsberaubung schon genug geschlagen.


Befreiung

Nach wenigen Tagen heißt es wieder abrücken, denn die Amerikaner stehen in der Nähe. Eingeteilt in Gruppen zu dreißig Personen und bewacht von alten Männern, die man noch kurz vor Kriegsende in SS-Uniformen gesteckt hat, geht es in ein Waldgebiet. Ein Geistlicher, der die Gruppe entdeckt und auch erkennt, um was für Menschen es sich da handelt, bringt sie bei einem Großbauern im Heu unter und sorgt auch für Verpflegung, wie sie die   armen   Gefangenen   seit   ihrer Festsetzung nicht mehr zu sehen bekommen haben.
In der darauf folgenden Nacht fliegt die Tür auf: Amerikaner stürmen in die Scheune. Die schlafenden SS Leute werden auf der Stelle erschossen. Dafür hat Horst auch heute noch kein Verständnis, doch der befehlende Offizier erklärte damals: „..Ich habe davon gelesen, ich habe davon gehört, aber ich hab das noch nicht gesehen ..."
Die ehemaligen Häftlinge werden zunächst bei Bauern in der Umgebung untergebracht, wobei von den Befreiern peinlich genau darauf geachtet wird, dass diese Menschen, denen soviel Unheil angetan worden war, auch bevorzugt behandelt werden.


Zurück nach Belgien

Mit dem Flugzeug geht es zunächst nach Brüssel, wo Prinz Charles die Rückkehrer in französischer, flämischer und auch in deutscher Sprache begrüßt. Er bedauert aber, ihnen mitteilen zu müssen, dass sie zunächst nach Arlon kämen, wo dann festgestellt werde, wer von ihnen denn auch in Belgien bleiben dürfe.
In der Hauptstadt der Provinz Luxemburg wird dann jeder Ankömmling einzeln streng überprüft. Horst bekommt eine Identitätskarte, 8000 Franken Soforthilfe und eine Fahrkarte nach Brüssel. SS-Freiwilligen erging es nach den Angaben von Horst aber anders: man stellt sie nach ihrer Entdeckung an die Wand, durchsucht sie, führt sie ab, und bald darauf ist aus dem Hof ein durchdringendes „Peng, Peng“ zu hören.


Wiedersehen mit Van Zuyt

In Brüssel erfährt Horst, dass von seinen direkten Angehörigen nur sein Sohn überlebt hat. Mit Gelegenheitsarbeiten u.a. als Hilfskellner sichert er sich zunächst den bescheidenen Lebensunterhalt. Als ihn ein des Deutschen nicht mächtiger, aus Polen stammender Jude fragt, ob er ihn auf einer Handelsmesse in Eupen vertreten kann, nimmt Horst, obwohl er gar nicht richtig weiß, wo Eupen liegt, das Angebot an. Dort trifft er auch seinen alten Bekannten Van Zuyt wieder, der es hier inzwischen zum Polizeikommissar gebracht hat. Auch er hatte schwer unter den Nazis zu leiden, war ebenfalls in ein Konzentrationslager verbracht worden.
Van Zuyt überlebte die Befreiung nur um wenige Jahre.
Horst trifft in Eupen nicht nur Van Zuyt wieder, sondern lernt hier auch seine zweite Frau kennen, die er ebenfalls überleben sollte. Zunächst verkauft er Zeitschriften, später wird er als Wirt eine stadtbekannte Figur in Eupen.


„Wiedergutmachung“

In den fünfziger Jahren betreibt Horst seine „Wiedergutmachungsansprüche“ in Deutschland. Für seine Sklavenarbeit im Konzentrationslager bekommt er eine einmalige Abfindung von 5000 DM.
Bei den Ärzten, die die Folgen seiner erlittenen Torturen begutachten sollen, hat er oftmals den Eindruck, dass sie unbeschadet aus der Nazizeit in das neue Deutschland herübergekommen waren, und entsprechend spielen sich auch einige ihm gegenüber auf.
Als anerkanntes Opfer des Nazi-Regimes erhielt Horst bis zu seinem Lebensende eine mehr als bescheidene - ja beschämende - Rente von monatlich nicht einmal 900 DM aus Deutschland! Da Horst in Belgien das Statut eines Deportierten und nicht eines, politischen Gefangenen hatte, ging er hier dazu noch nahezu leer aus.


Dank

Dank gilt Horst über den Tod hinaus, dass er über all das Unfassbare, das ihm widerfahren ist, nicht geschwiegen hat. Für viele war er nur ein unbequemer Mahner, der auch nicht davor zurückschreckte, selbstgefälligen Politikern seine Meinung zu sagen.
Gerade im Jahr der fünfzigsten Wiederholung der Befreiung des Landes und der Lager, ist er durch Interviews, die er gegeben hat und durch Presseberichte auch bei der hiesigen Jugend bekannt geworden. Die Schilderung seines Leidensweges, seine damit verbundenen Aufrufe, alles zu tun, dass so etwas noch einmal geschehe, haben, wie mir vielfach versichert worden ist, gerade bei vielen Jugendlichen einen starken und bleibenden Eindruck hinterlassen.


 

 

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EXTERNE AUFTRÄGE


Koordination der „Aktionstage Politische Bildung“


Demokratieerziehung in Brüssel


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft in der „Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im pädagogischen Beirat des „Jüdischen Museums der Deportation und des Widerstandes in Mechelen“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Verwaltungsrat der Gedenkstätte Breendonk



 

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